Bern für Menschen ohne und mit Behinderungen

von Michael Aebersold 31. Oktober 2016

SP-Politiker Michael Aebersold hat sich mit Menschen mit Behinderungen durch die Stadt bewegt und ist dabei auf lauter Hindernisse gestossen. Warum es nicht nur gerecht, sondern auch wirtschaftlich interessant ist, diese wegzuräumen.

Städtische Tempo-30-Zonen? Ist doch super! Dachte ich. Und sagte es auch meiner blinden Begleitung, die mich durch Bern führte, damit ich die Stadt einmal aus ihrer Warte wahrnehmen kann. Doch sie verneinte: Die verkehrsberuhigten Zonen würden mit neuer Signalisation arbeiten. Dies sei verwirrend für die Blindenhunde, die gelernt hätten, sich an Zebrastreifen zu orientieren.

Dieses Erlebnis hat mir einen einfachen, aber trotzdem immer wieder vernachlässigten Punkt aufgezeigt: Nur die Betroffenen selbst wissen, was für sie wichtig und richtig ist. Wer sich ohne Behinderungen durchs Leben bewegt, ist darauf kaum sensibilisiert und nimmt stattdessen eher die sichtbaren Hilfsmittel wahr. Zum Beispiel den Treppenlift auf die Bundesterrasse. Ist doch super! Dachte ich auch hier, bis mein Kollege im Rollstuhl mir aufzeigte, dass der Lift nur gerade für kleine Rollstühle ausgelegt ist. Ein Transport dauert fast 10 Minuten.

Zugangsfreiheit vor Denkmalschutz

So muss er denn auf dieser Seite des Bundeshauses bleiben – wo sich auch gleich ein nächstes unsichtbares Hindernis befindet. Wegen des Denkmalschutzes wurde beim Treppenaufgang auf Signalisationsstreifen verzichtet. Für mich ist das unverständlich. Sehenden fallen die einfachen weissen Linien am Boden kaum auf, Menschen mit Sehbehinderungen fehlen sie schmerzlich. Der Denkmalschutz oder auch die Kosten fallen für mich sehr viel weniger ins Gewicht als das Anliegen, dass Bern eine Stadt für ALLE wird.

Auch Familien und ältere Personen profitieren

Doch es gibt nicht nur negative Beispiele. Der Treppenlift beim Bärenpark hat diesen öffentlichen Ort mit einiger Verspätung auch endlich zu einem Ort für die ganze Öffentlichkeit gemacht. Gäbe es zum Rosengarten einen ähnlichen Lift, würde das den Zugang nicht nur für Personen im Rollstuhl vereinfachen, sondern auch für Familien mit Kinderwagen oder ältere Personen. Angesichts der demographischen Entwicklung ein riesiges Potenzial, das heute schlicht brachliegt. Denn auch aus touristischer und wirtschaftlicher Sicht ist es sinnlos, ganze Gruppen von Menschen von einem Angebot auszuschliessen. Zumal die entsprechenden Massnahmen oft auch ganz einfach und wenig aufwändig sind.

Die Stadt Bern setzt sich schon stark für eine hindernisfreie Stadt ein, angefangen bei der Website, die seit Kurzem barrierenfrei ist. Und doch gibt es noch einiges zu tun. Als Gemeinderat würde ich mich konsequent dafür einsetzen, dass sich alle gleichberechtigt am Stadtleben beteiligen können. Dazu braucht es die politische Partizipation von Menschen mit Behinderungen und die Sensibilisierung von Menschen ohne Behinderungen. So wird Bern noch attraktiver. Und auch dank verkehrsberuhigten Zonen – aber nur mit spezieller Signalisation für Blindenhunde.