Brücken bauen zwischen Stadt und Land

von Hannah Ambass 21. Juni 2024

Was ist der Unterschied zwischen Direktzahlungen und Subventionen? Was tun Bauern und Bäuerinnen für die Biodiversität? Diesen und weiteren Fragen widmete sich der «Hauptsachen-Talk» Anfangs Juni im PROGR.

Ohne einen direkten Bezug zur Landwirtschaft, kennt man die Antworten auf diese Fragen vermutlich nicht. Wie viel Ertrag wirft ein Liter Milch ab, oder was ist ein angemessener Preis für ein Ei? Was ist der Unterschied zwischen den Labels Bio, IP Suisse und Naturafarm?

Ein Thema, viele Dimensionen, grosser Diskussionsbedarf

Nicht alle im Publikum bekamen die Gelegenheit, ihre Fragen zu stellen. Die Debatte rund um die Landwirtschaft und das Thema eines Stadt-Land-Grabens war hitzig, die Aula des PROGRs gefüllt mit 70 interessierten Menschen.

Der «Hauptsachen-Talk» vom 6. Juni, der von der Hauptstadt und dem PROGR organisiert wurde, fand unter dem Namen «Erst das Essen, dann die Natur?» statt und widmete sich dem sogenannten Stadt-Land-Graben. Das Fazit des Abends lautete: Die Landwirtschaft muss mehr kommunizieren, und die Bevölkerung muss sich mehr interessieren.

Vlnr.: Kathy Hänni, Magdalena Schindler, Christine Badertscher und Flavia von Gunten (Foto: Hannah Ambass).

Gibt es einen Stadt-Land-Graben?

Mit dieser Frage eröffnet Moderatorin Flavia von Gunten, Redaktorin bei der «Hauptstadt», den Hauptsachen-Talk. Von einem Stadt-Land-Graben wollte keine der drei eingeladenen Gästinnen sprechen. Es gebe einen starken gemeinsamen Nenner, wie Christine Badertscher, grüne Nationalrätin und Vorstand des Berner Bauernverbands, feststellt: Stadt und Land wollen beide eine nachhaltige, regionale Landwirtschaftsproduktion. Eine gewisse Entfremdung könne man jedoch sicherlich beobachten. Wissenschaftlerin Magdalena Schindler, ehemals Direktorin der Agrarhochschule Zollikofen, erzählt: «In meiner Generation hatten fast alle noch mindestens einen Grosselternteil, der in der Landwirtschaft tätig war.» Heutzutage sei das nicht mehr üblich.

Das Land der Unverstandenen

Christine Badertscher zitiert den Stadt-Land-Monitor von Sotomo aus dem Jahr 2023. Die städtische wie auch die ländliche Bevölkerung fühlt sich in ihren Anliegen unverstanden. «Beide Seiten haben das Gefühl, die jeweils andere möge sie nicht», ergänzt die grüne Nationalrätin.

Uneinigkeit unter den Bauern und fehlende Kommunikation

Ein Tierarzt, der regelmässig Bauernbetriebe betreut, bringt einen weiteren Aspekt ein: Er beobachte nicht nur zwischen Stadt und Land Differenzen, sondern auch unter den Bauern selbst. Kleinbauern vertreten andere Ansichten als Grossbauern, und Biobauern haben nochmals andere Meinungen.

Ein Gastronom aus dem Publikum meldet sich mit einem klaren Anliegen zu Wort: Ihm fehle die Kommunikation seitens der Landwirtschaft. Unterstützt wird diese Aussage von einer weiteren Zuschauerin, die die drei Gästinnen direkt anspricht: «Ich sehe zum Beispiel Sie in der Pflicht, die Kommunikation sicherzustellen».

Der Dialog müsse im direkten Kontakt mit den Kund*innen stattfinden, dann sei auch mehr Verständnis füreinander vorhanden

Kathy Hänni, die dritte Gästin in der Runde, führt den Biobauernhof Heimenhaus in Kirchlindach. Der Bauernverband kommuniziere zwar viel, sagt sie, sie fühle sich aber mit ihren Anliegen nicht repräsentiert. Auch Badertscher merkt an, in der Landwirtschaft habe man das Gefühl, ständig zu kommunizieren. «Aber vielleicht kommunizieren wir das Falsche».

Die Direktvermarktung als Lösung?

Der Biohof Heimenhaus in Kirchlindach, den Hänni in den 80er Jahren übernommen hat, setzt schon seit Jahrzehnten auf die Direktvermarktung. Sie sieht in diesem Modell nach wie vor grosses Potenzial. Hänni habe laufend ihre Kontakte zur Stadt ausgebaut. Der Dialog müsse im direkten Kontakt mit den Kund*innen stattfinden, dann sei auch mehr Verständnis füreinander vorhanden.

Nur etwa 7 % der Bauernbetriebe vertreiben ihre Produkte auf diesem Weg. Es fehlen dazu oft die Ressourcen. Laut dem Schweizer Bauernverband betreiben zwar immer mehr Betriebe Direktvermarktung, ein zentrales Standbein bilde sie aber nur bei wenigen.

Preisdruck des Detailhandels

Coop und Migros beherrschen in der Schweiz 80 % des Lebensmittelmarktes. Sie tragen massgeblich zum Preisdruck auf die Landwirt*innen bei, indem sie hohe Anforderungen stellen und dabei möglichst niedrige Preise bezahlen wollen. Man könne immer wieder beobachten, dass Betriebe sich einen Sektor aussuchen, der gerade gut bezahlt ist, zum Beispiel die Produktion von Schweinefleisch. Sobald das zu viele machen, sinkt der Verkaufspreis wieder und die Bauern orientieren sich neu. Solche Wellenbewegungen gebe es immer wieder, man könne das gerade bei der Biomilch beobachten, führt Kathy Hänni aus.

Verantwortung der Konsument*innen

Konsument*innen wiederum entscheiden mit jedem Franken, den sie ausgeben, welche Art von Produktion sie fördern. In der Schweiz wird so wenig für Lebensmittel ausgegeben wie in fast keinem anderen Land, was von allen Gästinnen kritisiert wird. Die grüne Nationalrätin wünscht sich, dass wir weg von einer Agrarpolitik hin zu einer Ernährungspolitik kommen, die die ganze Nahrungsmittelkette berücksichtigt.

Grafik: Bundesamt für Statistik

Take-Home-Message

Auf die Frage, was wir konkret tun können, um Brücken zwischen Stadt und Land zu schlagen, kommen drei wichtige Punkte zusammen:

  • Bleibt interessiert und schafft Bewusstsein dafür, woher Lebensmittel kommen.
  • Bleibt kritisch bei den Lebensmitteln, die ihr kauft. Ihr habt einen Hebel.
  • Spart nicht beim Essen und betreibt keinen Einkaufstourismus.

Das Ende des Podiums war noch lange nicht das Ende der Diskussion. Beim anschliessenden Apéro, an dem das PROGR ein eigens für den Anlass kreiertes Sandwich verkaufte (das «Stadt-Land-Sandwich»), diskutierten die Zuschauer*innen munter weiter und bekamen nochmals Gelegenheit, den Gästinnen Fragen zu stellen. Der «Hauptsachen-Talk» schaffte einen Raum für den Dialog zwischen Produzierenden und Konsumierenden und war damit ein voller Erfolg.

Magdalena Schindler (Foto: Hannah Ambass).