Fürchterliches ist in der NZZ vom 26. August zu lesen: In Bern gebe es «praktisch keine Banken, keine Geschäftsleute, keine Geschäftigkeit», schreibt die Inlandredaktorin Katharina Fontana. Die Gassen mit den schönen Bürgerhäusern seien ausgestorben, Bern sei «Weltkulturerbe mit Sozialismus-Charme». Dafür würden «Begegnungszonen mit Tempo 20 fast schon flächendeckend eingeführt». Glaubt man dem Artikel, muss es wirklich übel zu und her gehen in der Bundesstadt. Natürlich darf bei der Schilderung der Ungeheuerlichkeiten auch das Schreckensbild der Steuerhölle nicht fehlen.
Die Autorin dieses Artikels war beim Bundesamt für Justiz beschäftigt, und sie war jahrelang Bundeshauskorrespondentin für die NZZ. Es ist also anzunehmen, dass sie schon das eine oder andere Mal in Bern war. Die Ursache ihres sonderbaren Bern-Bildes kann also nicht in persönlicher Unkenntnis liegen, sondern muss mit später erworbenem Realitätsverlust zu tun haben. Vielleicht hat ihr ein zweijähriges Gastspiel bei der rechten «Weltwoche» den Blick ideologisch vernebelt.
Düstere Zukunft
Auch die Zukunftsperspektiven für Bern sieht Katharina Fontana düster bis grauenhaft. Laut ihrem Beitrag tun die rot-grünen Stadtoberen alles, um «Gleichgesinnte anzulocken». So sei die Stadt daran, wie wild Mehrfamilienhäuser aufzukaufen, «um darin ihre eigene Klientel günstig unterzubringen». Noch schlimmer: Es gebe in Bern sogar Mietmodelle, «bei denen die Bewohnenden entscheiden, wer ins Haus einziehen darf». Dabei habe selbstverständlich «der autofahrende Ingenieur gegenüber dem teilzeitbeschäftigten Sozialpädagogen» schlechte Karten. So verkomme Bern zum linken Sozialexperiment.
Kaum Aussichten also für eine bessere Zukunft. Es sei denn, das Sozialexperiment Bern bricht finanziell zusammen. Genau darauf hofft Frau Fontana: «Die guten Steuerzahler haben sich bereits davongemacht und werden sich davor hüten, zurückzukommen. Finanzkräftige Unternehmen hat Bern so gut wie keine. Und mit teilzeitarbeitenden Sozialpädagogen lassen sich all die Wohltaten nicht finanzieren». Deshalb könne es mit der Bundesstadt ab sofort nur noch bergab gehen.
Ist das qualifizierter Journalismus?
Die NZZ veröffentlicht den Beitrag in der Rubrik «Meinung & Debatte». Damit soll wohl ausgedrückt werden, dass dieser hanebüchene Unfug ernst gemeint ist. Wer also auf eine schlecht gelungene Karikatur tippt, liegt falsch.
Vielleicht sollte sich die Autorin einmal die Frage stellen, weshalb denn diese ach so linke Politik in der Bundesstadt immer wieder so grosse und nachhaltige Unterstützung findet. Es könnte nämlich sein, dass Lebensqualität und soziale Sicherheit für die Menschen in Bern wichtig sind. Es könnte auch sein, dass viele Bernerinnen und Berner Werte wie Inklusion, kulturelle Vielfalt, Mitbestimmung, Solidarität usw. nicht nur in Wahlprogrammen lesen, sondern in der gelebten städtischen Wirklichkeit erfahren wollen. Es könnte sogar sein, dass diese Leute bereit sind, für einen solchen sozialen Mehrwert etwas höhere Steuern zu bezahlen.
All dies könnte durchaus sein, obwohl es rechtsliberalen Vorstellungen widerspricht. Als Journalistin, die ihren Beruf ernst nimmt, müsste Katharina Fontana diese Möglichkeit doch erst einmal in Erwägung ziehen, bevor sie sich anmasst, über das angebliche «ultralinke Sozialparadies» herzuziehen. Aber offenbar ist bei der NZZ qualifiziertes journalistisches Handwerk nicht erforderlich, solange die rechte Ideologie stimmt.