Bis die Musik ausgeht

von Janine Schneider 18. Mai 2022

Türsteherinnen sind immer noch die Ausnahme im Berner Klubleben. Sie müssen mit unterschiedlichen Rollenbildern, übergriffigem Verhalten und gewaltbereiten Gästen umgehen können und dabei immer die Ruhe bewahren. Wir haben sechs Türsteherinnen durch eine Berner Klubnacht begleitet.

Sie heissen Anouk, Mara und Natascha, Seraina, Anna, Cami und Dayna. Sie sind zwischen 21 und 41 Jahre alt. Ihre Arbeit beginnt dann, wenn die der meisten anderen Menschen endet. Ihr Feierabend ist unser Feierende. Sie sind Ansprechperson bei Übergriffen und Rausschmeisserin, Mediatorin bei Konflikten und Sozialarbeiterin. Vor allem aber sind sie Ausnahmen.

Denn Türsteherinnen sind in Bern immer noch ein seltener Anblick. Der Beruf wird vor allem von Männern ausgeübt – und mystifiziert: Türsteher, das sind muskelbepackte, bullige Typen, die scheinbar willkürlich darüber bestimmen, wer eingelassen wird und wer nicht, sie sind Bouncer, Rausschmeisser, sie sind der böse Kerl an der Tür.

Die Wirklichkeit ist wie immer komplexer. Türsteherinnen durchbrechen dieses Klischee oder können es bestätigen. Vor allem aber werden sie ständig damit konfrontiert. Wie gehen Sie damit um? Und wie erleben sie eine der letzten männlichen Domänen im linksgrün geprägten Bern?

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Eine neue Sicherheitskultur

«Ich war sehr lange die einzige Frau im Team», erklärt Anouk. Die 28-jährige arbeitet seit acht Jahren als Türsteherin beim ISC Club. Eine Kollegin, die damals an der Kasse arbeitete, hatte ihr empfohlen, sich zu bewerben. «Im Jobprofil stand: Über 25 Jahre alt, gross, Kampfsport-Erfahrung. Es stand nicht, ob männlich oder weiblich, aber wir haben alle ein gewisses Bild im Kopf, wenn wir an Türsteher denken. Deshalb habe ich zuerst gezögert.» Sie bewarb sich trotzdem. Während vier Jahren blieb sie die einzige Türsteherin im Club. «Anfangs waren die Leute überrascht: Was du arbeitest hier?» Heute sind fünf Frauen Teil des zwanzigköpfigen Teams.

Beim Sicherheitsdienst Taktvoll sind zehn von dreissig Mitarbeitenden Frauen. Es ist kein Zufall, dass verhältnismässig viele Frauen bei Taktvoll arbeiten. Der Sicherheitsdienst, der für seine Arbeit den Begriff «Sicherheitskultur» benutzt, ist ausdrücklich offen gegenüber Mitarbeitenden «aller Geschlechtsidentitäten, sexuellen Orientierungen und Herkunftsbiographien».

Taktvoll versteht sich als Kritik an einer Branche, in der Gewaltbereitschaft und Machismo in den eigenen Reihen keine Seltenheit sind.

Taktvoll wurde 2018 von ehemaligen Mitarbeitenden des «Wellness»-Teams der Reitschule gegründet. Konflikte wollen sie vermittelnd und grundsätzlich deeskalierend handhaben.  Mit ihrer dialogbasierten und inklusiven Sicherheitsphilosophie versteht sich Taktvoll auch als Kritik an einer Branche, in der Gewaltbereitschaft und Machismo in den eigenen Reihen keine Seltenheit sind. «Wir wollen, dass unsere Mitarbeitenden verstehen, in welchem Umfeld sie arbeiten und sich bewegen. Wir wollen empathische Menschen, die sich auch für die Kultur interessieren, die sie begleiten», erklärt Christoph Ris, einer der Mit-Gründer von Taktvoll.

Anfangs wurde dem Sicherheitsdienst kaum Expansionsmöglichkeiten prophezeit, mittlerweile leistet Taktvoll regelmässige Einsätze in der Turnhalle und im Einspruch, aber auch bei Festivals wie beispielsweise dem CAMPUS-Festival und hat sich zu einer festen Grösse im Berner Nachtleben entwickelt. An einem Samstagabend Mitte April haben wir das Team von Taktvoll während einem ihrer Einsätze in der Turnhalle begleitet.

