Berner Finanzen I: «Damals war es viel schlimmer»

von Janine Schneider 14. November 2024

Stadtfinanzen Teil I Das Budget 2025 der Stadt, das Ende November zur Abstimmung kommt, sorgt für hitzige Diskussionen. Aber steht es um die Finanzen der Bundesstadt wirklich so schlecht, wie die bürgerliche Seite gerne behauptet? Ein historischer Blick auf die Entwicklung des Berner Finanzhaushalts.

Die Bürgerlichen machen Wahlkampf damit, die Medien, allen voran Tamedia, schreiben sich die Finger wund und am 24. November stimmen die Berner*innen auch noch darüber ab: Das Finanzbudget der Stadt Bern bietet dieses Jahr Anlass für hitzige Diskussionen und ratlose Gesichter. Das Budget 2025, das Ende Monat der Stimmbevölkerung vorgelegt wird, beinhaltet hohe Ausgaben und Investitionen, die im kommenden Jahr auf die Stadt Bern zukommen werden. Für das Jahr 2025 ist ein Defizit von 28 Millionen Franken bei einem Budget von 1,4 Milliarden Franken vorgesehen. Die Verschuldung der Stadt wird damit voraussichtlich um weitere 80 Millionen Franken steigen. Gleichzeitig rechnet Finanzdirektor Aebersold aber mit zusätzlichen Steuereinnahmen von 42 Millionen Franken.

Während die Parteien der regierenden Rot-Grün-Mitte-Fraktion befinden, die Stadt stehe wirtschaftlich auf solidem Fuss, übt das bürgerliche Bündnis scharfe Kritik an der Führung des Berner Finanzhaushaltes. Zeit für einen sachlichen Blick auf die Finanzen der Stadt Bern. Im folgenden ersten Teil der Artikelserie gehen wir der Frage nach, wie sich die finanzielle Situation der Stadt Bern in den vergangenen Jahrzehnten entwickelt hat. Im zweiten Teil der Serie fragen wir, welche Zahlen und Grössen aus ökonomischer Sicht überhaupt relevant sind, wenn es um die Verschuldung von Gemeinden geht. Und sind alle Schulden schlecht?

Die Rezession der 90er-Jahre

In den 1990ern haben die bürgerlichen Parteien schon einmal mit der finanziellen Situation der Stadt Bern Wahlkampf gemacht. Mit dem «Komitee für gesunde Stadtfinanzen» wollten sie gegen das Bündnis Rot-Grün-Mitte (RGM) ankämpfen, das seit 1993 neuerdings die Mehrheit im Gemeinderat stellte, und gleichzeitig die finanzielle Situation der Stadt verbessern, die sich mitten in der Wirtschaftskrise der 90er wiederfand.

Die Bürgerlichen hatten zuvor keine längerfristige Finanzpolitik verfolgt.

Die Ironie des Ganzen: Gerade die Bürgerlichen waren es gewesen, die als Erbe ihrer 30-jährigen Legislatur Rot-Grün-Mitte einen desolaten Finanzhaushalt übergeben hatten. Folglich musste die grüne Politikerin und Gewerkschaftlerin Therese Frösch, die 1993 die Finanzdirektion übernommen hatte, gleich an ihrer ersten Pressekonferenz ein Rekorddefizit der Stadtkasse von 60 Millionen präsentieren. «Die Bürgerlichen hatten zuvor keine längerfristige Finanzpolitik verfolgt», erklärt Therese Frösch die damalige Situation aus ihrer Sicht, «Man hat dazumals sogenannt ‹inputorientiert› investiert. Auf die 90er-Jahre war die Stadt so überhaupt nicht vorbereitet.»

Heute ist sie wieder in Vergessenheit geraten: Aber in den 90er-Jahren erfasste eine globale Wirtschaftskrise die Schweiz. Rezession, hohe Arbeitslosigkeit und wirtschaftliche Stagnation prägten das letzte Jahrzehnt des Jahrtausends und machten den Schweizer Gemeinden schwer zu schaffen. In Bern hatte die bürgerliche Mehrheit des Berner Gemeinderats 1991, im Vorfeld der Wahlen, zudem eine Steuersenkung durchgesetzt. Es handelte sich dabei zwar nur minimal, zusammen mit der Rezession nahm der Schuldenberg der Stadt Bern jedoch bald schon ein beträchtliches Ausmass an.

Dreimal verlor Frösch die Budgetabstimmungen, bis der Kanton eingriff und als Aufsichtsbehörde eine Steuererhöhung beschloss.

«Die Erwartungen an Rot-Grün-Mitte waren riesig», erinnert sich Therese Frösch, «So gesehen konnte man die Leute eigentlich nur enttäuschen oder aber mit einer kreativen neuen Politikstrategie gewinnen.» Die Berner*innen hatten das Bündnis gewählt, weil es für einen Paradigmenwechsel stand – eine sozialere, umweltverträglichere und den urbanen Bedürfnissen angepasste Politik sollte angegangen werden. Gleichzeitig musste der Gemeinderat allerdings auch die Wirtschaftskrise der 90er durchschiffen. Kein leichtes Unterfangen. Der mediale, öffentliche und politische Druck war hoch. Der Bund titelte: «Was macht Frösch mit unseren Kröten?»

