Der Wintereinbruch am Samstagmorgen sorgt nicht für die Bedingungen, die sich Stefanie Schüpbach vom Politforum und die Künstler*innen aus Berlin, Paz Ponce und Georg Reinhard vorgestellt haben. Doch sie sind gewillt, Kälte und Schnee zu trotzen. Dementsprechend sieht der Tisch aus, als er kurz vor zwölf Uhr vor der Reformierten Kirche in Ostermundigen einrollt: Transparente, pilzförmige Regenschirme sorgen für trockene Sitzplätze, die Frageblätter liegen in Plastikmäppchen auf dem Tisch, zu trinken gibt es Tee und Glühwein.
Kaum steht der Tisch auf dem Parkplatz, lockt er die Menschen aus dem Kirchgemeindehaus. Dort findet zeitgleich das «Mundiger Forum» statt, eine Plattform, die es den Ostermundiger*innen ermöglichen soll, sich über die Fusion auszutauschen und Fragen zu platzieren.
Doch nicht nur die Besucher*innen des «Mundiger Forums» interessieren sich für den Tisch. Auch eine Spaziergängerin erkundigt sich nach der Aktion. Wie sich im Gespräch herausstellt, war sie einst selbst in der Gemeindepolitik aktiv, als Ostermundigen noch Teil der Einwohnergemeinde Bolligen war.
Damals sei vieles liegengeblieben, weil sich die restlichen Viertelsgemeinden nicht für jene Geschäfte interessierten, die nur Ostermundigen betrafen. Bei einer Fusion befürchtet die Ostermundigerin dasselbe: «Das wird wieder eine Schlafstadt.»
Tram, Feuerwehr und Freibad
Die seltsam anmutende Tisch-Prozession zieht weiter und kommt vor der Migros an der Bernstrasse zum erneuten Halt. Hier, gut positioniert zwischen Supermarkt und Bushaltestelle unweit des Bahnhofs, bleiben viele Passant*innen vor dem grossen Tisch stehen oder verlangsamen ihren Gang.
Ihre Meinungen zur Fusion reichen von «unentschlossen» über «eher dagegen» zu «grundsätzlich dafür, mit einigen Vorbehalten». Die Gründe für die Zurückhaltung liegen manchmal in einer generellen Skepsis, manchmal in konkreten Sorgen. Eine IV-Bezügerin beispielsweise, will bei einer Fusion keinen neuen Beistand zugeteilt kriegen. Zu ihrem jetzigen Beistand pflege sie einen persönlichen und direkten Draht. Das will sie auf keinen Fall aufgeben müssen.
Die Themen Tram, Feuerwehr und Freibad werden von den Ostermundiger*innen immer wieder angesprochen. Ausserdem beschäftigen Mitspracherecht und Repräsentation viele Leute. Zu Letzterem schlägt ein junger Vater mit Kinderwagen Wahlkreise als Lösung vor. So wäre sichergestellt, dass die Ostermundiger Bevölkerung angemessen repräsentiert und zugleich kein Spezialfall würde.
Eine gute Sache oder fremde Einmischung?
Kaum nehmen der kalte Wind und der Schneefall zu, verweilen die Leute nicht mehr am Tisch und die Strassen leeren sich. So wird es Zeit für das Team, das längste Stück Weg des Tages in Angriff zu nehmen: am Schosshaldenfriedhof vorbei via Pulverstrasse und Guisanplatz ins Breitenrainquartier.
Aufgrund der Demonstration in der Innenstadt verkehren zu dieser Zeit keine Trams und Busse, entsprechend viel Fussvolk ist unterwegs. «Wir fahren von Ostermundigen zum Kornhaus, wollt ihr ein Stück am Tisch mitfahren?», spricht Stefanie Schüpbach eine Gruppe Passant*innen an. Leider sind diese in die entgegengesetzte Richtung unterwegs. Und ihre Meinung zur Fusion? «Find ich eine gute Sache», sagt einer im Vorbeigehen.
