Das Brot der Freiheit

von Manuel Castellote 24. Juni 2024

B-Kanntschaft Anna und Pädu Hersberger von der Reformbäckerei in Vechigen. Ein Gespräch mit Tochter und Vater über die ersten Stoppuhren in der Psychiatrie, über Fachkräftemangel, die Entwicklungen rund um Bio und darüber, wie man es anders macht.

Journal B: Wollt ihr euch kurz vorstellen?

P: Ich bin Pädu Hersberger, ich wohne seit 44 Jahren in Vechigen und backe seit ca. 37 Jahren Brot.

A: Ich bin Anna Hersberger. Letztes Jahr habe ich die Geschäftsleitung übernommen und übernehme jetzt den Betrieb. Studiert habe ich mal Slawistik und Osteuropäische Geschichte, aber dann einen Bachelor in Lebensmittelwissenschaften und Management gemacht.

Beginnen wir am Anfang? Pädu, wie bist du damals zum Backen gekommen?

P: Das passiert, wenn du über einer Backstube wohnst. Ich habe etwa fünf Jahre in der Psychiatrie gearbeitet, aber das war für mich kein Ort, an dem ich bleiben wollte. Ich war offen für vieles und dann hat sich diese Backstube anerboten. Das war Zufall.

Was fandest du schwierig an der Arbeit in der Psychiatrie?

P: Das schwierigste war die Sandwich-Position: Wenig bestimmen können und Dinge ausführen, von denen ich nicht überzeugt war. Ich habe darin immer meine Rolle gesucht, war aber nie wohl.

War es für dich auch ein Problem, dass man dem Menschen darin nicht gerecht wird?

P: Es gibt dort sehr viele Sachzwänge. Aber wir hatten wenigstens noch Personal. Damals kamen die ersten Unternehmensberater*innen mit der Stoppuhr in die Abteilungen. Und heute ist das Personal weg.

Tochter und Vater Anna und Pädu Hersberger sprechen über Vergangenheit und Zukunft in der Backstube. (Foto: Manuel Castellote)

Und dann hat es dich in die Backstube gezogen?

P: Ja! Etwas machen, von dem man sieht, was es ist – und wofür es ist. Das gibt eine Grundzufriedenheit und Wertschätzung.

Ist das eine innere Wertschätzung oder auch eine, die du von aussen spürst?

P: Vor allem die innere. Du stehst am Abend vor dem, was du gemacht hast. Und damit war für mich auch klar, dass Bio und Ernährung Sinn machen. Oder zu grossen Teilen macht das Backen Sinn.

Wo macht es nicht Sinn?

P: Sinn gemacht hat es immer. Es ist aber intensiver worden; du musst viel mehr arbeiten. Natürlich hast du auch mehr Lohn. Aber damals konnten wir in der Bioszene am Existenzminimum leben. Heute bist du mehr im Wirtschaftlichen.

Stehen die Unternehmensberater*innen jetzt mit der Stoppuhr in der Backstube?

P: Ja! Hast du die Freitagsschicht, fängst du um halb eins am Morgen an, kannst im Stehen zwei Kaffees kippen und hast um acht deine Frühstückspause. Und wenn du Glück hast, kannst du kurz auf die Toilette.
Als ich früher unser Brot in die Läden gebracht habe, haben wir in jedem Laden geplaudert, Kaffee getrunken oder sogar gefrühstückt. Das kannst du heute nicht mehr finanzieren.

A: Ihr habt es anders finanziert: Gratisarbeit und nicht in die Pensionskasse einbezahlt. Dieses Engagement hat etwas Schönes, aber wahrscheinlich wäre es auch damals nicht möglich gewesen.

Pädu hatte auch eine Phase, in der er dachte, er gehe zurück in die Psychiatrie.

P: Das ist so! Pensionskassen kamen in den 80ern auf. Vorher hattest du das Gefühl, dass du mit der AHV leben kannst. Und wir hatten anderen Wohnraum. Wir haben hier 220 Franken Miete bezahlt. Da hattest du keine Sorgen zu zweit und konntest auch mal zwei, drei Monate nicht arbeiten.