Die Finanzen waren Stadtgespräch Nummer Eins. Und wurden viel hitziger debattiert als heute, erinnert sich Frösch: «Das war viel schlimmer! Damals ging es ums Eingemachte! Alles hat sich nur um die Finanzen gedreht. Ich habe nie mehr als fünf Stunden geschlafen in dieser Zeit.» Auch ein Teil der Bevölkerung war unzufrieden. Dreimal verlor Frösch die Budgetabstimmungen, bis der Kanton eingriff und als Aufsichtsbehörde eine Steuererhöhung beschloss.

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Trotzdem hat die Stadt Bern es durch die Wirtschaftskrise der 90er geschafft – und mit ihr auch das RGM-Bündnis, das seither regiert. «Dazu war es sehr wichtig, Sensibilisierungsarbeit zu leisten», erklärt Frösch. Und zwar sowohl auf Seiten der Bevölkerung wie auch auf Seiten ihres eigenen Parteibündnisses. Den Berner*innen musste klargemacht werden, weshalb die Steuern für die Stadtfinanzen so wichtig waren. RGM, auf der anderen Seite, musste begreifen, dass nicht alle politischen Programmpunkte sogleich umgesetzt werden konnten, da mit dem Budget haushälterisch umgegangen werden musste.

So hat es Frösch zusammen mit dem Finanzdepartement geschafft, acht Sparpakete aufzugleisen, die 200 Millionen Franken einsparten, und trotzdem gewisse Versprechen wie zum Beispiel die Eröffnung neuer Tagesschulen oder die Erweiterung des Mutterschaftsurlaubs zu erfüllen.

Die Schulden häuften sich bis 1999 aber weiterhin zu einem Schuldenberg von 1,7 Milliarden Franken und einem Bilanzfehlbetrag von 371 Millionen an  – beides konnte erst ab 2000 langsam abgebaut werden konnten. Der Blick auf diese Zeit erklärt, weshalb Michael Aebersold heute hinsichtlich der Investitionen in Wasser- und Eisanlagen von «Altlasten» spricht – in dieser wirtschaftlich schwierigen Zeit musste manche nicht allzu wichtige Sanierung zurückgesteckt werden.

Wirtschaftlicher Aufschwung

Wirtschaftlich ging es seit Ende 90er-Jahre aufwärts. Im Jahr 2000 schrieb die Stadt Bern schwarze Zahlen. «Das war nicht nur unser Verdienst», so Frösch, «Die Konjunktur hatte sich glücklicherweise erholt.» Bis 2010 konnte der Bilanzfehlbetrag aus den 90er-Jahren komplett abgebaut werden, in der Folge kam es sogar zu einem Bilanzüberschuss. Das heisst, die Einnahmen der Stadt fielen höher aus als ihre Ausgaben. Auch die Schulden sanken auf 1,1 Milliarden Franken im Jahr 2013. Bis 2018 konnten der Schuldenstand weiter abgebaut werden und verringerte sich auf 980 Millionen Franken.

2019 kehrte sich diese Entwicklung wieder um. Aufgrund hoher Investitionen und unerwartet niedrig ausfallender Steuereinnahmen erhöhten sich die Schulden zum ersten Mal wieder auf 1,08 Milliarden Franken. In den letzten fünf Jahren ist der Schuldenstand der Stadt weiterhin gestiegen. Aktuell befindet er sich auf einem Niveau von 1,47 Milliarden Franken.

Bern muss auf seine Schulden vergleichsweise viel weniger Zinsen zahlen als noch vor 30 Jahren

Die nackten Zahlen nähern sich langsam also wieder den 90er-Jahren an. Einiges unterscheidet jedoch die heutige von der damaligen Situation. Der wichtigste Punkt: Die wirtschaftliche Lage ist heute viel weniger prekär als während der Rezession der 90er-Jahre mit einem Höchststand von schweizweit 162‘235 Arbeitslosen im Jahr 1998. Weiter ist die Zinslast viel niedriger als sie es damals war. Das hat zum einen mit der Niedrigzinsentwicklung der letzten Jahrzehnte zu tun. Waren die Zinsen in den 1990ern auf einem temporären Höchststand, so sind sie seither massiv gesunken. Bern muss auf seine Schulden also vergleichsweise viel weniger Zinsen zahlen als noch vor 30 Jahren. Gleichzeitig ist die Kreditwürdigkeit der Stadt Bern sehr gut, das heisst, sie kann Kredite zu sehr günstigen Konditionen aufnehmen. Nicht zuletzt ist auch die öffentliche Unterstützung für die aktuelle Entwicklung viel höher als sie es in den 90er-Jahren je war. Bisher hat die Berner Stimmbevölkerung noch jedes Budget von Finanzdirektor Michael Aebersold angenommen.

Im zweiten Teil der Artikelserie beleuchten wir die volkswirtschaftliche Perspektive auf den Berner Finanzhaushalt.