Bilder, die im Dunkeln leuchten

von Svitlana Prokopchuk 12. April 2024

Malerei Die Künstlerin Olga Sabadin stammt aus dem Donbass und kam vor zwei Jahren in die Schweiz. In der Ausstellung «Mein Paradies» in Bern zeigt sie hier entstandene Werke.

In der Ukraine ist Olga Sabadin keine Unbekannte. Als Künstlerin und Anhängerin der Schule des ukrainischen Expressionismus wurde sie durch ihre Blumenbilder berühmt. Geboren und aufgewachsen ist sie in der Stadt Konstantinowka im Donbass, einer stark industrialisierten Region der Ukraine. Doch schon seit jungen Jahren faszinierte Sabadin die Schönheit ihrer Heimat. Vor allem erfreute sie sich an den Blumen im Garten ihrer Mutter. Diese Blumen strahlen nun in der aussergewöhnlichen Ausstellung «Mein Paradies», die an der Nussbaumstrasse 14 zu sehen ist. Durch die Verwendung von Neonfarben bringt die Künstlerin die Blumen im Dunkeln überirdisch anmutend zum Leuchten.

Das Wunder des blauen Lichts

Olga Sabadin arbeitete bereits in der Ukraine mit Neonfarben: Die Künstlerin war vom Kunststil des Fauvismus fasziniert – eine im frühen zwanzigsten Jahrhundert von französischen Künstlern verfolgte Kunstrichtung, die sich ganz auf die «Explosion» von Farben und Emotionen konzentrierte. Später setzte Sabadin diese Farben auch während ihrer Arbeit in China und Deutschland ein. Doch den magischen Effekt bei speziellem Licht erkannte sie erst in der Schweiz.

Als ich den magischen Effekt sah, den das ‚blaue‘ Licht erzeugte, war ich überwältigt.

«Direkt nach meinem Umzug lebte ich im Kanton Solothurn. Dort halfen mir die kunstliebenden Schweizer, meine erste Ausstellung zu organisieren. Sie fand in einem riesigen Raum statt, in dem nach einem Konzert professionelle Beleuchtungsausrüstung zurückblieb», erinnert sich Sabadin. «Ich stiess zufällig auf UV-Licht, als ich versuchte, das Licht im Raum einzuschalten. Als ich den magischen Effekt sah, den das ‚blaue‘ Licht erzeugte, war ich überwältigt. Früher war mir gar nicht bewusst, dass Gemälde solche Effekte haben könnten. Alles sah aus, als wären diese Leinwände speziell für dieses Konzept gemacht worden. Und ich verstand, dass ich dies von nun an bewusst tun werde.» Also überprüft die Künstlerin nun beim Malen die Anordnung der Elemente auf der Leinwand mithilfe einer UV-Lampe.

«Meine Kunst ist eine Schutzreaktion», gesteht die dreissigjährige Ukrainerin (Foto: David Fürst).

In Bern begann Sabadin intensiver zu arbeiten als irgendwo sonst. Die Künstlerin schuf über 50 Werke in den zwei Jahren, die sie in der Schweiz verbracht hat. Dank der Neonfarben experimentiert Sabadin viel und sucht nach neuen Formen. Ihre Kunst ist heute nicht nur auf Leinwänden in Privatsammlungen oder Ausstellungen zu bewundern – die Bewohner von Solothurn und Burgdorf können sich auch an den Wandgemälden und Graffitis im Stadtbild erfreuen, die Sabadin geschaffen hat.

Mit Kunst die ukrainische Kultur näherbringen

«Meine Kunst ist eine Schutzreaktion», gesteht die dreissigjährige Ukrainerin. «Farben und Pinsel lenken von den Nachrichten aus der Ukraine ab und helfen, Stress abzubauen. Ich male, um meine Gedanken zu stoppen. Die Malerei hilft, sich auf die Empfindungen des ‚hier‘ und ‚jetzt‘ zu konzentrieren.» Aber in ihrer Kunst, erklärt Sabadin, stecke auch eine andere Aufgabe: den Menschen die Ukraine näher zu bringen.

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Das setzt die Künstlerin in ihren Ausstellungen direkt um. So werden die Besucher*innen mit ukrainischen Gerichten bewirtet, hören musikalische Werke ukrainischer Komponist*innen und Sabadin erzählt ihnen von der Geschichte und Kultur ihres Landes. «Im Gespräch mit den Besuchern habe ich erkannt, dass viele Menschen die Ukraine nicht von Russland trennen, unser unabhängiges Land als Teil der Sowjetunion betrachten, die seit über 30 Jahren nicht mehr auf der geopolitischen Weltkarte existiert. Und sie realisieren nicht, dass die Ukraine ein entwickeltes Land ist, in dem die meisten Menschen Wohnungen oder Häuser sowie Autos in Privatbesitz haben, manchmal sogar mehrere pro Familie.»

Die Gemälde, die mit Öl- und Acrylfarben gemalt wurden, befinden sich in privaten Sammlungen in der Schweiz, den USA, Kanada, Grossbritannien, Australien, Frankreich, Österreich, Deutschland, den Vereinigten Arabischen Emiraten und der Ukraine. «Die Leute sind oft erstaunt, dass ich in einem Alter von dreissig Jahren einen so umfangreichen kreativen Schaffensprozess habe», sagt Sabadin. Aber im Gegensatz zu den Schweizern seien die Ukrainer spontan und hätten einen ganz anderen Lebensrhythmus. Zum Beispiel würden hiesige Galerien Ausstellungen für drei bis fünf  Jahre im Voraus planen. Ukrainer*innen würden dagegen aufgrund des Krieges nicht einmal von einer solchen strategischen Planung träumen – wer weiss, was in einem Monat passieren wird.

Verändere dich selbst und die Welt um dich herum wird sich auch verändern.

«Die Schweizer geniessen das Leben mehr, entspannen sich sogar in ihrer beruflichen Tätigkeit. Ukrainer arbeiten und sind manchmal in mehreren Projekten gleichzeitig tätig. Meine Botschaft an die Menschen soll sein: Liebe und geniesse das Leben in jeder Situation! », sagt Sabadin.

Das Paradies erschaffen

Daher ist auch der Name der Ausstellung symbolisch. Denn das Paradies, wie die Künstlerin es versteht, handelt von den tiefen Qualitäten der Erziehung jedes Einzelnen, dem Guten, der Energie, die aufbaut und nicht zerstört. «Der Mensch ‚kommt‘ auf diesen Planeten, um sich zu entwickeln und zu bauen», fügt Sabadin hinzu, «und mein Aufruf an jeden, unabhängig von Herkunft oder Land, wo er sich befindet: Verändere dich selbst und die Welt um dich herum wird sich auch verändern.»

Nun ist Olga Sabadin also in Bern und widmet sich der Landschaft in und um die Bundesstadt. Aber sie malt auch weiterhin viele Blumen. Mohnblumen, Sonnenblumen und Lilien. Sie sind für die Künstlerin Erinnerungen an ihre Heimat im Donezkgebiet, dessen Geschichte sie nach der ersten russischen Invasion in die Ukraine im Jahr 2014 intensiv zu erforschen begann. Die Blumen stehen auch für die familiäre Verbindung zwischen ihr und ihren Vorfahren. Ein Symbol für Lebensweisheit, Mutterschaft, die Schönheit des ukrainischen Donbass und jenes kleinen Paradieses, das im Garten ihrer Mutter existierte, bevor russische Raketen und Bomben kamen.

Die Ausstellung an der Nussbaumstrasse 14 ist noch dieses Wochenende offen für Besucher*innen (Foto: David Fürst).