Das beste aller Geschenke

von Basrie Sakiri-Murati 25. Juli 2023

Dolmetschen Unsere Kolumnistin arbeitet als Übersetzerin. Unter anderem am Gericht. Obwohl dort die Arbeit oft schwierig ist, sagt sie: Übersetzen ist ein Geschenk.

Als ich am 22. Juni 1989 im Luzern erstmals Deutsch hörte, klang die Sprache beängstigend fremd für mich. Werde ich sie jemals lernen? fragte ich mich. Ein Jahr nach meiner Ankunft in der Schweiz erwartete mich das zweite Interview beim Bundesamt für Flüchtlinge (heute SEM) in Bern. Das stresste mich.

Nicht wegen des Asylgesuchs, sondern wegen der deutschen Sprache. Wie würde ich über all die Ereignisse sprechen können, die ich in meiner Heimat erlebt hatte? Als mir im Verhandlungssaal ein Übersetzer vorgestellt wurde, fühlte ich mich plötzlich federleicht und frei. Ein besseres Geschenk konnte ich mir nicht vorstellen. Hätte mir der Albanisch-Übersetzer damals gesagt, dass ich eines Tages selber auf diesem Übersetzerstuhl sitzen würde, hätte ich ihm wohl nicht geglaubt.

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Meine erste Dolmetscheraufträge bekam ich 1992 von der Caritas Solothurn. Damals kamen viele Asylsuchende aus dem Kosovo in die Schweiz. Hilfsorganisationen waren überfordert und deshalb um jede Unterstützung froh. Deshalb wurde ich angefragt. Freudig übernahm ich diese Aufgabe, obwohl mein Deutsch noch nicht genug gut war. Parallel besuchte ich einen Dolmetscherkurs der Caritas. Seither übersetze ich.

Hätte mir der Albanisch-Übersetzer damals gesagt, dass ich eines Tages selber auf diesem Übersetzerstuhl sitzen würde, hätte ich ihm wohl nicht geglaubt.

Ich mache den Beruf voller Begeisterung, obwohl er meistens anspruchsvoll ist. Jeder Auftrag ist eine neue Herausforderung. Wenn es um Notfälle geht, ist Einsatzbereitschaft und Flexibilität gefragt. Auf dem Weg zur Arbeit überfallen mich oftmals Prüfungsgefühle. In den meisten Fällen weiss ich erst vor Ort was mich erwartet.

Ich übersetze beim Erziehungsamt, bei den Sicherheitsbehörden, der Staatsanwaltschaft, vor Gericht sowie für einige Anwälte. Die Gespräche, beziehungsweise Verhandlungen und Verfahren, sind immer anders, aber immer werden am Schluss gewichtige Entscheidungen getroffen. Deshalb ist die korrekte Übersetzung so wichtig. Ich übersetze konsekutiv (nicht wortwörtlich) aber die Inhalte muss ich alle übermitteln. Auch einfachste Begriffe sind manchmal nicht einfach zu übersetzen. Aber sie können entscheidend sein. Alles wird protokolliert und am Schluss der Verhandlung übersetze ich das Protokoll auf Albanisch für die befragten Personen.

Wie sieht eine Gerichtsverhandlung aus? Im Gerichtssaal vorne sitzen die Richter, je nach Schwere des Falles bis zu fünf Personen. Rechts von ihnen sitzt die Gerichtschreiberin oder der Gerichtsschreiber. Links von ihnen ist mein Platz. Gegenüber den Richtern sind die Parteien mit ihren Anwälten. Daneben der Staatsanwalt. Hinter den Parteien nehmen ab und zu interessierte Leute Platz. Meine Aufgabe ist es, die Rede des Richters unmittelbar zu übersetzen. Die Plädoyers der Staatsanwalt und der Anwälte werden nicht übersetzt. Hingegen muss ich die Befragung an die betroffenen Personen und das Urteil übersetzen. Die Körpersprache der Angeklagten ist sehr unterschiedlich: sie variiert zwischen Reue, Scham, Ungewissheit und Freude. Die meisten wirken unsicher.

Ich muss meine Arbeit so unauffällig wie möglich machen.

Ich muss mich professionell verhalten. Was heisst das? Ich muss neutral bleiben, darf keine Gefühle zeigen und mich doch in die Personen einfühlen. Das ist nicht immer einfach. Besonders, wenn es um Kriminalfälle geht. Da ist es mir manchmal unangenehm – als Frau oder als Landesfrau. Ich muss aber meine Arbeit so unauffällig wie möglich machen. Die ersten Jahre hatte ich oft Mühe mit solcher Thematik und brauchte Zeit sie zu verarbeiten. Mittlerweile wird meine Arbeit von allen Seiten sehr geschätzt, und das wiederum erleichtert es mir mit den schwierigen Themen umzugehen. Dennoch kommt es heute noch vor, dass ich mit meinen Emotionen kämpfen muss. Besonders, wenn es um häusliche Gewalt geht.