Wie sah denn eure Wohnung damals aus?

P: Kaltes, fliessendes Wasser in der Küche und ein Plumpsklo draussen. Wenn’s geregnet hat, sass man mit dem Regenschirm drauf. Und duschen ging wunderbar mit der Wassermenge einer Giesskanne. Das war auch gut so, bis die Kinder gekommen sind.

Und nun zur jüngeren Geschichte und zur Gegenwart: Wie war es für dich, Anna, hier aufzuwachsen?

A: Schön! Viel draussen sein und die Bäckerei hat immer dazu gehört. Für uns war es normal, dass Pädu im Alltag ist. Früher haben all die Bäcker*innen auch mit uns zu Mittag gegessen. All diese Menschen mit ihren unterschiedlichen Meinungen. Das ist etwas, das meinem Weltbild gutgetan hat. Das war schön so.

Gab es auch Dinge, die weniger schön waren?

A: Es gab auch schwierige Zeiten. Aber die habe ich nur am Rand mitbekommen. Pädu hatte auch eine Phase, in der er dachte, er gehe zurück in die Psychiatrie. Ich hätte es schlimm gefunden, wenn es diese Bäckerei nicht mehr gegeben hätte.

Wie sieht es als Bäcker*in bei euch mit der Life-Work-Balance aus?

A: Pädu war es immer wichtig, dass er nicht der abwesende Vater ist. Die Work-Life-Balance, die Betreuungsdiskussion, die man heute führt – wenn ich das höre, denke ich, ich bin so aufgewachsen. Ich würde nie sagen, er hat der Mutter geholfen. Sie waren gleichwertig. Auch im Haushalt.
Er hat die Bäckerei seinen Ansprüchen angepasst: Frisches Brot haben wir erst am Mittag. Das hat mit dem zu tun. Ich denke, wenn man heute käme und sagen würde: «Hallihallo, wir sind neu hier und bringen das Brot dann mal am Mittag», hätten wir wahrscheinlich mehr Mühe.

P: Das ist ein Vorteil der Selbstständigkeit: Du kannst den Betrieb so einrichten, wie es für dich stimmt.

Wie seid ihr zu Bio gekommen?

P: Für mich hat das zusammen gehört. Die Bio- und die Alternative-Szene waren damals sehr nah beieinander. Egal wo du warst, da waren viele Menschen und wollten etwas anders machen. Und weil der Biolandbau eigentlich das Ursprüngliche ist, sah man darin einen Sinn.

Wie seht ihr die aktuellen Entwicklungen rund um Bio?

A: Es ist schön, wird so viel Bio konsumiert! Heute kommt kaum ein Produkt auf den Markt, ohne dass man Bio drauf schreibt. Aber die kleinen Betriebe könnten Opfer des eigenen Erfolgs werden – weil das Alleinstellungsmerkmal verwässert wird. Durch Grossverteiler mit der Knospe oder Discounter mit eigenen Labels.

P: Beim Einkaufen schaue ich mir die Preise an. Biomehl gibts im Moment günstiger, als wir es kaufen können. Das ewige Drücken und Schauen aufs Geld geht nicht auf. Wir müssen einen anderen Umgang damit lernen. Geld steht nicht im Zentrum, sondern wir.

An dem Punkt waren wir schon vor 40 Jahren. Aber das sind vermutlich schon die Baustellen der nächsten Zeit.

A: Nachhaltig ist nicht nur ökologisch, sondern auch finanziell. Und dort sind wir noch nirgends.

P: Im Gegenteil. Hier gehen wir rückwärts, seit wir bei den Grossverteilern dabei sind.

A: Das stimmt. Es ist nicht schön, wie es gemacht wird, aber dass Bio so gross geworden ist, ist ein Erfolg. Du erzählst immer, dass der Godi, der hier Müller war, dein altes Brot nicht mal den Schweinen verfüttert hat, weil es Bio ist.

