Berner Kulturagenda: Ein neuer Aufbruch

von Christoph Reichenau 9. Juni 2023

Kulturberichterstattung 16 Jahre hatte die Berner Kulturagenda keine Geldsorgen. Sie war publizistisch und bezüglich Reichweite ein Erfolg. Mit dem Ende des Anzeigers wie wir ihn kennen, ändert sich alles.

Die Berner Kulturagenda (BKA) ist 2003 als Selbsthilfeprojekt der Kulturorganisationen auf die Beine gestellt worden. Sie wurde nötig, weil der «Bund» damals aus Kostengründen die «Berner Woche» einstellte. Ein Verein wurde gegründet. Die Stadt hatte den Lead. Das Motto war: Wer Kultur fördert, muss auch dafür sorgen, dass sie ihr Publikum findet.

Seit 2007 und noch bis Ende 2023 ist der gedruckte Anzeiger Region Bern Partner der BKA. Er wird in 130‘000 Exemplaren in der Region allen Haushalten zugestellt. Ab 2024 wird es diese Zeitung nicht mehr geben, weil dann die bernischen Gemeinden ihre amtlichen Bekanntmachungen nicht mehr in gedruckter Form publizieren müssen. Viele Kommunen werden auf digitale Publikation wechseln. Köniz tat es bereits Anfang 2023.

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Damit endet eine 16-jährige Zeit, in der der Trägerverein der BKA sich finanziell um nichts bemühen musste, egal was in der Medienwelt lief. Die Mitgliederbeiträge wurden vom Anzeiger eingeholt, der über die Jahre hinweg auch zum Teil erhebliche Defizite deckte. Dies blieb unverändert der Fall, als 2021 der Anzeiger durch ein Management Buyout an die SR Mediengroup AG von Christof Ramseier (SRMG) überging.

Suche nach neuen Lösungen

Am 8. Mai fand im Naturhistorischen Museum eine Mitgliederversammlung des Trägervereins statt. Etwa ein Drittel der rund 250 Mitglieder war anwesend. Zuvor hatte der Vorstand, ergänzt durch eine Kommission, eine Unterlage erarbeitet und dafür von verschiedenen möglichen Partnerinnen und Partnern Offerten eingeholt. Gefragt worden war nach 3 Leistungen:

  • einer Veranstaltungsdatenbank
  • einer digitalen Ausgabe der BKA, die von einer Redaktion gestaltet wird
  • einer zusätzlichen Printausgabe.

Die Mitgliederversammlung hat, wie dem Protokoll zu entnehmen ist, folgende Beschlüsse gefasst:

  • Der Trägerverein wird ab 2024 die BKA selbst herausgeben. Dafür baut er eine eigene Betriebsorganisation auf.
  • Der Trägerverein trennt sich von der SRMG. Der geltende Vertrag wird per Ende 2023 gekündigt.
  • Ab 1. Januar 2024 verantwortet «in situ», ein junges IT-Team aus Freiburg, einen neu entwickelten Veranstaltungskalender und die digitale Ausgabe der BKA. Dort können die Veranstalterinnen und Veranstalter ihre Anlässe eintragen. Ob die Einträge automatisch in weitere Datenbanken überspielt werden, ist offen.
  • Eine Redaktion mit 280 Stellenprozent, eine Geschäftsführung zu 70% und jemand mit 60% für Layout und Korrektorat bilden das inhaltliche und organisatorische Betriebsteam.
  • Wöchentlich wird die BKA im Tabloid-Format mit 24 Seiten den abonnierten Exemplaren des «Bund» und der der «Berner Zeitung BZ» beigelegt. Die Gesamtauflage beträgt 64‘000 Exemplare. Sie wird verteilt an 32% der Haushalte mit Abos in der Stadt und dem «Hauptkern» der Agglomeration sowie in 24% der Haushalte im «Nebenkern» der Agglo. Die Redaktion der Print-BKA ist unabhängig von den Redaktionen des «Bund» und der «BZ».

Was kostet das?

Gemäss den Berechnungen des Vorstands, der sich auf Offerten und aussenstehende Fachpersonen beruft, kostet diese dreigliedrige BKA – Datenbank, digitale Agenda mit redigiertem Magazin und Print-Ausgabe – im Jahr CHF 715‘000. Davon gehen CHF 269‘000 an die Tamedia für Produktion und Vertrieb der Print-Ausgabe. CHF 390‘000 sind für den Personalaufwand budgetiert.

