Bern erlebt einen Bienen-Boom

von Anne-Careen Stoltze 27. Juni 2013

Im Kino hat es angefangen, nun summt es in allen Quartieren. Bienen sind en vogue, so sehr dass es in der Stadt Bern so viele Imker gibt, wie seit langem nicht. Während einige gerade erst ihre Leidenschaft entdecken, macht Beat Wenger seit Kindesbeinen in Honig. Doch ganz ohne Risiken ist der Boom der Hobbyimkerei nicht.

Unter hundertjährigen Bäumen, an Berns höchstem Punkt, summt es. Die Linden blühen, es ist kühl und nicht zu trocken – ideales Flugwetter. Es herrscht Hochbetrieb im Bienenhaus von Beat Wenger. Das Haus steht mitten auf einer Pferdeweide, die zum Heilpädagogischen Weissenheim gehört. Blumenwiesen und Familiengärten locken die Bienen in der Umgebung, es gibt genügend Futter. «Aber in diesem Jahr ist die Natur später dran als sonst, deswegen wird es weniger Honig geben», sagt Wenger. Zur besten Blütezeit von Kastanien und Obstbäumen regnete es oft und die Bienen konnten nicht ausfliegen. Der Hobbyimker kann deshalb in diesem Jahr statt
zweimal nur einmal – im August – ernten und Honig schleudern.

Bunter Hund als Imkervater

Dass Wenger einmal Imker wird, stand ziemlich früh fest. Vorausgesehen hatte es sein Imkervater. Gottfried Seiler führte ab den 1960er Jahren über mehrere Jahrzehnte den Lebensmittelladen und war im Eisenbahnerquartier bekannt wie ein bunter Hund. Neben dem Milchverkauf machte Seiler in Honig und der Bub Wenger half ihm im Bienenhaus.

«Wer Bienen ohne nötiges Fachwissen hält, gefährdet damit die Bienenstände in seiner Umgebung.»

Ruedi Ritter, Leiter Fachstelle Bienen am Inforama

Bei «Godi», seinem Imkervater lernte er das Handwerk von der Pike auf, wie die Bienenvölker gepflegt werden und wie der Honig aus den Waben kommt. Wenger war mit Feuereifer bei der Sache, verbrachte viel Zeit bei den Bienen. Bald prophezeite ihm sein Imkervater: «Du wirst einmal mein Nachfolger.» Für Wenger war das damals ein Kompliment, aber auch etwas überraschend.

Bienenstiche tun immer weh

«Nach der Schule stand zunächst die Lehre im Vordergrund und die Imkerei geriet ins Hintertreffen», erinnert sich Wenger. Er stopft seine Imkerpfeife und zündet sie an. Es qualmt und riecht ähnlich wie ein Räucherofen. Geraucht wird die Pfeife aber nicht, sondern in sie hineingeblasen. Der Rauch beruhigt die Biene und erleichtert dem Imker die Arbeit, wenn er Waben herausnimmt und seine Völker kontrolliert. Jeder Eingriff in den Bienenstock bedeutet Stress für die Insekten, bei dem der Imker einen Stich kassieren könnte. «Ich werde oft gestochen, daran gewöhnt man sich zwar, aber es tut auch nach all den Jahren immer noch weh», sagt Wenger.

Seit er eine Familie gegründet hat, imkert er im Quartier. «Ich übernahm zwei Völker von meinem Imkervater und züchtete dann meine eigenen Bienen», sagt Wenger. Bald hatte er 20 Völker beisammen. Als sein Imkervater 2005 starb, übernahm Wenger dessen Völker und wurde wie vorausgesagt sein Nachfolger. Bald wurde es im Bienenhaus zu eng und Wenger beriet mit dem Weissenheim, ob und wie das Bienenhaus vergrössert werden könnte. Heute führt er das Bienenhaus und betreut die Völker des Weissenheims.

