2019, vor dem Ausbruch von Corona, traten sie vor die Medien: Die kantonale Kulturdirektorin, der Stadtpräsident, der Präsident der Burgergemeinde. Sie stellten das Projekt Museumsquartier Bern vor (MQB), einen losen Zusammenschluss und eine enge Zusammenarbeit von elf Kultur- und Bildungseinrichtungen im unteren Kirchenfeld zwischen Brückenkopf, Helvetia-, Berna- und Kirchenfeldstrasse. Eine Kulturmeile, wie sie gleichzeitig das Kunstmuseum Bern an der Hodlerstrasse behauptete, sollte entstehen. Verbindungen über und unter der Erde, ein Garten als Naturoase, vor allem aber: ein gemeinsames Verständnis der Schatzkammer, die diesen Häusern zu unserem Nutzen und zu unserer Freude anvertraut ist, Depoträume zur Bewahrung der hunderttausenden von Objekten, ein Niederreissen der realen und geistigen Zäune, ein Neudenken des Museums als Ort gesellschaftlichen Nachdenkens über unsere Herkunft und Zukunft.
Ein Blick zurück
Zum Unglück wurden in den Medien primär zwei Zahlen aufgegriffen: 250 Millionen Franken würden maximale bauliche Erweiterungen kosten (einschliesslich Sanierung des Historischen Museums). Und eine Verdoppelung der Besucher*innenzahl sollte dereinst die Richtigkeit des Vorhabens bezeugen. Wer genau hinhörte und mit Verantwortlichen redete, merkte, dass keine Grossmannssucht am Werk war, sondern im Gegenteil ein sorgfältiges Herantasten an das Mögliche, vielleicht mit engem Zeitkorsett.
Die Museen und der freie Platz zwischen ihnen ziehen grosse und kleine Besuchende an, die das Quartier auch an Sonntagen beleben.
Dann kam Corona, die Welt stand still, die Museen blieben geschlossen, organisatorische Schritte blieben unsichtbar. Just vorher noch war das Museum für Kommunikation mit dem EMYA Council of Europe Prize ausgezeichnet worden.
Was ist das Museumsquartier?
Inmitten des unteren Kirchenfelds, zwischen Helvetiaplatz und Kirchenfeldstrasse, liegt in Form eines länglichen Rechtecks das Museumsquartier. Es ist ohne übergeordnete Idee entstanden. Den Anfang machte 1894 das schlossartige Historische Museum am südlichen Brückenkopf der Kirchenfeldbrücke. 1931 entstand nahe dem Bundesarchiv aus Platzmangel die ursprünglich im gleichen Gebäude untergebrachte Landesbibliothek (heute Nationalbibliothek). Nach und nach kamen die Kunsthalle, das Naturhistorische Museum der Burgergemeinde (später ergänzt durch einen Erweiterungsbau), das Alpine Museum der Schweiz (neu: ALPS), das Schützenmuseum und das Museum für Kommunikation hinzu. Die Museen und der freie Platz zwischen ihnen – ehemals ein Fussballfeld – ziehen grosse und kleine Besuchende an, die das Quartier auch an Sonntagen beleben.
Die Geburt der Idee
Als klar wurde, dass das 1892-1894 errichtete Historische Museum umfassend saniert werden und für den seit langem beklagten Mangel an Depoträumen Abhilfe geschaffen werden muss, beschloss eine Projektgruppe unter Leitung der Burgergemeinde Bern, die Zukunft der Museen im Quartier gesamthaft und gemeinsam anzugehen. Miteinbezogen sind das Schweizerische Schützenmuseum, das Naturhistorische Museum, das Museum für Kommunikation, das Alpine Museum, die Nationalbibliothek, die Kunsthalle, das Institut für Bildungsmedien der Pädagogischen Hochschule Bern, das Yehudi Menuhin Forum, das Stadtarchiv und das Gymnasium Kirchenfeld. Die unterschiedlich getragenen und finanzierten Häuser gründeten im Sommer 2021 einen Verein. Dessen Zweck knüpfte nur lose an früheren gemeinsamen Initiativen an, so dem Museumszentrum 1966 und dem Kulturgüterzentrum «Unteres Kirchenfeld» in den frühen 1980er Jahren. Beide sind weitgehend gescheitert.
