Berns trügerische Idylle

von Annina Häusli 19. April 2013

Bern, eine friedliche, unschuldige Stadt? Nicht nur, wie ein Rundgang des Vereins StattLand im Rahmen der Criminale 2013 zeigt. In 90 Minuten durch Bern, vorbei an verschiedenen Tatorten aus literarischen Werken.

Das Quartier Bellevue sieht friedlich aus. Eine Gruppe Frauen übt Nordic Walking und ein paar Kinder spielen auf dem Rasen im Innenhof. Doch die Idylle trügt. Denn genau hier, wo wir uns befinden, wurde am 6. Mai 1982 ein Junge erschossen. Jedenfalls im Roman «Bellevue» von Alexander Heimann. Dies erfahren wir von einer Frau mit Sonnenbrille, die plötzlich in die Gruppe reinplatzt. Anna Küng, eine Berner Studentin und die Rundgangführerin, erzählt anschliessend etwas über den Autor, der 2003 verstorben ist und genau in diesem Quartier gelebt hat.

Enges, düsteres und morbides Bern

Anschliessend geht es weiter in Richtung Rosengarten. Paul und Sabine Weber hat der Anfang des Rundgangs gefallen. «Die schauspielerische Einlage kam überraschend, war aber gut gemacht», meinen die beiden zur ersten Station der Führung. Sabine Weber hat ihrem Vater Paul den Rundgang zum 75. Geburtstag geschenkt. Sie beginnen bereits zu rätseln, um welches Buch oder welchen Autor sich die nächste Station drehen wird. «Vielleicht Glauser, oder eines von Dürrenmatt?». Im Rosengarten angekommen, macht Anna Küng auf die schöne Aussicht aufmerksam. Doch auch hier wird sie von einer Frau unterbrochen. «Schöne Aussicht? Für Sie vielleicht, aber wenn ich auf die Stadt herunterblicke, sehe ich nur Tatorte. Sehen Sie dort das Münster?

Eine Frau wurde von ihrem Mann hinuntergestossen. Oder die Aare: Schon unzählige Leichen wurden aus dem Fluss gefischt», versucht sie die Aussicht zu vermiesen. Als die Frau wieder verschwunden ist, bestätigt Küng dies. Viele Autoren wie Friedrich Dürrenmatt oder Friedrich Glauser haben Bern schon zum Schauplatz zahlreicher Verbrechen gemacht. In ihren Krimis kam Bern noch eng, düster und morbid rüber. Doch in neueren Werken von modernen Autoren wird Bern wieder fröhlicher dargestellt.

Der Meister der Stimmungsbilder

Die nächste Station heisst Gerechtigkeitsgasse 44. Doch nicht alles ging in der literarischen Geschichte so gerecht zu und her, wie der Name es vielleicht vermuten lässt. In «Die Fieberkurve» von Friedrich Glauser wird hier eine tote Frau in einem Clubsessel aufgefunden. Gleichzeitig wird auch ihre Schwester in Basel in ihrer Wohnung tot in einem Sessel gefunden. Glauser, der ein Meister der Stimmungsbilder war, lässt auch einiges aus seinem Leben in den Krimi einfliessen. So hatte er eine Geliebte namens Tschudi, welche im Roman die Nachbarin der Toten verkörpert, die ihn verliess und welche deshalb im Roman eher negativ dargestellt wird. Auch hier taucht wieder die Frau auf und erzählt, was genau in diesem Haus passiert ist.

Leiche im Räderwerk des Zytglogge

Den beiden Studierenden Ruedi Pauli und Jarmila Ryffel gefällt der Rundgang. «Ich habe bereits einen anderen Rundgang des Vereins besucht, und da diese Führung für Berner Studenten gratis ist, dachte ich: warum nicht?», erzählt Pauli.

«Wenn ich auf die Stadt hinunterblicke, sehe ich nur Tatorte.»

Zitat vom Rundgang «Bern kriminell»

Beim Zytglogge angekommen, taucht die rätselhafte Frau als französische Touristin verkleidet wieder auf. «Isch wollte da dieses Gloggenspiel se’en, mais es ist nischts passiert!», regt sie sich auf und verschwindet wieder. Anna Küng klärt auf: Dies sei tatsächlich schon mal passiert, im Kurzkrimi von Paul Lascaux, «Un-Zyt-Glogge», in dem das Glockenspiel nicht funktioniert, weil sich eine Leiche im Räderwerk verfangen hat.

Auch das Luxushotel Bellevue Palace war schon Schauplatz in diversen Krimis. So auch in John Le Carrés «Ein blendender Spion». Pym, ein Doppelagent, steigt im Bellevue ab, um im Auftrag seines Vaters eine Übergabe von Kunstgegenständen zu überwachen. Doch etwas geht schief und Pym muss untertauchen. Die Frau in der Rolle von Pym taucht auf und versucht, in das Hotel zu gelangen, was ihr aber nicht gelingt, da die Zimmerrechnung nicht bezahlt wurde.

Wilde Verfolgungsjagd

Die letzte Station des Rundgangs ist der Waisenhausplatz. Hier spielte sich in Paul Wittwers Roman «Widerwasser» eine wilde Verfolgungsjagd quer über den Platz bis zum Polizeipräsidium ab. Diese wird mit grossen Gesten und Worten anschaulich von der mysteriösen Frau, die uns schon den gesamten Rundgang gefolgt ist, illustriert.

Zum Schluss wird die Identität der Frau endlich gelüftet: Claudia Gerber, die auch andere Rundgänge mit ihren schauspielerischen Fähigkeiten bereichert, stellt sich vor und erntet lauten Applaus. Auch Anna Küng wird mit Applaus bedacht und verabschiedet sich. Die Leute machen sich auf den Heimweg. Bern werden sie jetzt sicherlich mit etwas anderen Augen wahrnehmen.