«Bern wird zur Wohnstadt für gutverdienende Büroangestellte»

von Redaktion Journal B & David Fürst 11. September 2024

Gemeinderatswahlen Ende November werden die fünf Sitze in der Stadtregierung neu besetzt. Jede Woche stellen wir euch hier eine*n der neun Kandidierenden vor. Heute: Florence Pärli. Die FDP-Stadträtin wünscht sich eine andere Finanzpolitik und fragt sich, weshalb die Stadt Bern keine Hochhäuser baut.

Wir treffen Florence Pärli im Länggassquartier. Pärli wohnt selbst in der Länggasse und mag die Lebendigkeit dort. Ihr Lieblingslokal in der Länggasse ist Gustavs Biergarten, der hatte zum Zeitpunkt des Fototermins allerdings geschlossen. 

Was mögen Sie besonders an der Stadt Bern?

Unzähliges: Bärndüütsch, dass wir freundlich miteinander sind, der Biber in der Aare morgens um 06:00 Uhr in der Nähe des Lorraine-Bads, unsere Restaurants & Bars, die Lädeli in der Altstadt, …

Was fehlt Bern noch?

Bern zählt zu den lebenswertesten Städten der Welt, entwickelt sich jedoch zunehmend zu einer reinen Wohnstadt für gutverdienende Büroangestellte, die mit dem Lastenvelo zur Arbeit fahren können. Damit Bern weiter pulsiert, müssen alle Lebensstile und Berufe willkommen sein. Kultur und Gastronomie dürfen nicht an Lärmklagen scheitern, und Bern sollte Raum für produzierendes Gewerbe und innovative Unternehmen bieten, auch, um als Hochschulstandort relevant zu bleiben.

Bern bezahlt bereits mehr Zinsen als für Kultur.

Wie informieren Sie sich über das Geschehen in Bern?

Ich lese sehr viel Zeitung und versuche dabei, die Berner Zeitungslandschaft möglichst umfassend zu berücksichtigen. Zu meinem Lesestoff gehört selbstverständlich auch das Journal B.

Wo hapert es in der Gemeinderatspolitik?

Rot/Grün dominiert den Gemeinderat zu stark, was ideologisch geprägte Entscheidungen ohne Ideenwettbewerb zur Folge hat. Besonders problematisch sind die Finanzen: Trotz guter Konjunktur plant der Gemeinderat jährliche Defizite und eine sehr hohe zusätzliche Verschuldung bis 2028. Zukünftige Generationen müssen diese Schulden begleichen, was ihre finanziellen Spielräume einschränken wird. Zudem zahlt Bern bereits mehr Zinsen als für Kultur. Viele Mittel könnten ohne Neuverschuldung gefunden werden, wenn die Verwaltung effizienter wäre und Aufgaben, die auf Kantons- oder Bundesebene gehören, nicht auch noch von Bern übernommen würden. Auch Baukosten sollten hinterfragt werden; Berner Projekte, insbesondere für Schulraum, sind im Vergleich zu ähnlichen Vorhaben in der Agglomeration oftmals viel teurer.

Foto: David Fürst

Welche Direktion würden Sie am liebsten übernehmen?

Die Finanzdirektion. Deren Aufgaben liegen meinem Beruf am nächsten; ich arbeite als Juristin MLaw im Steuerrecht und habe dahingehend auch Weiterbildungen in Betriebswirtschaften absolviert. Aber auch politisch liegt mein Fokus bereits heute auf den Finanzen und ich bin Mitglied in der Finanzkommission.

Was möchten Sie in den nächsten vier Jahren im Gemeinderat anstossen?

In erster Linie möchte ich eine Steuererhöhung verhindern. Sie wäre vor allem für Geringverdiener eine Katastrophe. In der Stadt Bern zahlen auch Bezügerinnen und Bezüger von Ergänzungsleistungen Steuern. Ich helfe jeweils freiwillig beim Ausfüllen von Steuererklärungen und weiss: Eine Erhöhung um wenige hundert Franken wäre für viele bereits existenziell. Eine meiner Klientinnen könnte sich bspw. das Futter für ihre Katze nicht mehr leisten.

Foto: David Fürst

Wie soll Bern in 20 Jahren aussehen?

Bern soll noch lebenswerter sein. Dafür würde ich mir wünschen, dass mehr Verkehr – der eine Lebensader der Stadt bildet und den man deshalb nicht einfach verhindern kann – unterirdisch geführt wird. Dort, wo das nicht möglich ist, muss ein für alle Verkehrsteilnehmer sinnvoller Verkehrsmix gegeben sein. Toll wäre auch, wenn Wege kürzer werden: Ich wünsche mir mehr Lifte von der Matte hoch in die Stadt und dass man eine Brücke für alle Verkehrsteilnehmer von der Lorraine in die Länggasse prüft, das wird wohl spätestens nötig, wenn das Viererfeld/Mittelfeld überbaut ist. Schliesslich bin ich ein Fan von schönen Hochhäusern. Wieso lassen Zürich, Basel und sogar Ostermundigen moderne Meisterwerke zu, Bern aber nicht?