Betroffene zu Beteiligten machen

von Stephanie Schär 20. Januar 2015

Im öffentlichen Raum eines Quartiers prallen verschiedene Bedürfnisse aufeinander. Das kann zu Konflikten führen. Im Stadtteil VI besteht seit 2010 ein Beschwerdemanagement, das erlaubt, Konflikte rasch und koordiniert anzugehen.

Julia Rogger ist Vertreterin der VBG Quartierarbeit in der Koordinationsgruppe Beschwerdemanagement. Sie stellt das Instrument im Interview mit Stephanie Schär vor.

Das Beschwerdemanagement wurde auf Initiative der Quartierkommission QBB von der Stadt lanciert. Was war der konkrete Anlass dazu?

Es gab in Bern West immer wieder mal Konflikte im öffentlichen Raum, bei denen die Intervention der Behörden nicht die gewünschte Wirkung erzielte. So kam man zur Einsicht, dass bei Konflikten die Zusammenarbeit mit lokalen Akteuren vor Ort notwendig ist. Ein runder Tisch wurde einberufen, wo Lösungen erarbeitet wurden. Das war der Anfang des Beschwerdemanagements. Vor 2010 war Pinto [Anmerkung: aufsuchende Sozialarbeit in Kombination mit ordnungsdienstlichen Interventionen] nur in der Innenstadt tätig. Mit dem Beschwerdemanagement wurde Pinto nun auch aktiv im Stadtteil VI. Zusammen mit verschiedenen Playern vor Ort konnten die Konflikte fortan koordinierter angegangen werden.

Wer sind die häufigsten Verursacher für Beschwerden? Und welche Art von Beschwerden treffen beim Beschwerdemanagement ein?

Jugendliche sind immer wieder mal Anlass für Beschwerden. Wenn Lärm, Abfall und Sprayereien vorliegen, stehen aber nicht immer Jugendliche dahinter. Oftmals weiss man gar nicht, wer die Verursacher sind. Aktuelle Beispiele sind beispielsweise Sachbeschädigung und Littering im Brünnenpark oder lärmende Jugendliche, welche die Chleehusbewohner in Atem halten.

Was unternimmt das Beschwerdemanagement im Fall Chleehus?

Im Fall Chleehus sind die Beschwerde Verursachenden junge Erwachsene. Es ist nicht unser Ziel, diese Gruppe zu verjagen, sondern mit allen Beteiligten nach einer Lösung zu suchen. So konnte zusammen mit einem Wirt, der im Chleehus ein Restaurant betreibt und einen guten Zugang zur Gruppe hat, mittels Gesprächen eine Entspannung der Situation herbeigeführt werden.

Was sind die grössten Herausforderungen bei euren Interventionen?

Es ist eine grosse Herausforderung, Betroffene des Konfliktes dazu zu bringen, sich selber aktiv an der Problemlösung zu beteiligen. Viele Leute wissen auch nicht, wohin sie sich wenden können, wenn sie etwas beobachten, dass sie stört. Wir haben deshalb eine Übersicht über die Alarmierungsnummern erstellt. Diese Liste kann auf www.qbb.ch heruntergeladen werden. Eine weitere Herausforderung sind oftmals auch bauliche Situationen vor Ort. Nochmals am Beispiel Chleehus verdeutlicht: Das Chleehus besteht vorwiegend aus Gewerbefläche, die abends geschlossen ist. Dadurch ist der Ort abends wenig belebt und es findet kaum soziale Kontrolle statt. Jugendliche, die dort in normaler Lautstärke Musik hören, werden sofort von den Bewohnenden als störend empfunden, da die bauliche Struktur die Musik zum Hallen bringt.

Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit den Liegenschaftsverwaltungen?

Zu den grösseren Liegenschaftsverwaltungen in Bern West haben wir Kontakt. Wir organisieren Treffen und stellen den Verwaltungen dort das Beschwerdemanagement vor. Aktuell sind wir daran, eine spezifische Schulung für Hauswarte zu entwickeln, um die sie in ihrer Funktion als Vermittlungspersonen zu stärken. Aus unserer Sicht übernehmen Hauswarte eine zentrale Rolle in den Liegenschaften um Konflikten vorzubeugen oder sie zu entschärfen.

Wie sieht die Bilanz nach vier Jahren Beschwerdemanagement aus?

Die institutionalisierte Vernetzung und Zusammenarbeit zwischen den Organisationen ist sehr wertvoll. Das Beschwerdemanagement trägt wesentlich dazu bei, dass Konfliktsituationen gut gelöst werden können. Ein sichtbares Beispiel ist der Bachmättelipark in Bümpliz. Vor der Umgestaltung des Parks beklagten sich immer wieder Anwohnende über die Präsenz von randständigen Bevölkerungsgruppen auf dem Spielplatz. Das Beschwerdemanagement hat sich im Zuge des Baus Tram Bern West für eine Umgestaltung des Parks eingesetzt, wo alle Nutzergruppen Platz haben. Es wurde eine Baumpflanzaktion organisiert, an welcher sich alle Gruppen beteiligten, und eine Spielkiste für Kinder initiiert, die von einem Freiwilligenteam regelmässig betrieben wird. Heute kommen alle Nutzergruppen aneinander vorbei und es sind keine Beschwerden mehr eingegangen.