«Under construction»
2019 wurde – Journal B berichtete – die Machbarkeitsstudie von Dieter Bogner, Wien, für das Museumsquartier vorgestellt. Bogner hatte unter anderem in Wien das dortige Museumsquartier geplant. In Bern ging es darum, zwischen Helvetiaplatz und Kirchenfeldstrasse das Potential der Museen, aber auch der Räume zwischen diesen, optimal zu nutzen. Die Studie zeigte in erster Linie, was zwischen den Institutionen an inhaltlicher und funktionaler Zusammenarbeit, an qualitativem Mehrwert zu erzielen wäre, aber auch, was auf dem Areal an baulicher Umgestaltung möglich ist.
Nach Vorliegen eines Arbeitspapiers der Projektgruppe unter Leitung der Burgergemeinde Bern entstand das wegleitende Positionspapier der Museumsleiter*innen «under construction» für die Transformation zum neuen Museumsquartier. Das Motto: «Das Museumsquartier Bern ist der Ort, der Veränderungen in Gesellschaft und Natur untersucht, dokumentiert und das Publikum involviert». Ein Verein wurde gegründet für eine Aufbauphase von vier Jahren bis Ende 2024 mit einem Budget öffentlicher Mittel von 500‘000 Franken jährlich zuzüglich privater Projektgelder. Der Zaun, der das Historische Museum von jenem für Kommunikation trennte, wurde durchschnitten. Der Raum weitete sich.
Seit 2022 wird inmitten der Museen eine Brache als Garten kultiviert. Die Transformation ist keine museumsinterne Übung, sondern ein öffentlicher Prozess, der alle Interessierten zur Teilnahme einlädt – mit Stammtischen, Sprechstunden, Quartierspaziergängen, Ideensammlungen. Die Bevölkerung sollte bald konkret merken, dass «etwas geht».
Auch und vor allem innerhalb der Museen gibt es Bewegung. Nach Jahrzehnten der Vereinzelung wächst man zwar nicht von heute auf morgen zusammen, erst recht nicht, wenn die Thematik der Häuser von der Naturgeschichte über die Alpen, das Schiesswesen, die Kommunikation, Geschichte, das öffentliche Gedächtnis zur neuesten Kunst reicht. Die zahlreichen Schubladen und Vitrinen und «white cubes» der musealen Wunderkammern bleiben prall gefüllt, es gibt kein Mischmasch, doch die Türen werden aufgeschlossen, die Schubladen herausgezogen, Luft strömt in die Kammer. Die gemeinsamen Kreise wachsen von innen nach aussen. Die Website des Projekts bietet Einblick in das, was läuft.
Ein Hackathon Ende Mai
Die Aufbauphase des Projekts MQB endet 2024. Danach ist die Finanzierung nicht mehr gesichert; sie ist derzeit in Verhandlung. Im Gespräch erklären der Vereinspräsident Luc Mentha (Präsident der Stiftung Bernisches Historisches Museum) und Vorstandschef Beat Hächler (Direktor ALPS – Alpines Museum der Schweiz) die zwei wichtigsten Ziele für die nächste Zeit: Das Programm soll vermehrt aus den Aktivitäten der Häuser entwickelt und mit der Schaffung einer Dachmarke Museumsquartier besser kommuniziert werden.
Ein wichtiger Teilschritt auf dem Weg zum Museumsquartier ist der Kultur-Hackathon vom 23. bis 25. Mai 2024, zu dem 80 Kreative nach Bern eingeladen sind. Der Hackathon ist ein Ideenlabor, das neue Ideen und Formate für das Museumsquartier der Zukunft entwickelt und den Häusern am Platz für die nächsten Jahre mit auf den Weg gibt. Hackathon nennt man eine Veranstaltung, an der Leute über das Internet und real teilnehmen können. Eine Jury wird jene Ideen bestimmen, die weiterverfolgt werden. Am Nachmittag des 25. Mai können alle Menschen gratis in die Häuser des MQB strömen, sich gegen Abend die Ideen vorstellen lassen und einen Publikumspreis vergeben.
Die ursprüngliche Idee, dass einzig ein übergeordnetes Grossprojekt ein Museumsquartier sichtbar machen kann, ist nicht realistisch
Mentha und Hächler betonen, das Vorhaben MQB sei auf Kurs und nehme Fahrt auf. Im Zentrum stünden die elf Mitglieder-Institutionen, jede profiliert, die zusammen eines der grössten Kulturareale der Schweiz bildeten. Aus den Mitgliedern heraus müssten einzelne Angebote wachsen, mit denen sich weitere Mitglieder verbinden. Ein Beispiel: Während der geplanten Grönland-Ausstellung im ALPS wird das Historische Museum seine Grönland-Sammlung ausstellen und befragen. Dazu lässt sich auch – über das Quartier hinaus – ein Faden spinnen, etwa zur Cerny Inuit Collection an der Stadtbachstrasse.
