Bitte keine Crèmeschnitten!

von Tess Klemm 16. März 2016

Vier Felder, vier Meinungen. Der zweite Beitrag zum Viererfeld kommt von der Kulturhistorikerin Tess Klemm, Mitglied von Viererfeld Nature 2.0. Sie findet den vorliegenden Vorschlag visionslos.

Städte gelten seit jeher als Zentren kulturellen, ökonomischen und gesellschaftlichen Lebens. Innovationen entstehen oftmals im urbanen Umfeld, visionäres und kreatives Geschehen ebenso. Menschen bewegen und begegnen sich im urbanen Raum und verschaffen sich die Möglichkeit, aktiv an allen Aspekten des urbanen Lebens mitzuwirken.

In der Visionslosigkeit der Viererfeld-Überbauung werden Wiederholungstaten begangen, bei denen man sich an Altbekanntem, und sei es noch so öde und verbiedert, verkrallt. Wie missratene Crèmeschnitten in der Ladenauslage, die längst über dem Datum sind, aber jedem noch angedreht werden, wird auf dem letzten Dücker noch ein Überbauungskonzept abstimmungsreif geschwurbelt. Debatten finden maximal auf der buchhalterischen Ebene statt, im Stil von: Reicht ein halber Parkplatz pro Einheit in einer autofreien Siedlung oder darf es ein bisschen mehr sein?

Eine weitere visionslose Neuflächeninanspruchnahme alten Stils für ein Überbauungskonzept, das den Anschein erweckt, einem Prospekt aus den 60er-Jahren für «Schöner Wohnen» entnommen zu sein, ist eine Bankrotterklärung für eine nachhaltige Stadtentwicklung.

Sinnvolle Möblierung

Das Etablieren einer Pro-Kopf-Wohnflächennutzung, die sich in den letzten 30 Jahren verdoppelte und am Prinzip der Neuflächenüberbauung festhält, verhindert letztlich urbanes Leben und nachhaltige Entwicklung. Wenn in der Vierzimmerwohnung in drei Zimmern schon zehn Kommoden stehen, kann man sich schon überlegen, ob es gut ist, auch ins letzte Zimmer weitere zehn Kommoden zu stellen. Über eine sinnvolle Möblierung könnte man sich durchaus Gedanken zu machen.

Es ist mutlos, das Problem der Neuflächenüberbauung mit exakt derselben Strategie lösen zu wollen, die es verursacht hat. Dass die Ursachen für Neuflächeninanspruchnahme nur vordergründig in der Entwicklung der Nachfrage nach Wohn- und Gewerbefläche liegen, ist hinlänglich bekannt. Mehr Flächen zu überbauen, führt genau nicht zu urbanem Leben, sondern einfach zu einer weiteren überbauten Fläche.

Die Chance, Visionen für eine prosperierende, kreative und zukunftsfähige Stadtentwicklung in Bern anzugehen, ist greifbar und nötig. Urbanes Leben beinhaltet eine Mischung von Funktionen, kultiviert die soziale Integration, zeigt sich in Gebäudedichte und mit einer Dichte der Nutzung durch Menschen, erlebbar auf öffentlichen Plätzen und in öffentlichen Räumen. Architektonisch definierte Räumen sowie eine Architektur mit urbanem Charakter unter Beachtung typologischer und regionaler Traditionen ist ein weiterer Bestandteil, um ein städtisches Lebensgefühl kultivieren zu können.

Was heisst Lebensqualität?

Die kulturelle Auffassung von Stadt umzusetzen, ist zentral und Voraussetzung für eine Stadtentwicklung. In was für einer Stadt wollen wir leben? Wie wollen wir uns fühlen, wenn wir in der Stadt Bern leben? Was heisst urbane Lebensqualität für die Stadt Bern? Auf dieser Ebene muss der Diskurs in Bern geführt werden. Um eine Stadtentwicklung in Angriff zu nehmen, die diesen Namen verdient. Vor allem aber, um urbane Lebensqualität künftig überhaupt zu ermöglichen.

Das vorliegende Überbauungskonzept abzulehnen heisst, nicht zu den Ewiggestrigen zu gehören. Es beinhaltet die Forderung, sich mit nachhaltiger Stadtentwicklung zu befassen. Stringente, mutige und visionäre Ideen sind gefragt, anstelle eines weiteren öden Crèmeschnittenkonzepts für das Viererfeld.