«Schon jetzt bestimmt ganz Bern über Dinge, die nur einzelne Quartiere beschäftigen», findet hingegen ein Paar auf dem Guisanplatz. Eine Fusion würde in ihren Augen dieses Problem auf Ostermundigen ausweiten. «Man sollte im Grossen zusammenarbeiten, im Kleinen sollen die Quartiere selbstständiger sein.»
Das Berner Quartiermodell
Die Gemeindefusion, so viel wird an dem Tag klar, wirft grundsätzliche Fragen über die Gemeindeordnung, die Repräsentation und die Rolle der Quartiere auf. Fragen, die auch Richard Pfister von der Quartierkommission Qua4 und Nicole Wyrsch vom Quartierverein Burgfeld beschäftigen. Sie sind an der nächsten Station im Bünerpärkli als Gäste am Tisch eingeladen.
Die Quartierkommissionen sind in der Gemeinde Bern ein etablierter und gesetzlich verankerter Teil der Politik. Als privatrechtliche Organisation kommt ihnen aber keine Entscheidungsgewalt zu. «Wir sind den Entscheidungsprozessen vor- und nachgeschaltet», erklärt Pfister. Im Idealfall heisst das, die Direktionen hören sich die Meinung der Quartierkommissionen an und lassen diese in die Entscheidung einfliessen. Werden die Anliegen der Quartiere nicht einbezogen, verschaffen sich die Kommissionen über Reklamationen, die Medien und das Parlament Gehör.
Würde der Vorschlag, Wahlkreise einzuführen, die Quartierkommissionen in ihrer Arbeit unterstützen? «Wir hätten im Stadtrat direkte Ansprechpartner*innen», meint Pfister dazu. Insofern kann er der Idee etwas abgewinnen. «Allerdings müssten die Parteien in jedem Quartier einzeln Wahlkampf betreiben – ein deutlicher Mehraufwand.» Ausserdem stelle sich die Frage was passieren würde, wenn Gewählte während der Legislatur in einen anderen Stadtteil ziehen. In einer Stadt wie Bern kann das schnell passieren.
Die Expertinnen aus dem Stadtrat
Auch der Tisch wird nach dem Halt im Bünerpärkli in einen anderen Stadtteil gezogen. Wobei ziehen nur die halbe Wahrheit ist. Am Viktoriaplatz werden die Bänder nach hinten verlegt: Die Strasse hinunter und über die Kornhausbrücke muss der Tisch gebremst werden.
Während des kleinen Umbaus bleibt Zeit, nochmals Leute anzusprechen. «Wir sind für die Fusion – Ostermundigen Willkommen!», antwortet die angesprochene Frau. Ähnlich euphorisch äussert sich weiter unten vor dem Kornhaus ein Ex-Berner: «Bärn, no so gärn!» Er sei wegen steigender Mietpreise nach Ostermundigen gezogen, erzählt der Mann. Die Aussicht, wieder der Gemeinde Bern anzugehören, freue ihn.
Ob weggezogen oder noch immer in der Stadt wohnhaft, die Berner*innen stehen der Fusion offenbar positiver gegenüber als viele Ostermundiger*innen. Diesen Eindruck teilen auch die Stadträtinnen Ingrid Kissling-Näf (SP), Rahel Ruch (GB) und Dolores Dana (FDP). Sie alle sind Mitglied der Agglomerationskommission und mit dem Geschäft bestens vertraut.
Vor dem Kornhaus setzen sich die Parlamentarierinnen an den Tisch und sind schon bald in eine Diskussion über die Fusion vertieft. Bern habe nichts dabei zu verlieren, Ostermundigen hingegen setze Identität und Eigenständigkeit aufs Spiel, wird argumentiert. Deshalb sei es wichtig, den Ostermundiger*innen zu signalisieren, dass ihre Sorgen in Bern ernst genommen werden.
Einige dieser Sorgen liegen nun auf dem (metaphorischen) Tisch. Sie aufzunehmen und in die weitere Fusionsplanung einfliessen zu lassen, ist nun Aufgabe der Politik.