Alltag - Kolumne

Bern im Bauch, Pinsa im Herzen

von Jovana Nikic 12. Juni 2025

Be(rn)trachtungen Pinsa-Duft, erster Kuss und verpatztes Liebesdrama: Bern wird für unsere Kolumnistin zum Schauplatz kleiner Wunder und lässt sie in Erinnerungen schwelgen.

Sommer in Bern. Der wolkenlose Himmel hängt über den Dächern, die Aare fliesst träge, flaniert wie ein Nachmittag ohne Termine. Ich warte auf meine Pinsa – Pesto, geröstete Pinienkerne, ein Duft, der ein kleines Versprechen in sich trägt. Da stehe ich also vor dieser roten Tür. Damals dachte ich nicht, dass sie einmal Teil meiner persönlichen Stadtgeschichte werden würde.

Mein Handy vibriert. «Hast du den neuen Film ‹Das Geheimnis von Bern› schon gesehen?» fragt eine Bekannte. Ich muss mir ein lautes Lachen verkneifen. Eine Frage wie eine Pointe. Gesehen? Ich bin darin – ein kurzer Auftritt, aber immerhin.

Seit der Film im Kino läuft, stellen sich viele die Frage, woher diese unermüdliche Liebe zur Stadt Bern kommt. Ist es Stolz? Nostalgie? Oder romantisieren wir Bern einfach bis zur Unkenntlichkeit, bis selbst der abgeranzte Breitsch-Bushäuschen-Beton golden glänzt?

Ich gebe es gerne zu: Ich bin Romantikerin. Ich verliere mich in Bridget-Jones-Monologen, ein Schmetterling kann mein Herz höher schlagen lassen, und wer weiss, wie ich meinen Kaffee trinke, bekommt in meiner Vorstellung schon fast eine Einladung zu meiner Hochzeit. Als Protagonist versteht sich. Aber meine Liebe zu Bern hat mehr Tiefgang. Es ist nicht nur das Schöne, das Beneidenswerte – es ist das Erinnerte.

Diese rote Tür, für immer markiert auf meiner inneren Stadtkarte.

«Pinsa ist fertig!» ruft es aus dem Inneren des Restaurants Da Buccolo. Die rote Tür schwingt auf. Jetzt denke ich wieder an ihn – meinen ersten Kuss. Genau vor dieser Türe hatte ich ihn. Unbeholfen, zu nah, zu schnell, zu nass.

Und doch: Das Herz schlug wie wild, genau an diesem Ort. Ein pubertärer, pickliger Kuss, den man lieber erinnert als erlebt. Diese rote Tür, für immer markiert auf meiner inneren Stadtkarte. An den Namen des jungen Herrns hingegen erinnere ich mich kein bisschen (Sorry, Bro).

Mit dem dampfenden Pinsakarton in der Hand laufe ich zum Bellevue-Park zurück. Alles voll. Sogar die Bank, auf der ich 2016 mit Freundinnen mein erstes Bier trank. Wir waren sechzehn, rebellisch und mindestens so cool wie die Rapper, die wir auf unseren iPods hörten – dachten wir zumindest.

Also gehe ich weiter – dorthin, wo es immer ein bisschen nach Weitblick und Kesselstaub riecht: die Münsterplattform. Ich lasse mich ins Gras fallen, koste die Pinsa. Sattes Pesto, ein Teig wie eine Züri West Balade und geröstete Pinienkerne, die mich dem Himmel etwas näher bringen. Und da ist sie – die Erinnerung an 2020. Genau hier sass ich, als die Nachricht kam: Die Maturitätsprüfungen fallen aus. Mein Schnitt? Knapp über Vier. Mein Glück? Unfassbar!

Die Liebe zu einer Stadt ist keine gerade Linie, viel mehr eine chaotische Skizze.

Ich bleibe noch ein wenig, lese, denke, lasse mich unter der Sonne, umringt von kindlichem Gelächter, treiben. Als ich später Richtung Rathausplatz gehe, taucht der alte Brunnen auf. Und mit ihm ein Bild: junge Wilde, halbnackt, nass, johlend – es wird über den Sommerabend 2021 gemunkelt, von dem man sich heute noch Geschichten erzählt. Ich lächle. Bern liebt eben das Improvisierte.

Durch die Altstadt schlendere neben Boutique Schaufenstern zurück. Jeder Löwenzahn, der sich durch die Pflastersteine Richtung Sonne kämpft, wirkt wie ein Manifest: Auch das Ungeplante hat hier seinen Platz.

An der Haltestelle Bollwerk schlägt dann das Leben zurück. Der Bauch meldet sich – Pinsa ist keine leichte Kost. Und plötzlich bin ich wieder sechzehn. Hier hatte ich meinen ersten Streit mit einer Jugendliebe. Und ein paar Jahre später, zur Strafe vielleicht, genau hier den legendärsten Korb meines Lebens kassiert. Bridget Jones wäre stolz auf mich. Er ass Linsensalat, seelenruhig, während ich mit der Absage kämpfte. Ich erinnere mich, wie ich dachte: So gerne würde ich jetzt im Erdboden versinken wie der Linsensalat in seinen Gaumen.

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Die Liebe zu einer Stadt ist keine gerade Linie, viel mehr eine chaotische Skizze. Sie besteht aus Momenten, die sich wie die Sonne einbrennen – zart, peinlich, schmerzhaft, urkomisch. Die Liebe, die Bernerinnen für die Stadt empfinden, wird sich wohl kaum von jener Liebe der Menschen in Rom, Marseille oder Genf unterscheiden.

Manche lieben die Stadt wegen ihrer Architektur, andere wegen ihrer Kultur. Ich glaube, es ist das kollektive und doch intime Erinnern, das sie für uns besonders macht. Das «Wunder von Bern» kennen wir alle und doch erleben wir unsere ganz eigenen Wunder und Wunden individuell.

Einer hat auf der Münsterplattform eine lebensverändernde Nachricht erhalten. Zwei haben sich am Bollwerk verliebt. Und irgendwo sitzt gerade jemand in der Rathausgasse mit einem Pad Thai Menü und fühlt dabei dasselbe wie ich heute mit meiner Pinsa: Die Stadt lebt in uns weiter – Bissen für Bissen, Szene für Szene. Bern im Bauch, Pinsa im Herzen.