Bienenpflege statt Golfspiel

Die Imkerei ist für Wenger ein Hobby. «Es braucht viel Zeit und man muss immer mit Verlusten rechnen», sagt er. Im vorletzten Winter erlitt Wenger einen Totalverlust seiner Bienen und weiss bis heute nicht, woran es gelegen hat. So wie ihm ging es vielen Schweizer Imkern: 2012 verendete jedes zweite Bienenvolk, im vergangenen Winter war es jedes vierte. Zudem kann das Imkern ins Geld gehen. «Zum Teil verkaufe ich den gewonnenen Honig und wenn ich Glück habe geht es auf.» Wie kostspielig sein Hobby ist, darüber denkt Wenger nicht nach: «Andere Leute spielen Golf und bezahlen dafür sicher mehr.»

«Die Bienen zwingen mich zu Langsamkeit und Ruhe, bei ihnen kann ich abschalten.»

Beat Wenger, Imker

Was die Bienen ihm geben, sei sowieso nicht mit Geld aufzuwiegen. «Sie zwingen mich zu Langsamkeit und Ruhe», erklärt Wenger. Gehe er mit Hast an die Arbeit, dann reagierten die Bienen aggressiv darauf. In seiner Arbeit bei der SBB sei er oft recht belastet. Bei den Bienen könne er «herunterfahren» und abschalten. Eine Beziehung zwischen Mensch und Tier entsteht allerdings nicht. Am Ende ist er natürlich stolz auf seinen Honig, den er gerne an seine Kinder und bei Besuchen an seine Gastgeber verschenkt. Die Kontrolle durch den Honigkontrolleur hat ihm eine sehr gute Qualität seines Honigs bestätigt.

Imkerneuling im Weissenbühl

Noch ganz frisch bei den Berner Imkern ist Jean-Paul Rohner im Weissenbühl-Quartier. Er hat im Winter seine ersten beiden Völker samt Bienenstöcken angeschafft. «Vor einem Jahr habe ich angefangen Fachliteratur zu büffeln», sagt Rohner. Parallel absolviert er den
zweijährigen Imkerkurs vom Verein deutschschweizerischer und rätoromanischer Bienenfreunde VDRB. Rat und Hilfe bekommt er auch von seinem erfahreneren Imkerkollegen Wenger. Inzwischen haben sich Rohners Bienen vermehrt und wenn alles gut geht, kann er im August seinen ersten Honig ernten.

Die kritische Seite des Imkerbooms

So wie Jean-Paul Rohner begeistern sich immer mehr Stadtmenschen für die Imkerei. Der VDRB bildet erstmals in diesem Jahr über 900 Leute aus. In den Jahren zuvor waren es zwischen 500 und 600. Ausgelöst durch die öffentlichen Debatten um das Bienensterben und nicht zuletzt den Kinofilm «More than Honey» wollen sie sich für die Bienen engagieren, die fleissigen Nektarsammlerinnen «retten».

An über 70 Standorten summt es derzeit in Stadtbern – zum Teil auch auf Balkonen. Doch der Boom der Hobbyimkerei kann auch nach hinten losgehen, denn derzeit kann jeder und jede in Bern Bienen halten ohne einen Fähigkeitsausweis zu haben. «Leider ist das möglich», sagt Ruedi Ritter von der kantonalen Ausbildungsstätte Inforama und betont: «wer Bienen ohne nötiges Fachwissen hält, gefährdet damit die Bienenstände in der Umgebung seines Bienenstandes.» Der Leiter der Fachstelle Bienen sieht den Trend zur Bienenhaltung denn auch kritisch: «Das Thema Bienensterben ist in aller Munde und der Kinofilm lässt viele zu Scheinexperten in der Sache aufsteigen.»

«Wer im Sommer, der arbeits-intensivsten Zeit, in die Ferien gehen will, sollte nicht imkern.»

Robert Sieber, Vizepräsident VDRB

Ohne Fachwissen geht es auch aus Sicht von VDRB-Vizepräsident Robert Sieber nicht. «Interessierte müssen sich bewusst sein, dass Imkern eine wunderbare aber auch eine sehr anspruchsvolle Tätigkeit ist», sagt er. Zudem müssten Anfänger von Beginn an akzeptieren, dass die Ausbildung lebenslang dauert und man nach dem Grundkurs wirklich nur die Basics verstanden hat. Sieber rät von der Imkerei beispielsweise ab, «wenn jemand im Sommer, der arbeitsintensivsten Zeit, lieber in die Ferien geht oder wenn sich jemand nicht – und das ist das Wichtigste – voll und ganz für das Wohl der Bienen einsetzen will.»