Im PROGR

Um 21:45 Uhr beginnt der Arbeitseinsatz mit dem Briefing. Wir treffen das Team von Taktvoll vor der Turnhalle: sechs Türsteherinnen und zwei Türsteher – warm angezogen, Funkgerät und Pfefferspray am Gürtel. Es ist die einzige Waffe, die sie zur Selbstverteidigung tragen. Im Innenhof des PROGRs haben sich trotz des regnerischen Aprilwetters kleine Menschentrauben gebildet, drinnen hat der DJ sein erstes Set begonnen. Noch sind die Besucher*innen relativ nüchtern, die Stimmung aufgedreht, aber gut.

Die Türsteher*innen erhalten von Dayna, die heute die Hauptverantwortung trägt, Infos zur Veranstaltung und sprechen die Posten untereinander ab. Es gibt sieben Posten an strategischen Stellen, die besetzt werden müssen, unter anderem der Einlass und das Tor zum Innenhof.

Mara und Natascha sind für Letzteres zuständig. Die beiden Türsteherinnen kontrollieren auf einem Sicherheitsrundgang durch das Erdgeschoss des PROGR, ob alle Türen geschlossen sind und ob sich noch Personen im Gebäude aufhalten. Danach schliessen sie das zweite Tor zum Innenhof ab. Dadurch kann der Besucher*innenstrom besser reguliert werden. Noch hat es genug Platz in der Turnhalle. Von Zeit zu Zeit müssen die beiden Türsteherinnen Gäste darauf hinweisen, dass sie keine Getränke nach draussen nehmen dürfen. Ansonsten ist es ruhig.

Eigene und fremde Wahrnehmung

Werden Türsteherinnen gleich ernst genommen wie ihre männlichen Kollegen? Cami, Ärztin und seit zweieinhalb Jahren bei Taktvoll dabei, meint: «Es ist sehr situationsabhängig, ob ich mich ernst genommen fühle. Bei einigen männlichen Gästen merke ich schnell, dass sie mich nicht ernst nehmen. Bei anderen wiederum merke ich, dass ein Mann eher triggern würde.»

Anouk, die Türsteherin des ISC, wiederum erklärt: «Ich fühle mich in 95% der Situationen ernst genommen.» Es seien meist ältere oder sehr konservative Männer, die nicht mit ihr klarkämen. «Da gibt es dann schon auch mal den Spruch: Von einer Frau lass ich mir gar nichts sagen.»

Türsteherin zu sein, bedeutet eben auch, sich mit fremden und eigenen Bildern auseinandersetzen zu müssen.

Das eigene Auftreten ist ebenso massgebend: «Ich muss sicher anders an eine Situation herangehen als mein zwei Meter grosser Teamkollege. Ich muss mich ein wenig grösser machen als ich bin, um ernst genommen zu werden, sei das mit der Gestik oder dem Tonfall.» Die Arbeit ist einfacher, wenn man dem Klischeebild des bulligen Türstehers entspricht. Alles andere muss durch Präsenz und Ausstrahlung ausgeglichen werden.

Türsteherin zu sein, bedeutet eben auch, sich mit fremden und eigenen Bildern auseinandersetzen zu müssen. Man wird immer wieder damit konfrontiert, wie man von anderen wahrgenommen wird und wie man selbst andere wahrnimmt.

So erklärt Anna, die neben ihrem Jurastudium seit Dezember 2018 für Taktvoll arbeitet: «Ich bin gross, ziehe dunkle Kleidung and und habe an den Seiten rasierte Haare. Es ist mir wichtig, dass ich mich während der Arbeit wohl fühle und mich nicht verstellen muss. Aber das spielt alles sehr stark in die Wahrnehmung der Leute hinein, da ich nicht dem klassischen Frauenbild entspreche. Meistens nehmen sie mich ernst.» Manche Gäste würden sie aber auch als ‘Kampflesbe’ lesen und sich dann provoziert fühlen. Ein Phänomen, das sonst eher die männlichen Teamkollegen betrifft, aber auch zeigt: die Wahrnehmung von Türsteherinnen ist abhängig von ihrem jeweiligen Auftreten und Aussehen.

Draussen am Tor reagieren die Besucher*innen freundlich und respektvoll. Es gäbe denn auch oft positive Reaktionen, erklärt Natascha, die in Bern Sozialanthropologie studiert: «Die Leute bedanken sich für unsere Arbeit bedanken oder betonen, wie toll sie es finden, dass unser Team so divers ist.» Taktvoll versucht mit heterogenen Teams gezielt Rollenbilder zu durchbrechen und das Gesicht von Sicherheitsdiensten zu verändern. Die Türsteher*innen sollen Ansprechpersonen sein, unabhängig vom jeweiligen Geschlecht. Das leuchtet ein: Deeskalation ist schliesslich keine weibliche Eigenschaft, sondern eine Handlungsstrategie.

