Unter der Leitung des Galeristen Bernhard Bischoff diskutierten am Samstagabend in der Kunsthalle Bern der Herausgeber Reiner Brouwer; die Leiterin der Abteilung Gegenwart des Kunstmuseums, Kathleen Bühler; die Kunstsammlerin Carola Ertle Ketterer und der Direktor des Zentrums Paul Klee, Peter Fischer. Wobei: «diskutieren» ist übertrieben. Auf dem Podium war man sich von vornherein soweit einig, dass es genügte, aus dem Bauch heraus auch ein bisschen mitzuplaudern.
Ausnahme war der Moderator Bischoff, von Beruf massgeblicher Galerist auf dem Platz Bern (Galerie Bernhard Bischoff & Partner; Galerie Kornfeld). Zwar empfahl ihn seine Moderationsleistung eher für den diplomatischen Dienst als für einen kritischen Kunstdiskurs. Und treuherzig gab er gleich zu Beginn bekannt, während der Vorbereitung des Podiums habe er mitgeholfen, den Arbeitstitel der Veranstaltung: «Bern – eine Kunststadt?» in das PR-tauglichere «Bern – eine Kunststadt!» umzudichten. Aber immerhin: Bischoff hatte sich vorbereitet und, soweit es auf dem Podium um die Niederungen des Faktischen ging, bestritt er den Abend weitgehend allein.
Es wäre noch mehr «Kunststadt» möglich
Reiner Brouwer, Herausgeber der Zeitschrift Artmapp in Hamburg, sass mit unbestechlichem Aussenblick auf dem Podium, hatte allerdings seinem Interview im «Bund», das man seit zwei Tagen kannte, nicht mehr viel beizufügen. Dort hatte er festgehalten, dass nicht «Künstler, Kuratoren, Kunstmanager» den «Humus, auf dem die Kunst blüht», bildeten, sondern «das Bürgertum»: «Eine Gesellschaft, die Kunst will, macht Kunst möglich. Auch in Bern.» Eine realistische Aussensicht: Spricht man von Kunst, ist demnach – auch in Bern – unter «Gesellschaft» die «gute Gesellschaft», also «das Bürgertum» zu verstehen, das bauen resp. ausstellen lässt und/oder Kunst sammelt. Kurzum: Bern wäre mehr «Kunststadt», wenn mehr Vermögen in «Kunst» investiert würde.
Kathleen Bühler verglich das Kunstmuseum Bern mit der Fondation Beyeler in Riehen und klagte: «Wer von uns hier in Bern könnte sich schon einen Werbespot vor der Tagesschau leisten?» Selbstdarstellung und «Sichtbarkeit in dieser aufmerksamkeitsumkämpften Zeit» seien wichtig und es gehe um «Profil» und «Brand». «Damit für die Ausstellung auch noch ein bisschen übrig bleibt», könne man nicht das ganze Budget in die PR stecken. Darum brauche es mehr Geld. Kurzum: Bern wäre mehr «Kunststadt», wenn dank mehr Geld durchschlagendere Public Relation möglich wäre.
Als Direktor des Zentrums Paul Klee pflichtete Peter Fischer bei: «Wer mehr Geld hat, kann sich mehr Präsenz kaufen.» In seinem Fall sei die Sache die: Erstens stehe das Klee-Zentrum als Leuchtturm mit nationaler und internationaler Ausstrahlung in Konkurrenz «zur ersten Liga der Schweiz», die viele in Bern gar nicht vermuteten. Zweitens müsse das Museum mit den Subventionen des Kantons (6 Millionen pro Jahr) einfach eine gewisse Anzahl von Leuten erreichen. Und das sei, drittens, nicht einfach, wenn «der qualitative Anspruch sehr hoch» und man bestrebt sei, «qualifizierte Begegnungen mit Kunst» zu ermöglichen. Kurzum: Bern wäre mehr «Kunststadt», wenn im «Kunst-Leuchtturm» mehr Eintritte generiert würden trotz des eigenen Qualitätsanspruchs.
Die Sammlerin Carola Ertle Ketterer schliesslich bedauerte, dass in Bern «die politische Kunst, die gesellschaftskritische Kunst» weitgehend fehle. «Ich frage mich manchmal, ob die Künstler und Künstlerinnen derart damit beschäftigt sind, ihren Lebensunterhalt zu verdienen, dass sie sich auf die politische, gesellschaftliche Lage nicht mehr einlassen können.» Kurzum: Bern wäre mehr «Kunststadt», wenn jene, die Kunst machen auf jene hören würden, die Kunst sammeln, und, statt ans schnöde Geld zu denken, sich zwar nicht um den Kopf, aber doch ein bisschen mehr um den Kragen künstlern würden, damit es Interessanteres zu sammeln gäbe.
Themenvorschlag für ein nächstes Podium
Nach diesem Podiumsgespräch ist klar: Über die Feststellung, dass Bern eine «Kunststadt» sei, lässt sich gemütlich reden, wenn man keine KünstlerInnen einlädt und die Frage, was Kunst sei, überhaupt ausklammert.
Und klar ist: Bern ist insofern eine «Kunststadt», als es hier viele Institutionen und Leute gibt, die Rang, Namen und Verdienst aus der Tatsache generieren, dass andere (meist anderswo) «Kunst» machen oder gemacht haben: nämlich die sogenannten Künstler und Künstlerinnen, die man, so Bischoff auf dem Podium, «bewusst» nicht eingeladen habe. Warum nicht? Kann eine «Gesellschaft, die Kunst will», ohne KünstlerInnen Kunst möglich machen?
Themenvorschlag für ein nächstes Podium: Was bedeutet das Wort «Kunst» im Kompositum «Kunststadt» – und zwar nicht 1965 unter Szeemann und nicht in New York oder in Berlin, sondern heute in Bern? Was ist hier und heute ihr Inhalt und was ihre Qualität? Und, falls man darüber nicht reden kann oder will: Was bedeutet das für die Kunst?