Es ist ein wahrgewordener Traum, der vor rund drei Jahren mit einem ersten Gedankenspiel begann. Das 140-jährige Haus von Li Marti am Aarehang über dem Bärengraben war etwas in die Jahre gekommen. Sie bewohnte es zusammen mit einem ihrer drei Söhne Cedric und dessen Familie. Der Ersatz der Heizung stand an, auch sonst waren einige Reparaturen fällig. Man musste sich überlegen, wie die anstehenden Aufgaben zu stemmen wären.
Damit kam der Stein ins Rollen. Die Söhne, inzwischen alle über 40 und Familienväter, begannen sich Gedanken zu machen, wie es mit ihrem Elternhaus weitergehen könnte. Die Liegenschaft war zwar renovationsbedürftig, aber das 870 Quadratmeter messende Terrain lagebedingt sehr wertvoll, allerdings auch hoch belastet. Für einen umfassenden Umbau fehlten die Mittel. Da reifte die Idee, ein neues Haus zu bauen mit Platz für mehr Personen. Heute – drei Jahre später – wohnen auf der gleichen Parzelle, in einem umweltgerecht gebauten Holzhaus, 12 Personen: zwei junge Familien mit zusammen vier Kindern und insgesamt vier Grosseltern.
Und so sieht das Projekt aus Sicht einiger Bewohnerinnen heute aus:
Li Marti, 74, ursprüngliche Haus- und Landbesitzerin, Rentnerin:
Das alte Haus loszulassen, war nicht einfach. Ich habe mein ganzes Leben lang darin gewohnt. Als Kind, als Familienmutter, als Grossmutter… Die Umbauidee hat mich schon sehr bald begeistert. Selber wäre ich nie auf die Idee gekommen. Ich hatte ja keine Ahnung, wie man das anpackt: rechtlich, finanziell, technisch usw. Aber als es konkret wurde, sah ich sofort die Möglichkeiten, die sich auftaten.
Schwierig war für mich nur, als das alte Haus weg war. Da dachte ich plötzlich: Ums Himmels Willen, auf was habe ich mich eingelassen? Dieses Haus mit seiner Geschichte, der grosse Garten mit der alten Eibe, der Tanne, dem Magnolienbaum… alles einfach weg. Die Jungen organisierten dann ein grosses Fest. Da blieb für Wehmut kein Platz mehr. Ich wusste ja: es entsteht etwas Neues. Was auch entlastete: erbrechtlich war nun alles geklärt. Da war meine Schwiegertochter Martina uns eine grosse Hilfe. Das ist – denke ich – das Wichtigste an einem derartigen Projekt: niemand darf sich benachteiligt fühlen.
Während des Umbaus wohnte ich bei meinem Partner und liess die Jungen machen, planen, entscheiden. Jetzt bin ich einfach froh, dass alles so gut geraten ist. In jeder Hinsicht. Ich muss mir keine Sorgen mehr machen. Das entlastet im Hinblick auf die kommenden Jahre. Ich kann in diesem Haus bleiben, bis es nicht mehr geht. Wir haben einen Lift, die ganze Wohnung ist schwellenfrei. Und meine neue Wohnung ist viel praktischer und viel grosszügiger als die alte verwinkelte. Ich bin einfach nur happy. Dass ich im Quartier bleiben konnte, da, wo ich ein Leben lang gewohnt habe, ist natürlich das Schönste.
Etienne Marti und Martina Däpp, 43 und 40, Lehrer und Juristin, Sohn bzw. Schwiegertochter von Li:
Etienne: Den Ausschlag gab eine Sitzung mit meiner Mutter, meinen beiden Brüdern und meinem Götti, der Architekt ist. Wir schauten uns die Gesamtsituation an und stellten fest, dass die vorhandenen Mittel nicht reichen für einen grösseren Umbau. Deshalb begannen wir an einen Neubau zu denken. Und damit kam auch unsere Familie ins Spiel.
Martina: Dank dieser Auslegeordnung stellten wir überrascht fest, dass das alte Haus nicht, wie immer vermutet, denkmalgeschützt war. Wir liessen dann durch einen Architekten eine Machbarkeitsstudie erstellen. Er riet uns, ein grösseres Haus mit fünf Wohnungen zu bauen und zwei davon zu verkaufen. Das kam für uns aber nicht in Frage. Deshalb fragten wir meine Eltern und die Mutter von Cédrics Frau Kiah, Julie Armstrong, ob sie sich eine Beteiligung an unserem Projekt vorstellen könnten.
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Etienne: Der Generalunternehmer, ein Holzfachmann, machte uns schliesslich ein Projekt: dreistöckig, 20 x 13 Meter mit fünf Wohnungen. Glücklicherweise hat sich die Zuteilung der einzelnen Wohnungen dank unterschiedlichen Bedürfnissen und Wünschen von selbst ergeben. Die beiden jungen Familien erhielten die grossen Wohnungen (ca. 110 m2) zugeteilt, die Eltern bzw. Grosseltern die kleineren. Dass wir uns bereits da schnell einig waren, wirkte sehr entlastend und war sowohl rechtlich wie emotional extrem wichtig.
