«Die Burgergemeinde ist immer genau eine Abstimmung von ihrer Abschaffung entfernt», sagte Stadtpräsident Alec von Graffenried (GFL) gestern im Stadtrat. Weil sie sich in der Demokratie immer wieder bewähren müsse, müsse sie mehrheitsfähig sein. «Manches macht sie deshalb besser als die Einwohnergemeinde», fügte er an. So handle sie zum Beispiel eher wertschätzender als die Einwohnergemeinde, sagte er etwas vage.
Es waren trotzdem klare Worte des Stadtpräsidenten, der selber Burger ist, sich aber selten öffentlich zur zweiten Gemeinde innerhalb der Stadt Bern äussert. Anlass zu seinem Votum war ein Postulat der SP/Juso-Fraktion, das einerseits die Stadt aufforderte, eine Strategie zu entwickeln, um sich mit der Burgergemeinde zu vereinigen, andererseits auch an die historische Verantwortung für Handlungen aus der Zeit des 18. Jahrhunderts appellierte.
Der Vorstoss von 2018, eingereicht von Halua Pinto de Magalhães und Michael Sutter (SP), war der einzige noch hängige zur Burgergemeinde. Vorstösse zur Burgergemeinde hat es aber auch schon früher gegeben, woran auch GB-Fraktionssprecherin Lea Bill erinnerte: «Egal, was die Vorstösse fordern, der Grundsatz des Gemeinderats ist klar und sakrosankt: die Burgergemeinde wird nicht angefasst», kritisierte sie.
Vergeblich wies der Stadtpräsident darauf hin, dass die Stadt gar nicht viel tun könne. Burgergemeinden seien durch die Kantonsverfassung geschützt und diese müsste geändert werden, um die Burgergemeinde abschaffen zu können. Das Postulat wurde schliesslich überwiesen, der schon verfasste Prüfungsbericht des Gemeinderats abgelehnt. Er muss jetzt einen weiteren schreiben.
Interessant: die Vertreter*innen des Bündnisses Rot-Grün-Mitte waren dabei praktisch geschlossen für das Postulat; GLP, FDP, Mitte und SVP dagegen. Dabei sind Burger*innen in der Berner Politik mehrheitlich in linken Parteien, wie wir im Rahmen des «Hauptstadt»-Schwerpunkts zur Burgergemeinde aufgezeigt haben.
Ursula Stöckli (58) ist Elektroingenieurin und Geschäftsleiterin des Ingenieurunternehmens Momento in Zollikofen. Sie sitzt seit 2019 für die FDP im Stadtrat und lebt in der Berner Altstadt.
Warum sind Sie im Stadtrat?
Weil ich finde, dass es mehr technisch versierte Leute im Parlament haben sollte. Es ist allerdings eine «Rufer-in-der-Wüste-Rolle».
Wofür kennt man Sie im Rat – auch ausserhalb Ihrer Partei?
Sicher für meine kurzen Voten, hoffentlich für die sachliche Argumentation und klar für meine Faszination für Technik und die Altstadt.
Welches ist Ihr grösster Misserfolg im Rat?
Mit dieser massiven rot-grünen Übervertretung besteht 95 Prozent der Ratsarbeit aus Misserfolgen.
Worauf sind Sie stolz bei Ihrer Ratsarbeit?
Dass ich versuche, allen zuzuhören und dass mein Vorstoss für die Abschaffung des unsäglichen Mobilfunkantennen-Moratoriums durchgekommen ist.
Welches ist Ihr liebster Stadtteil und warum?
Die Altstadt. Sie ist hochverdichtet, das gibt ein faszinierendes Zusammenleben, mit allen Vor- und Nachteilen. Dann sieht sie aus grosser Höhe fast homogen aus, geht man jedoch in die Tiefe, kommen unzählige Winkel, liebevolle Details und verschiedene Stile zum Vorschein, man kann sich nicht sattsehen.