Wenn es eskaliert

Es ist 23:20 Uhr und die Party ist in vollem Gang. Seraina kontrolliert die Stempel am Eingang im Untergeschoss der Turnhalle. Auf einmal möchte ein Gast ohne Stempel eingelassen werden und beginnt, sie zu beleidigen. Die Türsteherin stellt sich ihm in den Weg. Er rennt gegen sie an. Sie funkt nach Unterstützung. Kurz darauf sind Dayna und Nik da und nehmen den Mann mit. Er bekommt eine Verwarnung und muss einen Stempel holen. Als er wieder an Seraina vorbeikommt, sagt er wütend: «Ich hoffe, du kannst diese Nacht gut schlafen.»

Deeskalation ist  keine weibliche Eigenschaft, sondern eine Handlungsstrategie.

Physische und verbale Auseinandersetzungen sind Berufsalltag für Türsteher*innen. Da gilt es ruhig zu bleiben und schnell zu handeln. Und: Zu zweit ist besser als allein. Aber grundsätzlich begegnen Türsteherinnen Konfliktsituationen nicht anders als ihre männlichen Teamkollegen: Sie greifen im Ernstfall physisch durch.

Auch Anouk erlebt regelmässig solche Situationen im ISC. «Vor zwei Wochen musste ich einen rausstellen, der Frauen bedrängt hat», erzählt sie, «Er weigerte sich, freiwillig mit mir rauszukommen. Also habe ich ihm erklärt, dann müsse ich ihn halt rausstellen. Er: Wenn du das machst, mache ich hier alles kaputt. Dann begann er, Tische umzuwerfen. Da musste es schnell gehen, also habe ich ihn gepackt und rausgebracht». Dass sie dabei mehrere Treppen überwinden mussten und der Mann sich vehement wehrte, habe die Situation ziemlich gefährlich gemacht.

Türsteher*innen-Training

Die Verletzungsgefahr in solchen Situationen ist real. Kampfsporterfahrung war denn auch lange Zeit Voraussetzung für den Beruf. Das hat sich mittlerweile, unter anderem wegen akuten Personalmangels, geändert. Sowohl der ISC als auch Taktvoll führen nun regelmässig eigene Mitarbeitenden-Trainings durch. Dort werden den Teilnehmenden Handgriffe und physische Strategien beigebracht, um gewaltbereiten Gästen zu begegnen und sie rauszubringen. Das schafft nicht nur Vertrauen im Team, sondern soll auch Mitarbeitende ohne Kampfsport-Erfahrung schulen und auf solche Situationen vorbereiten.

«Erfahrung im Kampfsport kann ein gewisses Selbstvertrauen schaffen», so Dayna, die neben ihrer Arbeit bei Taktvoll als Kampfkunstlehrerin arbeitet, «Aber genauso wichtig sind die Erfahrungen, die man bei der Arbeit selbst macht. Auch wenn man Kampfsport macht, muss man erst lernen, Situationen richtig einschätzen zu können».

Unsichtbare Übergriffe

Unterschiedliche Eskalationen erfordern eben auch einen unterschiedlichen Umgang. So müssen die Türsteher*innen bei sexuellen Übergriffen anders vorgehen als bei Schlägereien. Im letzteren Fall müssen sie so schnell wie möglich eingreifen. Im ersteren ist das Bedürfnis und die Sicht der betroffenen Person entscheidend.

«Oftmals sind Übergriffe so subtil, dass wir sie nicht bemerken oder nicht von aussen einschätzen können, ob es sich um einen handelt oder nicht», so Cami. Deshalb sind Türsteher*innen bei Übergriffen darauf angewiesen, dass sie gemeldet werden.  «Und dann ist es wichtig, zuerst mit der betroffenen Person anzuschauen, was passiert ist und ob es für sie in Ordnung ist, wenn ich den übergriffigen Gast rausstelle.» Leider, das betonen durchwegs alle, würden solche Vorfälle noch viel zu selten gemeldet. Oft würden sie erst im Nachhinein davon erfahren.

Flirten und Laferen

Es ist 01:53 Uhr. Ein Gast verwechselt mich mit einer Türsteherin und versucht mich zu umarmen: «So schön, was ihr hier macht». Mit zunehmenden Alkoholpegel verlieren viele Gäste das Gefühl für Nähe und Distanz. Immer wieder lassen Gäste Sprüche fallen, versuchen mit den Türsteherinnen ins Gespräch zu kommen und zu flirten: «Dort drüben ist der Ausgang.» – «Kommst du mit?»