Martina: Als Rechtsform wählten wir Stockwerkeigentum. Das war das einfachste und ermöglicht jeder Partei Gestaltungsfreiheit innerhalb der eigenen vier Wände. Die Finanzierung war dann noch knifflig genug. Die grossen Banken wollten jedenfalls nicht mitmachen. Zu mühsam, zu riskant, sagte man uns. Eine kleine Bank stieg schliesslich ein.
Etienne: Auch familienintern musste einiges geregelt werden. Es durfte keine Benachteiligten geben. Der dritte Bruder, der mit seiner Familie in Basel wohnt, musste entschädigt werden.
Martina: Wir haben dann zum Glück einen Notar gefunden, der sich auf dieses komplizierte Geschäft einliess. Er hat schnell gemerkt, worum es uns geht. Es mussten ja ganz viele Verteilschlüssel gefunden werden. Wir haben z.B. ganz streng limitierte Vorkaufsrechte festgelegt. Man kann also mit den Wohnungen nicht spekulieren. Das ist familienintern natürlich möglich. Der Generalunternehmer hat uns gleich zu Beginn gesagt: ich steige nur ein, weil ihr diesen Bau als Familie plant. Alles andere wäre mir zu riskant.
Walter und Marianne Däpp, 75 und 74, Rentner, Eltern von Martina:
Walter: Wir kamen erst ins Spiel als vieles schon angedacht war. Ich sehe unsere Rolle so: Die Jungen hatten die Idee, wurden unterstützt von ihrer Mutter, sie strampelten bildlich voraus. Wir fuhren mit, dachten mit, stellten Fragen, halfen ab und zu stossen, aber wir liessen sie fahren. Und haben jedenfalls nicht gebremst. Jetzt sind wir Alten die grossen Profiteure. Unsere Situation ist einfach grossartig. Möglich wurde das nur, weil alle Beteiligten es genauso wollten.
Marianne: Der Umzug von unserer grossen Fünfzimmermietwohnung – nach 45 Jahren! – erforderte schon einige Anpassungen. Jetzt haben wir noch drei Zimmer; aber es reicht vollkommen. Die Wohnung ist sehr offen gestaltet, hindernisfrei, praktisch, mit viel Stauraum und erst noch mit einem grossen Garten, den vor allem Cédric – zusammen mit seiner Frau Kiah und der Schwiegermutter Julie – engagiert «chüderlet».
Walter: Dank fünf abgetrennten Wohnungen können sich alle bei Bedarf auch zurückziehen und sind doch eingebettet in diese Wohngemeinschaft. Wir Grosseltern können einspringen beim Hüten der Enkel und können uns auch darauf verlassen, dass wir bei Bedarf Hilfe von unseren Jungen erhalten.
Marianne: die ganze fast dreijährige Planungsphase haben wir anstrengend, aber auch sehr schön und bereichernd erlebt. Wollen wir einen Lift? Welche Heizung wählen wir? Kommen Solarpanels aufs Dach? Das waren alles Fragen, die von den Jungen vorgespurt und dann gemeinsam überlegt und gelöst werden mussten. Dazu kamen natürlich all die Fragen rund um die gemeinsame Nutzung von Nebenräumen.
Walter: Wir sind nun eigentlich verblüfft, im Alter plötzlich Wohnungsbesitzer zu sein. Aber die monatliche finanzielle Belastung ist kleiner geworden. Unser Erspartes steckt jetzt hier in diesem Haus. Was gibt es Besseres?! Uns ist aber sehr wohl bewusst: wir sind sehr privilegiert. Dass wir an dieser Lage in Bern einen Neubau planen und bauen konnten, das ist mehr als ein Sechser im Lotto.
Bilanz ein halbes Jahr nach Bezug
Alle Bewohner*innen sind total zufrieden. Niemand ist naiv. Alle sagen: klar, es kann – wird sicher! – Konflikte geben, aber wenn wir nicht in der Lage sind, diese zu lösen, dann haben wir dieses Glück nicht verdient.
Die Lösung sei eine «win-win-win-Situation», sagt einer. Und nur möglich geworden, weil alle am gleichen Strick zogen und allen klar war: mit diesem Grundstück wird nicht spekuliert. Auch ist allen bewusst, dass jeder und jede auf seine Weise zum Gelingen beigetragen hat bzw. beiträgt. Mit Arbeit, Fachwissen, Finanzen und Offenheit.
Die Schlussabrechnung ist noch nicht ins Haus geflattert. Aber jetzt schon sagen alle: wir wohnen günstiger als vorher – und vor allem: in jeder Hinsicht besser.
Interessant ist: alle betonen, das Projekt haben wir nur realisieren können, weil allen immer klar war, dass es nicht an einer Kleinigkeit scheitern darf. Und weil niemand den grossen Profit machen wollte. Unisono sagen sie: man hätte mit diesem Grundstück viel Geld machen können. Aber was will man mit Geld?