«Chindertroum» kämpft für den Ausbau

von Anne-Careen Stoltze 21. September 2012

Andrea Wolfensberger betreibt eine Waldspielgruppe und ringt mit den Stadtbauten um den Abbruch zweier WCs.

Es ist ein kleines Refugium zwischen Buchen und Haselstauden: Ein Wall aus Ästen und Zweigen. In der Mitte raucht eine Feuerstelle. Die Bäume sind mit bunten Fähnchen geschmückt. Mitten im Wald liegt Andrea Wolfensbergers «Chindertroum». Die Kindergärtnerin und Naturpädagogin betreibt im Steinhölzliwald seit nunmehr zehn Jahren eine Waldspielgruppe für Kinder. Ein Dach überm Kopf gibt es auch – am sogenannten Elefanten-Spielplatz steht ein alter Bauwagen, violett und mit einem Eichhörnchen bemalt. «Das ist unser Rückzugsort an kalten Tagen, aber wirklich oft nutzen wir ihn nicht», sagt Wolfensberger.

«Den Umbau würde ich sogar auf eigene Kosten machen.»

Andrea Wolfensberger

Sie hat zudem den ehemaligen Kiosk an der Haltestelle Dübystrasse gemietet und ihn liebevoll gestaltet. Das Gebäude gehört den Stadtbauten Bern (Stabe) und beherbergt neben dem früheren Kioskraum noch eine alte Telefonzelle, zwei Toiletten und andere Räume. Die beiden WCs werden seit Jahren nicht mehr genutzt und sind vollgemüllt, ebenso die Telefonkabine. Von aussen ist das Gebäude versprayt und macht einen verwahrlosten Eindruck. Einzig der Teil, in dem der «Chindertroum» untergebracht ist, sieht gepflegt aus und ist in freundlichem Rosa gestrichen. 

Corpus Delicti: Zwei verdreckte WCs 

Schon lange hegt Wolfensberger die Idee, die beiden verdreckten WCs abzubrechen und die Wände einzureissen, damit sie den «Chindertroum» erweitern kann. «Ich habe bereits einen entsprechenden Entwurf gezeichnet und als Gesuch bei Stabe eingereicht.»

Doch die engagierte Frau stösst auf bürokratische Hürden. Stabe  hätten ihr zwar angeboten, den Umbau zu machen, stellen dabei aber zunächst Kosten von bis zu 30 000 Franken in Aussicht. Anschliessend würden die Kosten auf die Miete umgelegt, die sich damit mehr als verdoppeln würde und für den «Chindertroum» nicht mehr zahlbar wäre. Schon jetzt sei die Waldspielgruppe finanziell gesehen ein Nullsummenspiel. «Leider kann ich nur die Unkosten decken», sagt Wolfensberger, die zwei Teilzeitangestellte hat. 

Stabe will nach einer Besichtigung nun nochmal über die Bücher und eine kostengünstigere Variante ausarbeiten, weil ein höherer Mietzins für den «Chindertroum» nicht infrage käme. «Wir nehmen die Bedürfnisse der Waldspielgruppe ernst», betonen die Stabe in einem Mail an Journal B.

Verzögern Stabe den Umbau? 

Damit es rassiger vorwärtsgeht, hat Wolfensberger den Stabe vorgeschlagen, Abbruch und Umbau selbst an die Hand zu nehmen. «Das würde ich sogar auf eigene Kosten machen», sagt die gelernte Hochbauzeichnerin, die sich dabei auf eine breite Unterstützung im Kollegenkreis verlassen kann. Sogar einige Eltern hätten ihre Hilfe angeboten. «Wenn ich den Umbau selbst machen würde, käme es niemals so teuer.» Doch das geht nicht, denn Stabe bauen aus Sicherheits- und Haftungsgründen in ihren eigenen Liegenschaften nur selber.

«Wir nehmen die Bedürfnisse der Waldspielgruppe ernst.»

Stadtbauten

Die Kindergärtnerin kann nicht verstehen, warum die Behörden ihre Eigeninititiative behindern und ihr die Kosten per Mieterhöhung überwälzen wollen. Sie engagiere sich seit zehn Jahren für das Areal zwischen Haltestelle und Spielplatz und sorge für Ordnung und Sauberkeit. «Wenn ich den ‹Chindertroum› erweitere, wertet das die Gegend auf», ist Wolfensberger sicher.