Finanziert werden soll dies durch die Beiträge der Vereinsmitglieder (CHF 300‘000), der Stadt Bern (CHF 105‘000 wie bisher), durch Inserate (CHF 150‘000) und Abonnementsgebühren (CHF 50‘000) sowie durch wiederkehrende Beiträge des Kantons, der Burgergemeinde Bern und weiterer Gemeinden (CHF 110‘000).

Offen ist, wie die an der Mitgliederversammlung des Trägervereins nicht anwesenden 2/3 der Mitglieder auf diese Zusatzforderung reagieren werden.

Vieles an diesem Finanzierungskonzept ist nicht erhärtet. So ist beispielsweise unklar, nach welchem Tarif die Inserate verkauft werden sollen. Den Grossteil der Inserenten bildeten bisher die Kulturveranstaltenden, die von vertraglich festgelegten günstigen Tarifen profitiert haben. Diese Rabatte für Mitglieder sollen auch bei der neuen Lösung bestehen bleiben. Die Seitenpreise indes müssen gemäss Tamedia angepasst werden. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass die Inseratenpreise deutlich steigen werden.

Unklar ist auch, woher die geplanten Abonnementseinnahmen kommen sollen und wieviel die Bewirtschaftung der Abos und der Vertrieb der abonnierten BKA kosten.
Ebenso unklar ist, ob die Stadt, der Kanton und die Burgergemeinde Bern sowie die weiteren anvisierten Gemeinden bereit sind, direkt und indirekt den Konzern Tamedia mitzufinanzieren.

Aufwendige Vorarbeiten

Die Vorbereitung auf diese dreigliedrige BKA soll Anfang September beginnen und 4 Monate dauern. Derzeit wird die Geschäftsführerin oder der Geschäftsführer gesucht. Diese Vorarbeiten kosten CHF 207‘000. An die Kosten sollen die Mitglieder CHF 108‘000 beitragen, indem sie einmalig einen zusätzlichen Beitrag von 1/3 ihres Jahresbeitrags entrichten.

Offen ist, wie die an der Mitgliederversammlung des Trägervereins nicht anwesenden 2/3 der Mitglieder auf diese Zusatzforderung reagieren werden. Laut Statuten haben sie das Recht, bis am 30. September ihre Mitgliedschaft zu kündigen und per 31. Dezember 2023 aus dem Verein auszutreten.

Es soll weiterhin eine Printausgabe geben, wenn auch mit der halben Reichweite von heute. Das ist positiv.

Zudem ist kein Mitglied verpflichtet, den an der Versammlung beschlossenen Zusatzbeitrag zu entrichten, da ein solcher in den geltenden Vereinbarungen mit dem Verein nicht vorgesehen ist.
Ein Mitglied, nämlich Bühnen Bern, hat den Austritt auf Ende 2023 bereits schriftlich erklärt.

Bühnen Bern muss aufgrund der neuen Leistungsvereinbarung 2024-2027 überall sparen (Journal B berichtete). Die Stiftung entrichtet derzeit einen jährlichen Beitrag von CHF 60‘000.

Kündigungen bei der SR Medien Group AG

Für die SRMG endet der Vertrag mit dem Trägerverein Ende 2023.
Die Vertriebsorganisation, die Anzeiger und BKA in 130‘000 Haushalte der Region bringt, wird auf diesen Zeitpunkt aufgelöst. Damit werden insgesamt 182 Verträgerinnen und Verträger ihre Arbeit verlieren.

Allerdings gibt es möglicherweise ein Nachfolgeprojekt. Die SRMG arbeitet an einem neuen Anzeiger Region Bern für die Gemeinden, die ihre amtlichen Bekanntmachungen nach wie vor in einem Printprodukt publizieren wollen. Sie plant, diesen neuen Anzeiger mit kulturellen Informationen und Hinweisen anzureichern und dafür den für die BKA entwickelten neuen Eventkalender in Betrieb zu nehmen.

Fazit

Der Trägerverein BKA hat einen Plan, der an der Mitgliederversammlung genehmigt worden ist. Es soll weiterhin eine Printausgabe geben, wenn auch mit der halben Reichweite von heute. Das ist positiv. Vieles ist in der Sache und bezüglich Finanzierung allerdings noch unklar. Erst Ende Jahres wird man beurteilen können, wie gross die Erfolgschance sind. Sicher ist aber heute schon, dass die erfolgreiche 16-jährige Partnerschaft von Trägerverein BKA und Anzeiger Region Bern bzw. SR Medien Group AG zu Ende geht.