Diese Themen waren ebenfalls wichtig:
- Rücktritte: Gleich sechs Rücktritte wurden an der letzten Ratssitzung des Jahres verkündet. Dabei gab es ein unbeabsichtigtes Rätselraten, denn Ratspräsident Michael Hoekstra (GLP) las die teils langen Schreiben der Zurücktretenden vor – bei denen der Name natürlich erst am Schluss stand. Es verabschiedeten sich auch langjährige Ratsmitglieder: Erich Hess (SVP) will sich in Zukunft auf sein Nationalratsmandat konzentrieren. Kurt Rüegsegger (SVP) beendet seine politische Laufbahn nach – mit einem Unterbruch – fast 20 Jahren im Stadtrat. Dolores Dana (FDP) zieht sich nach ebenfalls 20 Jahren etwas desillusioniert aus der Politik zurück. Auch die zurücktretende Vivianne Esseiva ( FDP) betont, sie sei «ernüchtert». Ebenfalls den Rat verlassen Therese Streit-Ramseier (EVP) und Diego Bigger (SP).
- Schönausteg: Der Stadtrat hat einen Realisierungskredit für die Sanierung des Schönaustegs von fünf Millionen Franken diskussionslos genehmigt. Saniert wird der beliebte Steg beim Tierpark Dählhölzli nicht vor Ort, sondern in einem externen Spezialwerk. Dafür wird das 100-jährige Bauwerk zerlegt, abtransportiert, repariert und anschliessend wieder vor Ort montiert. Während der Sanierungsarbeiten steht ein Brückenprovisorium zur Verfügung. Geplant ist die Sanierung zwischen Herbst 2024 und Frühling 2025.
- Vulva-Tage: Mit der Motion «Vulva-Tage in Bern ‒ Die Tabuisierung aufheben» von 2019 wollten Vertreter*innen aus AL, Juso, PdA und SP dem Tabu des weiblichen Intimbereichs entgegenwirken. Mittels Vorträgen, Podien, Theater und Kunst im öffentlichen Raum sollte die Stadtbevölkerung auf die Thematik aufmerksam gemacht werden. «Das Tabu der Vulva führt, wie wir wissen, zu geschlechtsspezifischer Gewalt», erklärte Ursina Anderegg (GB). Sie bezweifelte jedoch, dass die Stadt die Kuratorin einer solchen Veranstaltung sein sollte. Ähnlich sah dies der Gemeinderat, der die Motion in ein unverbindlicheres Postulat umwandeln wollte und darauf hinwies, dass die Stadt bereits viele sexualpädagogische Projekte in Schulen unterstütze. Der Stadtrat folgte dem Gemeinderat mit 39 zu 23 Stimmen. Die Stadt wird also nicht selbst Vulva-Tage organisieren.
- Gaswerkareal: Die vermeintlich grüne Motion der SVP zu den «grünen Lungen in der Stadt» wurde mit 59 zu 7 Stimmen abgelehnt. Die Partei wollte das Gaswerkareal als Naherholungsgebiet erhalten; die Mehrheit des Stadtrates gewichtete den Bedarf nach Wohnraum aber stärker. Man werde im nächsten Jahr noch ausreichend über die baulichen Entwicklungen im Gaswerkareal diskutieren können, sagte Stadtpräsident Alec von Graffenried.
PS: Es war die letzte Sitzung von Stadtratspräsident Michael Hoekstra. Zum Schluss zog er eine kurze Bilanz seines Amtsjahrs. Angetreten war er mit dem Ziel, Pendenzen abzubauen. Momentan sind noch etwa 170 Vorstösse im Parlament hängig – bei seinem Antritt waren es über 250 gewesen. Auf diese Worte hin applaudierten die Parlamentarier*innen spontan. «Das ist nicht mein Erfolg, es ist das Resultat von uns allen im Rat», meinte Hoekstra daraufhin.