Carrot Us If You Can

von Janine Schneider 16. August 2021

Vor einem knappen Jahr standen Daniel Nacht und Mikosch Loutsenko vor Gericht, weil sie weggeworfene Lebensmittel retten wollten. Nun verarbeiten sie ihre Erfahrungen in einem Theaterstück am Festival der Satelliten.

Es ist dunkel und still. Nur wenn von Zeit zu Zeit ein Lastwagen über die Monbijoubrücke fährt, donnert es im Brückenpfeiler, in dem sich die Junge Bühne Bern einquartiert hat. Mitten im Raum steht ein Container neben einer weissen Leinwand. Plötzlich ertönen daraus Stimmen. «Psst – nicht zu laut», warnt die eine. Kurz darauf steigen zwei junge Männer aus dem Container. Das Spiel beginnt. Um was es geht, wird schnell klar: «Die Schweiz verursacht im Jahr 2.8 Millionen Tonnen Lebensmittelabfälle.» Die Schauspieler rechnen dem Publikum vor: «Das sind 14 Milliarden grosse Äpfel, 56 Milliarden Eier oder 5,6 Milliarden Fertig-Röstis. Zu Corona-Anfangszeiten hätte ich gesagt, dass es 22,4 Milliarden Rollen Toilettenpapier sind, die aber sehr schnell ausverkauft waren.» Jede und jeder von uns wirft also jedes Jahr durchschnittlich 90 Kilogramm Lebensmittel weg. Ungeniessbare Teile wie Knochen sind von dieser Zählung ausgenommen.

Vor Gericht

Es ist dieses erschreckende Ausmass an Foodwaste, das die zwei Freunde Dani und Mikosch schon seit langem dazu motiviert, Lebensmittel zu retten, die von den Grossverteilern weggeworfen werden. Und das sie vor einem knappen Jahr vor Gericht brachte (Journal B berichtete). Denn die Praxis der Lebensmittelrettung, die sich Containern nennt (da die Lebensmittel meist in Container gelagert werden, bevor sie endgültig entsorgt werden), fällt rechtlich in eine Grauzone. Und kann auch mal schief gehen. Als Dani und Mikosch in der Nacht auf den 26. Mai 2019 ihre übliche Runde machen und in den Containern von Migros und Coop nach weggeworfenen Esswaren suchen, alarmiert ein Anwohner die Polizei. Sie werden verhaftet und sollen mit je 1000 Franken gebüsst werden. Aber sie erheben Einspruch. Und werden von der Richterin freigesprochen, da der Vorwurf des Versuchten Diebstahls einen Warenwert von mindestens 300 Franken voraussetzt.

Die eigene Geschichte wird durch Referenzen an Robin Hood ergänzt (Foto: Janine Schneider).

Kein Hollywood-Film, sondern ein Theaterstück

Ende gut, alles gut? Nicht für Dani und Mikosch. «Es ist nicht wie im Hollywood-Film: Freispruch und danach ist Schluss», erklärt Mikosch. Die zwei langjährigen Freunde hatten auf einen politischen Freispruch gehofft, der die Foodwaste-Problematik aufgreift. Da dieser nicht erfolgte, sind sie das Thema selbst aktivistisch angegangen und haben ihre Geschichte in Eigenregie zu einem Theaterstück verarbeitet. Dabei spielen sie nicht nur und führen Regie, sondern machen gleich alles selbst: von der Musik und der Bühnentechnik über die Kulisse bis hin zur Medienarbeit. Das so entstandene Stück «Uh de Lalley – Carrot Us If You Can» spielt humorvoll und virtuos mit der ernsten Problematik und nimmt das Publikum mit in die legendenhaften Weiten des Sherwoord Forests und in die Abgründe der eigenen Mülltonne.

Mit dem Theaterstück wollen sie dabei nicht nur Aufmerksamkeit für ein Thema schaffen, das bei den meisten Leuten nicht zuoberst auf der Prioritätenliste steht, sondern auch zeigen, dass man sich wehren kann. «Oft fühlt es sich an wie David gegen Goliath», erklärt Dani. Mikosch fügt an: «Wir wollen den Leuten zeigen, dass dem nicht so ist.»

«Uh De Lalley – Carrot Us If You Can» wird am 23. und 24. August am Festival der Satelliten und am 10. September in der Heitere Fahne aufgeführt.