Manchmal bin ich Sozialarbeiterin, manchmal die grosse Schwester, die einen umarmt, wenn man es braucht, und manchmal bin ich eben die Strenge, die etwas durchsetzt und am Schluss das Arschloch ist.

«Das gehört einfach dazu», erklärt Seraina, die ebenfalls Jura studiert. Manchmal, solange die Leute freundlich bleiben, sei es in Ordnung, manchmal gehe es auch nur auf die Nerven. Türsteherinnen sind vermehrt mit solchen Situationen konfrontiert. Zwar erleben auch ihre männlichen Kollegen manchmal flirtendes Verhalten. Nik, einer der beiden Türsteher heute Abend und Mit-Gründer von Taktvoll, betont aber: «Es kann nicht mit den Erfahrungen verglichen werden, die weiblich gelesene Mitarbeiterinnen machen müssen. Die Häufigkeit, das Niveau und die teilweise grenzüberschreitende Art und Weise der Anmache, möchte ich nicht ertragen müssen.»

Vielfältige Arbeit und vielfältige Ziele

Kurz nach zwei Uhr morgens ertappe ich mich dabei, müde zu werden, von der lauten Musik, den Lichtreizen, den betrunkenen Gästen. Je länger die Nacht dauert, umso mehr merke ich, wie herausfordernd die Arbeit der Türsteher*innen ist: Den Überblick behalten, die Balance zwischen Freundlichkeit und Strenge wahren und im Umgang mit unzurechnungsfähigen Gästen situativ richtig reagieren – das alles kann belastend sein, macht die Arbeit aber gerade auch interessant. «Kein Abend ist wie der andere», sagt Dayna, als sich gegen Morgen die Menschenmassen im Klub etwas lichten und sie kurz durchatmen kann.

«In diesem Job muss ich ganz verschiedene Rollen einnehmen», meint Anna, die bis zu elf Mal im Monat als Türsteherin arbeitet, «Manchmal bin ich Sozialarbeiterin, manchmal die grosse Schwester, die einen umarmt, wenn man es braucht, und manchmal bin ich eben auch die Strenge, die etwas durchsetzt und am Schluss das Arschloch ist.»

Belohnend sei es dann, wenn man merke: Ich konnte jemandem helfen. Denn schlussendlich sei das eines der wichtigsten Ziele von Sicherheitsarbeit: Dass alle sich im Ausgang wohlfühlen, gerade auch vulnerable Personen.

Ein weiteres Ziel: den Einlass möglichst diskriminierungsfrei gestalten. Sowohl Taktvoll wie auch der ISC verzichten auf das, was man eine «harte Tür» nennt. Das heisst, am Einlass wird nicht selektioniert. Nur Personen, die sich übergriffig verhalten, sexistische oder rassistische Sprüche machen, bleiben draussen.

Zu Ende

Um 03:20 Uhr geht das Licht an. Einige Gäste tanzen noch vor dem DJ-Pult, einige liegen auf den Sofas am Rand der Tanzfläche. Alkohol und Müdigkeit haben Spuren in ihren Gesichtern hinterlassen. «Die Arbeit als Türsteherin hat mich auch ein wenig desillusioniert», meint Mara. Der Blick der Germanistik-Studentin auf Ausgang, Alkohol und Rausch habe sich verändert, seit sie den Gästen beim Erbrechen im Morgengrauen zuschauen muss. «Aber es hat mich persönlich weitergebracht.»

Um Punkt halb vier geht die Musik aus. Es war eine verhältnismässig ruhige Nacht. Zumindest in der Turnhalle. In der Aarbergergasse gab es zeitgleich eine Messerstecherei. Aber davon erfahren wir erst am nächsten Tag. Im PROGR gab es nicht mehr als ein, zwei Verwarnungen und eine Gruppe Jugendlicher, die rausgestellt wurden, weil sie im Club Pflanzen verschoben und den DJ belästigt hatten. «Ein bisschen Kindergarten», resümiert Dayna.

Nun bringt das Team die letzten Nachtschwärmer*innen ans Einlasstor und schliesst es hinter ihnen. «Schönen Abend euch.» Mara und Natascha kontrollieren noch einmal die Gänge des PROGR auf Sachschaden, dann treffen wir uns alle wieder in der Turnhalle zu Bier, Ingwerer und Debriefing. Im Raum ist es angenehm still ohne Musik und Menschenmassen. Endlich Feiermorgen.