Bewegung bei den Onlinemedien in Bern

von Willi Egloff 2. September 2022

Vor 10 Jahren startete mit Journal B in Bern das erste reine Onlinemedium. Im laufenden Jahr sind in der Region drei weitere Plattformen dazugekommen, welche ihr Publikum ausschliesslich online suchen.

Dass Zeitungen ihre Leserschaft auch über eine Onlineplattform zu erreichen suchen, ist heute selbstverständlich. Wer den Berner Landboten, den Bernerbär oder die fusionierten Bund/BZ lesen will, kann dies auch online tun. In gleicher Weise bieten die Lokalradios ihre Sendungen auf dem Internet zum Mithören und auch zum Nachhören an. Bei Bund und Berner Zeitung ist ein Grossteil der Inhalte allerdings hinter einer Paywall versteckt, so dass sie nur gegen Bezahlung gelesen werden können.

Das Publikum ausschliesslich im Internet anzusprechen, war im Jahre 2012, als Journal B seinen Betrieb aufnahm, noch sehr aussergewöhnlich. Selbst die damalige Vorreiterin der Onlinemedien, die Basler Tageswoche, brachte neben dem Onlineangebot auch noch jede Woche eine gedruckte Zeitung auf den Markt.

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Zehn Jahre später scheint sich die Situation zu wandeln. Allein im Raume Bern werden seit einigen Monaten nicht weniger als vier reine Onlinemedien angeboten: Neben Journal B verbreiten auch die Hauptstadt, die von der CH Media AG betriebene Plattform BärnToday und die Jungfrau Zeitung ihre Inhalte ausschliesslich über Internet.

Vermeidung von Druck- und Versandkosten

Diese Entwicklung ist neben journalistischen vor allem auch ökonomischen Überlegungen geschuldet. Wie einem Interview von Nick Lüthi mit dem Verleger der Jungfrau Zeitung, Urs Gossweiler,in der Medienwochezu entnehmen ist, stellte dieser schon 1999 in der Handelszeitung den Verzicht auf eine gedruckte Version der damaligen Regionalzeitung für das Berner Oberland in Aussicht. Die Kosten für den Druck und für den Versand in dem eher dünn besiedelten Einzugsgebiet waren schon damals so hoch, dass sie die Existenz der Zeitung in Frage stellten.

Umgesetzt wurde der Plan aber erst im März 2020, indem der Verlag die Herausgabe des bis dahin noch zweimal wöchentlich erscheinenden Printproduktes einstellte. Da aber der Markt für Online-Werbung im Berner Oberland als zu klein erschien, um den verbleibenden Betrieb finanzieren zu können, musste gleichzeitig Publikum aus andern Gebieten hinzugewonnen werden. Mit diesem Ziel hat die Jungfrau Zeitung ihre Redaktion Anfang dieses Jahres auf zur Zeit 10 Vollzeitstellen ausgebaut, und sie berichtet nun aus dem gesamten Gebiet des Kantons Bern.

Nur ein Onlinemedium kann gleichzeitig Texte, Bilder, Radiobeiträge und Filme publizieren.

Auch bei Journal B trugen ökonomische Überlegungen zum Entscheid bei, von Anfang an auf eine gedruckte Zeitung zu verzichten. Die Herstellung und der Vertrieb eines Printproduktes erschien fernab der finanziellen Möglichkeiten. Hinzu kam aber auch die angestrebte Vielfalt der Publikationsformen: Nur ein Onlinemedium kann gleichzeitig Texte, Bilder, Radiobeiträge und Filme publizieren oder auch Veranstaltungen live übertragen, wie es bei Journal B von Anfang an der Fall war. Ein Printprodukt hätte diese Vielfalt nicht abbilden können.

Zusammenführung von Werbeplattformen

Einen andern Hintergrund hat die seit dem Sommer aufgeschaltete Plattform BernToday, welche von der CH Media AG betrieben wird. In ihr werden die Beiträge der dem gleichen Verlagshaus gehörenden Sender Radio Bern1 und Telebärn zusammengefasst und durch Texte und Bilder ergänzt, die speziell für den Online-Dienst verfasst werden. Dieses Konzept hatte der Verlag in den Jahren zuvor bereits in den Regionen Aargau (ArgoviaToday), Luzern (PilatusToday), Ostschweiz (FM1Today) und Zürich (ZüriToday) erfolgreich getestet. Es zielt, wie auch die redaktionelle Neuorientierung der Jungfrau Zeitung, auf den regionalen Online-Werbemarkt, der mit den jeweiligen regionalen Radio- und Fernseh-Werbemärkten zusammengeführt werden soll.