Das Bild des Mischpults
Die ursprüngliche Idee, dass einzig ein übergeordnetes Grossprojekt ein Museumsquartier sichtbar machen kann, sei nicht realistisch, sagen Mentha und Hächler: «Sinnvolle Programmkooperationen müssen aus den Aktivitäten der Häuser wachsen, nur so sind sie nachhaltig zu finanzieren und machen auch für die einzelnen Institutionen Sinn.» Das MQB-Projekt vergleicht Beat Hächler mit einem Mischpult: Es stehen verschiedene Programmregler wie gemeinsame Ausstellungen, Veranstaltungen, der Museumsgarten, ein Hackathon oder die gemeinsame Kommunikation zur Verfügung, aber es werden nie alle Regler gleichzeitig hochgefahren.
Die am Projekt beteiligten Bildungseinrichtungen (das Medienzentrum der Pädagogischen Hochschule, das Gymnasium Kirchenfeld, die Nationalbibliothek) sind wichtig. Die Erfahrungen etwa der Schüler*innen flossen in die Ausstellung «Rausch» des Historischen Museums ein. Die Nationalbibliothek will sich nach der Sanierung öffnen und ein Ort auch für Bildung werden. Die Schulen sind also einerseits Kulturproduzentinnen, andererseits bilden sie neues Publikum.
Die Sammlungen der Institutionen umfassen insgesamt gut 10 Millionen Objekte. Die meisten lagern in Depots, oft ausserhalb von Bern, und erblicken selten für einzelne Ausstellungen das Licht der Welt. Sie bilden indes den Schatz der Museen. Wie kann man Leute in die Sammlungen führen, lautet eine zentrale Frage des Projekts MQB. Im Historischen Museum bietet der Verein «Multaka» Führungen durch zugewanderte Personen an. Im Alpinen Museum erzählen Schenkende Geschichten zu den Neuzugängen. Überlegt werden auch Tandem-Führungen zweier Museen.
Der Garten
Noch ist der angekündigte Museumsgarten zwischen den Häusern eine Brache, für Kinder aber ein interessantes Spiel- und Experimentierterrain. Die Brache ist Hinterhof und Zukunftsfeld. Hier steht in einem weissen Container das Büro der Projektleitung. Und hier trifft man auf die zahlreichen, zart blühenden Kirschbäumchen, die der vormalige Projektleiter Urs Rietmann bei Stadtgrün Bern organisiert hat. Sie sind verschiebbare Farbtupfer – sozusagen das mobile Gegenstück zu den prächtigen pinken japanischen Sträuchern vor der Nationalbibliothek, die indes fest verwurzelt sind.
Derzeit erkunden Mitarbeitende der Institutionen in zwei Gruppen die Themen für Ausstellungen und Vermittlung sowie das Marketing und Ticketing. Eine Agentur entwickelt über alle Mitglieder hinweg eine Dachmarke. Das gehe nun leichter, weil man sich in den letzten beiden Jahren bei Fachanlässen und informell kennengelernt habe. Dadurch sei ein Humus entstanden, in den hinein man jetzt konkrete Dinge pflanzen könne. Wichtig dabei ist die Nutzung von Synergien, doch nicht zum Sparen, sondern um mehr möglich zu machen.
Wie weiter? Für 2024 ist die Finanzierung noch gesichert, ab 2025 braucht es ein neues Agreement. Mit den Hauptgeldgebern – Burgergemeinde, Stadt und Kanton Bern – ist man auf der Basis einen neues Geschäftsmodells in Diskussion.
Bauen und Gestalten
Und was wird wann gebaut? Sicher ist: Einen Durchstich des Hügelchens, auf dem das Historische Museum thront, wird es nicht geben, ebenso wenig eine zentrale Garderobe und Kasse. Auf die Umsetzung des Projekts «Coquilles saint Jacques» zur Aufwertung des Helvetiaplatzes mit einer doppelten Reihe von gut 60 Bäumen und für eine neue Signaletik wartet man sehnlich, doch wegen der knappen Finanzen hat die Stadt dies zurückgestellt.
Die Sanierung des Historischen Museums für rund 125 Millionen Franken ist in Gang gekommen, die Projektierungskredite sind bewilligt. Doch enthält das Konzept keine Depots für die Sammlung, die ursprünglich den Ausschlag gegeben haben für die grosse Idee des MQB. Was also? Man werde später informieren, vertrösten Mentha und Hächler. Aus dem Schweigen ist herauszuhören, dass es wohl keine unterirdischen Depoträume auf dem Areal geben dürfte: zu teuer.