Vom Urban Gardening zum Urban Beekeeping

Die Idee, Bienen zu halten, kam Neuimker Rohner indes nicht durch «More than Honey». «Ich bin begeistert von diesem Wunderwerk, wie die Bienen aus sich selbst so wertvolle Produkte wie Wachs, Honig und Propolis schaffen», erklärt er. Kurz vor seiner Pensionierung habe er nach einer Beschäftigung gesucht, in die er sich mit voller Begeisterung stürzen konnte. Was ihn seit einem Jahr auch anspornt: «Man lernt nie aus, denn die Bienen funktionieren in der Realität oft anders als in den Büchern beschrieben.» Hinzu kommt noch, dass der Hobby-Imker auch mit Leidenschaft gärtnert. Seit einigen Jahren bewirtschaftet er den Hinterhofgarten des Mehrfamilienhauses, in dem er wohnt. «Eines Tages sass ich im Garten und dachte: «Warum halte ich nicht Bienen! Es liegt doch nahe», erinnert er sich. Eine
Schlussfolgerung, die auch viele Stadtgärtner und -gärtnerinnen weltweit machen – vom urban gardening zum urban beekeeping.

«Die Bienen funktionieren in der Realität oft anders als in den Büchern beschrieben.»

Jean-Paul Rohner, Neu-Imker

Schon bei der Gartenbepflanzung hat Rohner darauf geachtet, den Bienen genug Nahrung zu bieten: Akelei, Brombeeren und Glyzinien blühen neben Salatköpfen, viel Klee im Rasen, Efeu im Apfelbaum, und am Gartentor steht eine Robinie. Auch in der Nachbarschaft finden die Bienen ausreichend Futter. «Hier stehen viele Apfel- und Kirschbäume sowie Spalierobst wie Aprikosen und Birnen.»

Städtischen Bienen geht es besser

Den Stadtbienen geht es sehr gut, sogar besser als ihren Schwestern auf dem Lande. «Bern ist sehr grün und es gibt zahlreiche Trachtpflanzen wie Ahorn, Kastanien und Linden, die den Bienen gute Nahrung bieten», sagt Ritter. Auf dem Land leben die Bienen oft von Monokulturen wie Raps. «Wenn deren Blüte vorbei ist, finden die Bienen vor allem in der ‚Trachtlücke‘, der blüharmen Phase ab Juni weniger Futter», erklärt der Bienenexperte. Bis Anfang Sommer müssten Bienen besonders fleissig futtern und Vorräte anlegen, damit sie über den Winter kommen. Die städtische Umgebung biete den Sommer über und bis in den Herbst mit Rabattenbepflanzungen, Grünanlagen und auch Familiengärten quasi durchgehend ein gutes Kontrastprogramm. «Das Nahrungsangebot in der Stadt ist auf jeden Fall ebenbürtig, wenn nicht gar besser als auf dem Land», betont Ritter.

Bei seinen Nachbarn stiess Rohner manchmal auf Skepsis, ob die Bienenhaltung in dem engbebauten Quartier funktionieren könnte, zumal in dem Mehrfamilienhaus auch einige kleine Kinder wohnen. «Doch viele reagierten auch begeistert, keiner hat die Idee abgelehnt.»

«Honig ist nicht mein Hauptziel, sondern dass ich meine Bienen gut über den Winter bringe.»

Jean-Paul Rohner, Neu-Imker

Nach reiflicher Überlegung investierte Rohner diesen Frühling in Bienenkästen und drei Bienenvölker mit je rund 10.000 Bienen. Durch Schwärme hat sich der Bestand inzwischen auf vier Völker vergrössert. Platz hat es auch noch für mehr. «Aber ich will langsam anfangen», sagt Rohner, der von Routine noch weit entfernt ist. Die nächsten Schritte sind indes bereits genau geplant: «Im Juli beginne ich mit der ersten Milbenbehandlung und wenn alles gut geht, kann ich vorher erstmals Honig ernten.» Das nötige Gerät dafür kann er sich bei Imkerkollegen leihen. «Aber der Honig ist nicht mein Hauptziel, sondern dass ich meine Bienen gut über den Winter bringe.»