P: Es waren die Pferde! Den Schweinen hat er es gegeben. Die Unterscheidung würde ich jetzt machen.

Wie schätzt ihr die zukünftige Entwicklung ein?

A: Ich sehe den Detailhandel in einer Krise. Seit Corona steht viel auf dem Kopf – neue Bedingungen, die Unsicherheit bringen und Ängste schüren: Landwirtschafts- und Klima-Proteste. Das wirkt sich auf die Märkte aus. Dazu kaufen die Menschen anders ein und geben für Lebensmittel weniger aus. Das Ladensterben wird weiter gehen und nicht nur Kleine betreffen.
Und wir müssen uns als Nachfolgegeneration überlegen, wo wir unseren Pioniergeist reingeben wollen. Weil Bio ist es nicht mehr. Aber wohin es geht, kann ich im Moment nicht abschätzen.

Gibt es für euch noch andere Herausforderungen?

P: Der Fachkräftemangel. Da stehe ich vor einem Rätsel. Wenn wir einen Kameramann suchen würden, hätten wir hunderte Bewerbungen. Aber Menschen, die pflegen, backen oder Kamine fegen, die findet man nicht mehr. Aber da muss ich auch immer aufpassen, dass das nicht so ein Altersgewäsch von mir ist.

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Was meinst du, Anna? Ist es ein Altersgewäsch?

A: Teils. Es gibt auch einen rationalen Grund: Die geburtenstarken Jahrgänge gehen in Pension. Und ja, der Fachkräftemangel ist ein Problem für uns. Aber ich bin nicht Fan davon zu sagen, die Generation macht nichts mehr. Ich glaube, man wünscht sich Wertschätzung. Und die bekommt man als Bäckerin weniger, als auf Instagram.

P: Früher hat man gesagt: Der Dümmste aus der Familie wird Bäcker. Es ist klar, dass nicht alle gleich intelligent sind. Es gibt die, die den akademischen Weg gehen und die, die etwas anderes machen. Aber es braucht beide. Und diese Verbindung muss wieder mehr auf Augenhöhe sein. Das war schon bei meinen Eltern so. Das Gefühl, er soll etwas «Besseres» machen.

Foto: Manuel Castellote

A: Aber ist es nicht eure Generation, die das so auf die Spitze getrieben hat? Und die Jungen sind die, die sagen: Wisst ihr was? Wenn ich nicht zum Akademiker reiche, … dann kann ich in den sozialen Medien etwas sagen und etwas sein.

P: Das ist so. Und da bist du auch wieder beim Kapital: Die Reichen, die reicher werden und die anderen, die immer mehr strampeln. Das ist ein Monopoly-Spiel und du weisst, du kommst nie mehr auf den Paradeplatz. Also kannst du aufhören, zu spielen, und die Karten neu verteilen. An dem Punkt waren wir schon vor 40 Jahren. Aber das sind vermutlich schon die Baustellen der nächsten Zeit. Die sind bis jetzt einfach nie angegangen worden. Oder wenn, dann in die andere Richtung.

Abwarten und Brot backen?

A: Nein! So gut wie möglich sagen: Wir machen es nicht so! Auch wenn wir nur eine kleine Bäckerei in Vechigen sind: Wir können vorleben und zeigen, wie es anders geht. Ich bin davon überzeugt, dass es nur so geht. Und dass das ein ganz wichtiger Ansatz ist, den wir hier haben.
Klar: Perfekt ist es nie. Aber das ist für mich ganz klar und ganz, ganz wichtig: anders vorleben, – aber gleichzeitig auch die Balance zu finden, im Markt zu funktionieren.

Oder die Freiheit, etwas zu versuchen? Etwas anders zu machen?

A: Genau! Und sei es nur, dass unsere Bäckerei am Wochenende nicht geöffnet hat. Das ist etwas Kleines, aber für unsere Mitarbeitenden etwas ganz Wertvolles.

Anna und Pädu: Vielen herzlichen Dank euch für eure Zeit und das spannende Gespräch!