Die Ausrichtung auf Online-Werbung zeigt sich direkt in der Themenwahl: Ziel von BernToday und der Jungfrau Zeitung ist es, im Einzugsgebiet der Plattformen eine möglichst grosse Reichweite zu erzielen. Bevorzugt werden daher Inhalte, die im ganzen Kanton und darüber hinaus Publikumsinteresse wecken. Gesellschaftliche Ereignisse, Berichterstattung über regionale Prominenz und Ähnliches stehen daher im Vordergrund, während die lokale Politik und die Kultur eher Nebenschauplätze sind.

Werbefreiheit und Community-Finanzierung

Demgegenüber verzichten sowohl Journal B als auch die Hauptstadt gänzlich auf Werbung. Das erlaubt es, die Inhalte ganz auf das anvisierte städtische Publikum auszurichten und insbesondere der lokalen Politik einen grossen Stellenwert beizumessen. Allerdings können diese Modelle nur funktionieren, wenn die lokale Leserschaft bereit ist, für diese Inhalte zu bezahlen.

Dabei praktiziert die Hauptstadt ein dem traditionellen Zeitungsabonnement entsprechendes Modell: Die Inhalte werden hinter einer Paywall versteckt, welche nur für bezahlende Kundinnen und Kunden aufgehoben wird. Demgegenüber sind alle Inhalte von Journal B im Netz frei zugänglich, und die Finanzierung erfolgt über Mitgliederbeiträge des Trägervereins und durch Spenden. Es liegt auf der Hand, dass beide Finanzierungsarten keine allzu grossen Sprünge ermöglichen.

Hoffnung für den Service public?

Die plötzliche Vielfalt von Onlinemedien auf dem Medienplatz Bern sollte allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass dadurch weder eine Vielfalt der Inhalte noch die Nachhaltigkeit eines lokalen oder regionalen Informationsaustausches gewährleistet werden. Ein Service public für gesellschaftlich relevante Information auf lokaler oder regionaler Ebene ist durch das Nebeneinander solcher Plattformen wohl nicht zu erreichen. Bei den werbefinanzierten nicht, weil ihre Inhalte vom Streben nach Reichweite bestimmt sind und daher Überregionales privilegieren, bei den werbefreien nicht, weil sie mit ihren bescheidenen Redaktionsgrössen nicht über die notwendigen Ressourcen verfügen.

Überlegungen zur Wirtschaftlichkeit sprechen eben nicht für einen Ausbau, sondern für die Reduktion der lokalen und regionalen Berichterstattung, wie dies die Tamedia AG mit der Zusammenlegung von Bund und Berner Zeitung eindrücklich demonstriert hat. Lokale und regionale Information ist nämlich äusserst aufwändig und teuer, richtet sich aber immer nur an sehr begrenzte Publika. Das ist über Werbung nicht nachhaltig zu finanzieren.

Wie kann gewährleistet werden, dass auf lokaler Ebene ein öffentlicher Diskurs stattfindet?

Wie unter solchen Umständen trotzdem ein Service public für den lokalen und regionalen Informationsaustausch gesichert werden kann, ist im Moment keineswegs klar. Wie kann gesichert werden, dass Informationen über lokale Themen, über den kommunalen Parlamentsbetrieb und über kommunale Abstimmungen, über kulturelle Anlässe auf lokaler oder regionaler Ebene usw. ausreichend berichtet wird, auch wenn sie nicht von überregionalem Interesse sind? Wie kann gewährleistet werden, dass über diese Fragen auf lokaler Ebene ein öffentlicher Diskurs stattfindet? Wer informiert in Zukunft über das lokale Kulturleben?

Diese und ähnliche Fragen sind Gegenstand einer Podiumsdiskussion, die Journal B am 17. September um 11 Uhr im Rahmen seines 10-Jahres-Jubiläums im “Wartsaal” veranstaltet. Das Programm dieser Veranstaltung finden Sie hier.