Im Übrigen scheint die bauliche Erneuerung einer Logik zu folgen, die so sein dürfte: Zuerst wird der zwingende Bedarf ermittelt. Dann folgt ein städtebaulicher Masterplan für den Stadtraum Museumsquartier. Danach können Wettbewerbe für einzelne Bauten folgen.
Baulich klar ist immerhin:
- Die Nationalbibliothek wird bald saniert; darin entstehen öffentliche Versammlungs- und Aufenthaltsräume.
- Die Gesamtsanierung des Historischen Museums – ohne Depots – ist angestossen.
- Für das im Baurecht errichtete Alpine Museum besteht eine Nutzungsstudie und die Idee eines Neubaus am Rande des MQB-Areals.
- Das Museum für Kommunikation und das Naturhistorische Museum haben Erweiterungsbedarf.
- Das Yehudi Menuhin Forum kann einbezogen und baulich wesentlich umgestaltet und, etwa durch einen Lift, verbessert werden.
Alle erwähnten Ideen und Überlegungen haben Bezug zum zentralen Garten und dessen Aufwertung. Dieser darf auf keinen Fall überbaut oder radikal verkleinert werden. Der Garten bildet den gemeinsamen Sehnsuchtsort.
Eine persönliche Zwischenbilanz
Manches ist im Gang, das Meiste innerhalb der Häuser, hinter den Kulissen. Die Brache – ein Nicht-mehr und ein Noch-nicht – ist Sinnbild des heutigen Zustands. Das gilt auch für die provisorische Pflästerung am Helvetiaplatz, die Sträucher in grossen Töpfen und die paar roten Stühle, eine halbbatzige Sache. Der Wechsel in der Projektleitung von Sally de Kunst zu Michèle Zweifel überrascht. Ob der Hackathon den Weg weisen wird, ist offen.
Mich überzeugt, dass sorgfältig geplant wird. Was es dereinst braucht an neuem Raum, wird in gemeinsamem Nachdenken und Tun ermittelt, Synergien werden erprobt. Wenn das klar ist, und erst dann, wird ein Architekturwettbewerb ausgeschrieben. Eine Baugruppe prüft die Bauvorhaben einzelner Mitglieder auf ihre Nutzbarkeit für das Ganze.
Muss neu immer mehr sein? Nein! Stets mehr Raum ist für Museen, ist für alle Kulturorte keine naturgegebene Entwicklungsstrategie. Raum bedeutet Betriebskosten, Schadstoffe, Zwang zum Bespielen, Klimagift. Wenn mehrere Häuser zusammenspannen, lassen sich Räume gemeinsam nutzen, die Kadenz der Ausstellungen senken, kuratorische Kompetenzen für Querschnittsfragen und -themen einsetzen für eine Steigerung der Qualität, nicht der Quantität.
Museen sind Orte des Staunens. Sie bewahren materielles Wissen, sie zeigen, was es gab und gibt. Die Art, in der sie es tun, bringen einen auf neue Ideen, vielleicht auf Änderungen. Dafür müssen sich die Museen selbst ändern und öffnen. Im Berner Kirchenfeld haben sie sich aufgemacht. Das Zeichen, das sie damit geben, strahlt weit aus. Es verspricht Neues gerade in einem Quartier, von dem aus man fast von überall den Münsterturm sieht, Berns Wahrzeichen für Beständigkeit.
Dafür braucht es Humus. Man mag sich lustig machen über den Käfertreff beim Naturhistorischen Museum, wo Totholz durch Pilze verrotten kann. Man spottet billig über die Personenwechsel. Man bedauert das gemächliche Tempo im Projekt. Allerdings: Wenn im Kirchenfeld wirklich Neues entstehen soll, muss es langsam gehen. Nur so kann Humus entstehen und nicht ein blöffiger Schnickschnack.
Wenn man bedenkt, wie viele Jahre die schon zweimal gescheiterte Erweiterung des Kunstmuseums dauert, für die auch beim neuen Anlauf erst letzthin der Wettbewerb verlängert wurde, ist Langsamkeit nicht das grösste Problem des MQB.
«Alles kommt gut» heisst es auf dem Plakat vor dem Naturhistorischen Museum. Das darf kein Alibi sein. Es braucht Schnecken, ja, doch es braucht auch, wie am Anfang, eine gestaltende Kraft. Die Stadt steht für meinen Geschmack abseits, ist dabei und doch nicht. Die Neugestaltung des Helvetiaplatzes könnte neuen Schwung bringen und Begeisterung auslösen. Doch dafür wird man warten müssen bis nach den Wahlen.