Berner Kulturgeschichte des Lärms

von Luca Hubschmied 15. Dezember 2023

Winterserie: Lärm Der Lärm und die behäbige Bundesstadt – die beiden verbindet eine lebhafte Geschichte. Zum Start unserer Winterserie wagen wir Rückblick und Umschau.

Wer sich für Lärm in Bern interessiert, stösst rasch einmal auf die behördliche Lärm-Seite der Stadt. Hier wird der «für die Betroffenen unerwünschte Schall» vorrangig klassifiziert in acht Kategorien, von Alltagslärm bis Veranstaltungslärm. Wir lernen: Lärm ist nicht gleich Lärm, sondern abhängig von seiner Quelle differenziert zu beurteilen.

Weiter bietet die Behörde Hand bei der Meldung einer Lärmklage – unterschiedliche Arten von Lärm sind an unterschiedlicher Stelle zu monieren. Wir lernen weiter: Gegen Lärm lässt sich Beschwerde einlegen.

In der Beschäftigung mit der zeitgeschichtlichen Dimension des Lärms in Bern, stösst man kurzum auf die Kampagne «Figg di Frou Müller» aus dem Jahr 2012. Im Archiv der Quartier-Homepage aus der Matte ist vermerkt, dass zu dieser Zeit eine Auseinandersetzung zwischen lärmgeplagten Anwohnenden und Nachtklubs in erwähntem Slogan und begleitender Kampagne gipfelte. Unter der dort aufgeführten URL – fdfm.ch – findet sich allerdings kein Pamphlet für die nächtliche Kultur, sondern die Homepage einer jurassischen Käserei.

Anlass für die sexualisierte Beschimpfung Frau Müllers war die Schliessung des Nachtklubs Sous Soul und später auch des Wasserwerks im Mattequartier. Frau Müller stand konkret und auch sinnbildlich für Anwohner*innen, die mit Beschwerden den Betrieb der Lokale so erschwerten, dass es zum Lichterlöschen kam. Klubsterben lautete der Begriff der Stunde.

Die Sorge der Anwohner*innen auch hier: Lärm.

An die Stelle Frau Müllers trat kurz darauf eine politische Figur: Der damalige Regierungsstatthalter Lerch wurde zum Gesicht der schlafenden Beamtenstadt, als er verfügte, dass um halb eins Schluss sein müsse mit dem Getränkeausschank und Feiern auf dem Vorplatz der Reitschule. Die ohnehin schon hitzige Stimmung in der Bundesstadt entlud sich an Lerchs Person, im Rössli der Reitschule fand die Party unter dem Motto «Figg di Frou Müller präsentiert: Herr Lerch» statt.

Im Angesicht des mangelnden Verständnisses für Kulturbetriebe und Ausgehwillige formierte sich daher im Frühjahr 2012 eine Protestallianz, einerseits im neugegründeten Verein Nachtleben Bern und andererseits selbstorganisiert in den sozialen Medien. Parteipolitische Differenzen rückten in den Hintergrund und die Medien schrieben einen Kulturstreik wie anno 1987 herbei. Die Bewegung gipfelte vorläufig im Mai 2012 in einer Nachtdemo mit 3’000 tanzenden Personen auf dem Bundesplatz. Wenig später, in der Samstagnacht vom 2. Auf den 3. Juni nahmen rund 18’000 Menschen am «Tanz dich frei 2.0» teil. Eine geballte Retourkutsche gegen die Nachrichten der vergangenen Monate.

Einige Jahre später steht ein gecrashtes Auto als Skulptur auf der Schütz. Es symbolisiert das Ende der Zwischennutzung des Vereins Platzkultur auf der Schützenmatte. Der Verein beendete sein Projekt im April 2018 und gibt als Grund die Einsprachen vom gegenüberliegenden Aarehang an. Diese hätten die nötigen Baubewilligungen verhindert. Die Sorge der Anwohner*innen auch hier: Lärm.

Mit Blick auf die vergangenen Jahre zeigt sich, wer sich oft durchsetzen konnte und zu welchem Preis.

Gar nicht weit entfernt davon wollte einst der Verein Tankere ein Jugendkulturlokal an der Nägeligasse eröffnen. Verhindert wird dies durch zahlreiche Einsprachen. Die Streitpartei scheint die gleiche: Bewohnende des Altenbergufers, welche seither den zweifelhaften Ruf als besonders empfindsame und klagewillige Stadtbewohner*innen geniessen. Dass sie bisher nicht als Einzelperson in Erscheinung traten, scheint sie vor der Sloganisierung in oben erwähnter Tradition zu schützen – oder Figg di Altenberg? Der erwähnte Jugendklub ist mittlerweile Tatsache geworden, nach einem Intermezzo in der Aarbergergasse unter dem Namen «Einspruch» eröffnete er diesen Sommer als «Stellwerk» auf der Parkterrasse des Bahnhofs.

Engstirnigkeit oder Eigensinnigkeit lauten in der Lärmdebatte jeweils die Pauschalvorwürfe. Wo sich die einen auf Freiheit berufen, tun es die anderen genauso. Mit Blick auf die vergangenen Jahre zeigt sich, wer sich oft durchsetzen konnte und zu welchem Preis. Aber so wenig wie einem der Umzug ins Berner Trendquartier das Recht auf unbescholtenes Ausleben der Tag-Nacht-Umkehr garantiert, gibt einem die Wohnung in der Altstadt den einklagbaren Anspruch auf vierundzwanzigstündige Rücksichtnahme der ganzen Nachbarschaft. Auch wenn sich der Rummel um das angeblich verschwindende Kultur- und Nachtleben pandemiebedingt etwas verlagert hat, so bleiben vielerorts Lärm- und Nutzungskonflikte auch die nächsten Jahre vorprogrammiert. Trotz einem mittlerweile bestehenden Nachtlebenkonzept der Stadt.

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Unterdessen liegt, von der gängigen öffentlichen Diskussion eher selten tangiert, eine der prominentesten Lärmquellen im Osten Berns zwischen Gürbe und Giesse: Der Regionalflugplatz Bern-Belp mit immerhin 50’000 Flugbewegungen pro Jahr. Lande-, Anflug- und Durchstadtmanöver sind weithin zu hören. Gestützt auf die Lärmschutzverordnung hat das Bundesamt für Zivilluftfahrt einen Lärmbelastungskataster erstellt und hält darin die Lärmemissionen des Flugplatzes fest. Darin zeigt sich – grafisch dargestellt – wie eine durch den Flugverkehr verursachte Lärmbelastung von 55dB(A) bis weit in die Elfenau hineinwirkt.