Im ersten Teil unserer Artikelserie haben wir uns die finanzielle Entwicklung der Stadt Bern der letzten vierzig Jahre angeschaut. Wir haben gesehen, wie die Schulden gestiegen, gesunken und wieder gestiegen sind. Aber sind Schulden für eine Gemeinde wie Bern überhaupt ein Problem?
«Theoretisch kann die Stadt Bern so lange weiter Schulden machen, wie die Gläubiger davon ausgehen, dass die Zinslast durch zukünftige Steuereinnahmen gedeckt werden kann», erklärt Maximilian von Ehrlich von der Universität Bern, «denn staatliche müssen im Gegensatz zu privaten Akteuren Schulden nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt zurückzahlen.» Der Wirtschaftsprofessor beschäftigt sich in seiner Forschung mit regionaler und städtischer Wirtschaft und ist auch Direktor des Center for Regional Economic Development (CRED).
Die Entwicklung der Verschuldung
Der absolute Schuldenstand, für Bern also die aktuell 1,47 Milliarden Franken, sagen für sich genommen noch nichts über die finanzielle Situation einer Gemeinde aus. Viel wichtiger aus der volkswirtschaftlichen Perspektive sei dagegen die Entwicklung der Neuverschuldung und der Schuldenquote über die Zeit, erklärt von Ehrlich. Für alle, die nicht VWL studiert haben: Jedes Jahr nimmt eine Gemeinde neue Schulden auf. Jedes Jahr macht sie aber auch Einnahmen. Die Neuverschuldung im Verhältnis zu den Einnahmen – das ist die Schuldenquote.
Die Stadt Bern weist in dieser Hinsicht schon eine eher schwierige Schuldendynamik auf
«Nachhaltig ist eine Verschuldung dann, wenn die Schuldenquote stabil bleibt», erklärt der Wirtschaftsprofessor. Das heisst: Eine Stadt darf viele Schulden machen, wenn das in einem gewissen Verhältnis dazu steht, wie hoch ihre Einnahmen sind. «Die Stadt Bern weist in dieser Hinsicht schon eine eher schwierige Schuldendynamik auf», beurteilt von Ehrlich die Situation der Stadt Bern. Seit 2016 ist es zu einem 33-prozentigen Anstieg der Nettoschulden pro Kopf gekommen, ohne dass es zu einem vergleichbaren Produktivitätswachstum gekommen wäre.
Eine andere wichtige Zahl ist die des Bruttoverschuldungsanteils. Diese Quote misst, welcher Anteil des Ertrags einer Gemeinde nötig wäre, um die Schulden abzutragen. «Im Vergleich zu anderen Städten steht da Bern nicht besonders gut da», so von Ehrlich. Zürich liege relativ konstant bei 80 Prozent, Basel bei 70 und Luzern bei 90 Prozent. Bern liegt aktuell dagegen bei 142 Prozent – der Bruttoverschuldungsanteil hat in den letzten Jahren konstant zugenommen.
Wenig Handlungsspielraum
Nach dem Ausgaben- und Finanzplan 2025 bis 2028 wird sich die finanzielle Lage auch in den nächsten Jahren nicht entspannen. 2028 soll der Bruttoverschuldungsanteil bei 159 Prozent stehen. Wie die Stadt in ihrem Bericht schreibt, stehen einerseits grosse Investitionen in Schulraum, Wasser- und Eisanlagen an, die teilweise schon seit Jahren in Planung sind. Gerade die Investition in Schulinfrastruktur ist unumgänglich: So benötigen schätzungsweise 160 neue zukünftige Schulklassen entsprechende Räumlichkeiten. Andererseits schreibt die Stadt, dass auch der Handlungsspielraum bei den laufenden Ausgaben eng bleibe. So müsse die Stadt beispielsweise 118,55 Vollzeitstellen neu schaffen.
«Ich würde aktuell nicht sagen, dass die Lage dramatisch ist», so von Ehrlich, «aber man sollte es nicht auf die leichte Schulter nehmen. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, um einen Plan zu entwickeln, wie man gegen das auf die Stadt Bern zukommende Defizit arbeiten will.» Der aktuelle Plan, so befindet der Forscher, habe diesbezüglich noch Potential.
Aber wann werden Haushaltsdefizite und Neuverschuldung überhaupt zum Problem für eine Stadt? Möglicherweise nie. Das hängt von verschiedenen Faktoren ab. Ein Problem kriegt die Stadt Bern frühestens 2028, wenn die Defizitreserven nach der derzeitigen Planung aufgebraucht sein werden. Dann muss die Stadt aufzeigen können, wie sie diese Schulden innerhalb von acht Jahren wieder abbaut. Im Falle, dass sie das nicht glaubwürdig aufzeigen könnte, würde der Kanton eingreifen. «Spätestens an diesem Punkt ist zu erwarten, dass auf die Gemeinde sehr rigide Sparmassnahmen zukommen», so von Ehrlich.
Ein anderes Problem könnte sein, dass Kreditgeber der Stadt Bern schon vorher die Kredite nicht mehr zu denselben guten Bedingungen verleihen wie zum jetzigen Zeitpunkt, die Kreditgeber also eine Risikoprämie verlangen. Das alles ist hypothetische Zukunftsmusik. Aber für von Ehrlich wäre es sinnvoller, jetzt die richtigen Weichen zu stellen, anstatt später grössere Probleme zu kriegen und mit Sparauflagen von oben umgehen zu müssen.
Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, um einen Plan zu entwickeln, wie man gegen das auf die Stadt Bern zukommende Defizit arbeiten will
Aber wie? «Langfristig gesehen wäre es wahrscheinlich sinnvoller, an den laufenden Ausgaben zu sparen anstatt an den Investitionen», befindet der Wirtschaftswissenschaftler, «aber das ist natürlich bei Wählerinnen und Wählern oft unbeliebt, denn es betrifft sie sehr direkt. Das kann kurzfristig politisches Kapital kosten, zahlt sich aber langfristig aus.»
Egal wie Budgetabstimmung und Wahlen Ende November ausgehen werden – klar ist, dass die Finanzen den Gemeinderat weiterhin beschäftigen werden. Wie der Blick in die Vergangenheit im ersten Teil unserer Artikelserie gezeigt hat, hat die Stadt schon schwierigere Zeiten überstanden. Der Blick zurück zeigt aber auch, dass es sich lohnt, mögliche Budgetprobleme aktiv anzugehen und transparent gegen aussen zu kommunizieren, Verständnis bei der Bevölkerung zu schaffen, weshalb gewisse Projekte umgesetzt werden und andere Ausgaben vielleicht reduziert werden müssen.