Für die Stabe stellt sich die Situation nicht so einfach dar: «Die Zukunft des Gebäudes ist abhängig von der geplanten neuen Tramlinie nach Schliern und allenfalls müssen grössere bauliche Anpassungen am Haus vorgenommen werden», teilen sie mit. «Das stimmt nicht», entgegnet Andrea Wolfensberger. «Ich habe die Pläne beim Bauinspektorat eingesehen und da ist nichts Gravierendes für das Areal vorgesehen. Nur das Trottoir wäre betroffen.» Sie habe den Eindruck, dass Stabe sie hinhalten wolle. 

Jugendamt schätzt die private Initiative

Das Ringen mit den städtischen Behörden ist Wolfensberger schon bekannt. Angefangen habe sie 2002 mit dem Materialraum der Stadtgärtnerei. Einige Zeit später hatte sie den Bauwagen, konnte ihn aber nicht aufstellen, weil sie eine Bewilligung dafür brauchte. «Und wenn ich einem Kind einen Sirup zu trinken geben will, brauche ich dafür auch eine Bewilligung: die des Lebensmittelinspektors.»

«Wenn ich einem Kind einen Sirup zu trinken geben will, brauche ich eine Bewilligung.»

Andrea Wolfensberger

Damit sie für die Kinder ein Mittagessen kochen darf, braucht sie ein Hygienekonzept und muss regelmässig den Lebensmittelinspektor empfangen. Aber sie kassiere jeweils eine Busse, weil die Kochgelegenheit im Wald natürlich keinen Bestimmungen entspreche. «Mein Konzept passt eigentlich nicht zu den Gesetzen und Reglementen, die die Behörden haben. Aber sie haben auch schon manches Mal ein Auge zugedrückt», sagt Wolfensberger. So sei die Stadtgärtnerei jeweils sehr hilfsbereit gewesen. 

«Wir sind grundsätzlich positiv gegenüber privaten Initiativen in der Kinderbetreuung eingestellt», sagt Jürg Haeberli, Leiter des Stadtberner Jugendamts. «Sie sind ein wichtiges Standbein und füllen Lücken im Betreuungsangebot.» Das hiesse jedoch nicht, dass die Stadt alle privaten Initiativen finanziell unterstütze. Der «Chindertroum» sei weder eine reine Spielgruppe noch eine Kita wegen der eingeschränkten Öffnungszeiten. Die Bewilligung für eine neue Kita erteile der Kanton, welcher dafür einige Forderungen zum Beispiel an die Infrastruktur und an die Betreuungsqualität stellt.  

«Private Initiativen füllen eine Lücke im Betreuungs-angebot.»

Jürg Haeberli

In der Natur leben bei jedem Wetter

Mit dem «Chindertroum» will Wolfensberger ganz bewusst eigene Wege gehen. «Natürlich könnte ich losgehen, ein Haus suchen und eine Kita eröffnen, aber ich will das gar nicht. Ich will mit den Kindern in der Natur sein und ihnen das Spielen an der frischen Luft und mit
Naturmaterialien ermöglichen», erläutert die Mutter von zwei Söhnen. Herkömmliches Spielzeug ist denn auch im Bauwagen und im Kioskraum nicht zu sehen, stattdessen Bastelmaterial wie Zapfen, Zweige und Samen. Im Wagen mögen die Kinder nicht gerne sein. Viel lieber würden ihre Schützlinge im Wald frei spielen oder mittags beim Kochen über dem offenen Feuer helfen. Und das bei jedem Wetter. Bei Regen wird eine Plane zwischen den Bäumen gespannt und wenn es gar zu kalt wird, besucht die Kindergärtnerin mit den Kindern beispielsweise ein Museum. «Empfindlich gegen die Kälte sind meist nur wir
Betreuungspersonen.» Das Angebot von Tagesplätzen an drei Tagen pro Woche wird sehr gut angenommen, sagt Wolfensberger. Derzeit sei sie mit acht bis zwölf Kindern pro Tag ausgebucht und bekomme «sehr gutes Feedback» von den Eltern.