Es kommt selten vor, dass das Bundesgericht von einem kantonalen Parlament verabschiedete und in einer Volksabstimmung gutgeheissene Gesetze aufhebt. In aller Regel begnügt es sich festzustellen, dass das beanstandete Gesetz mit etwas gutem Willen doch noch verfassungskonform ausgelegt werden könne. Das Urteil des Bundesgerichts vom 29. April zum neuen Berner Polizeigesetz ist daher durchaus bemerkenswert. Das Bundesgericht stellt fest, dass dieses Gesetz so, wie es von der bürgerlichen Mehrheit im Grossen Rat verabschiedet wurde, gleich in mehrfacher Hinsicht verfassungswidrig ist.
In zwei Punkten war die Unzulässigkeit der Vorlage für das Gericht klar: Der im Gesetz vorgesehene Freipass für die Polizei, ohne jegliche richterliche Kontrolle beliebige Personen mit GPS-Trackern zu überwachen, verletzt die Grundrechte der Betroffenen und wird daher aufgehoben. Und die Bestimmung, wonach Wegweisungen und Fernhaltungen immer auch noch mit einer Strafandrohung zu versehen sind, wird ebenfalls gestrichen, weil sie klar unverhältnismässig ist. Die leider tief verwurzelte Strategie der Berner Polizei, unliebsame Mitbürgerinnen und Mitbürger wegen beliebiger Banalitäten zu kriminalisieren, hat für einmal Schiffbruch erlitten.
Längere Diskussionen gab es nur über die Bestimmung, welche der Polizei die Wegweisung Fahrender innerhalb von 24 Stunden hätte ermöglichen sollen. Der neue SVP-Bundesrichter Thomas Müller wehrte sich lange, insgesamt aber wenig überzeugend und letztlich erfolglos, für dieses SVP-Anliegen. Zu offensichtlich war, dass es einzig auf die Diskriminierung Fahrender abzielte und deren Grundrechte verletzte. Die Mehrheit des Gerichts sah darin zu Recht einen unverhältnismässigen Eingriff in das Privat- und Familienleben Fahrender. Der Artikel wurde daher aus dem Gesetz gestrichen.
Die bundesgerichtliche Kontrolle überstanden hat einzig die Bestimmung über die Kostenauflage bei Veranstaltungen. Das konnte niemanden überraschen, hatte das gleiche Gericht doch vor wenigen Jahren die gleichen Rechtsfragen schon am Beispiel des Polizeigesetzes des Kantons Luzern erörtert und die aus seiner Sicht geltenden roten Linien gezogen. Da sich das bernische Gesetz streng an diesem früheren Urteil orientierte, war eigentlich von Anfang an klar, dass das Bundesgericht auch wieder gleich entscheiden würde. Dass sich die bernischen Behörden in der Praxis dann auch so verhalten werden, wie ihnen das Gericht wohlmeinend unterstellte, werden sie allerdings noch zu beweisen haben.
Angesichts der erwähnten Zurückhaltung des Bundesgerichts bei der Überprüfung kantonaler Gesetze muss das Urteil, mit dem gleich mehrere Bestimmungen des neuen Polizeigesetzes aufgehoben werden, schon fast als Ohrfeige verstanden werden. Dass der Regierungsrat dies mit einer Medienmitteilung quittiert, wonach er «erfreut Kenntnis nimmt vom Urteil des Bundesgerichts», zeugt von einer Mischung aus Einsichtslosigkeit und fehlendem Anstand in der federführenden Direktion. Von Einsichtslosigkeit, weil der Regierungsrat die festgestellten Verstösse des bernischen Gesetzgebers gegen Grundrechte seiner eigenen Bürgerinnen und Bürger offenbar als blossen Betriebsunfall versteht, den er auf die leichte Schulter nehmen kann. Von fehlendem Anstand, weil er die Verantwortung für die Niederlage vor dem Bundesgericht nun einfach dem Grossen Rat zuschiebt. Dabei hat dieser ja nur zu Ende gedacht, was von einem bewusst polarisierenden Sicherheitsdirektor vorgespurt wurde.