Meine Vorbereitung auf die Behindertensession begann im November 2022, als ich die Ankündigung bei Pro Infirmis sah. Ich lebe mit leichter Cerebralparese und habe Beeinträchtigungen im neurodiversen Bereich. Dazu gehört eine detailbezogene Wahrnehmung, die Vorteile mit sich bringt, aber auch zu Reizüberflutung und Konzentrationsstörungen führen kann.
Meine Einschränkungen sind wie bei vielen anderen oft wenig sichtbar. Im interdisziplinären Masterstudium in Political, Legal and Economic Philosophy an der Universität Bern habe ich mich mit Themen der Gleichstellung und der Menschenrechte auseinandergesetzt. Danach habe ich ein Praktikum bei der Vereinigung Cerebral Schweiz absolviert. Jetzt arbeite ich bei der Kantonalen Behindertenkonferenz Bern kbk.
Vorbereitung, erster Teil: Auf in neue Gefilde!
Bereits vor der Session habe ich also Erfahrungen im Behindertenbereich und Kenntnisse zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen gesammelt. Politisch tätig war ich zuvor nie. Dennoch war mir klar, dass ich kandidieren will. Mich sprach es an, an der Behindertensession teilzunehmen, da in der Politik viele Weichen für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen gestellt werden. Zudem fand ich es spannend, meine Kenntnisse einzubringen und neue Bekanntschaften zu schliessen.
Ich finde es zentral, bei der Selbst- und Interessensvertretung von Menschen mit Behinderungen die Perspektiven anderer Betroffener einzubeziehen.
Meine Kandidatur wurde angenommen, zwischen dem 20. Dezember und dem 20. Januar ging es so an das Sammeln der Stimmen. Dabei habe ich verschiedene Strategien ausprobiert. Ich habe Posts auf Facebook und LinkedIn verfasst und Personen angeschrieben, die ich kenne. Auch meine Familie und Freunde unterstützten mich. Am 23. Januar erhielt ich die freudige Nachricht, dass ich gewählt war.
Vorbereitung, zweiter Teil: Die Anträge
Nach der Wahl gab es am 9. Februar eine Vorbereitungssitzung in Zürich mit anderen Gewählten aus der Deutschschweiz. Es wurden generelle Themen und der Resolutionsentwurf diskutiert. Wir konnten zudem Ideen für Ergänzungen und Änderungen besprechen. Danach hatten alle Teilnehmenden bis am 20. Februar Zeit, Anträge einzureichen.
Für meine Anträge war mein Engagement bei der Vereinigung Cerebral Schweiz eine wichtige Inspirationsquelle. Dort gibt es spannende Austauschrunden mit anderen Selbstbetroffenen. Ich finde es zentral, bei der Selbst- und Interessensvertretung von Menschen mit Behinderungen die Perspektiven anderer Betroffener einzubeziehen.
Es ist nicht einfach, etwas in zwei Minuten zu erklären, über das man mehrere Tage diskutieren könnte.
Einen Antrag durfte ich an der Session mündlich präsentieren. In diesem ging es um das Recht auf politische Bildung und das Recht auf die notwendige Unterstützung für eine selbstbestimmte politische Teilhabe. Das Thema der politischen Bildung spricht mich an, da Bildung in meinem Leben eine zentrale Rolle spielt. Es ist mir ein Anliegen, dass alle Menschen mit Behinderungen Zugang zu politischer Bildung haben.
Zusätzlich habe ich einen Antrag zum Einbezug von uns Menschen mit Behinderungen in der Politik eingebracht. Dieser wurde von der Kommission zusammen mit anderen Anträgen zu einer Ergänzung kombiniert, die angenommen und der Resolution beigefügt wurde.
Der grosse Moment: Meine Rede
Die Session selber fand am Nachmittag des 24. März im Bundeshaus statt. Es war toll, die Behindertensession an dem Ort abhalten zu können, wo die Eidgenössischen Räte sonst tagen. Dies, obwohl das ältere Gebäude nicht wirklich barrierefrei ist. Ich denke aber, dass es dank den temporären Anpassungen, wie zusätzlichen Rampen, ordentlich funktioniert hat. Persönlich hatte ich etwas Mühe, mich zu orientieren, das Bundeshaus ist gross und verwinkelt. Aber wir waren alle rechtzeitig auf unseren Plätzen und die Session konnte pünktlich um 13:30 Uhr beginnen.
Meinen grossen Moment hatte ich gegen 16 Uhr. Ich durfte meinen Antrag zur politischen Bildung und das Recht auf die notwendige Unterstützung für eine selbstbestimmte politische Teilhabe vorstellen. Dabei erwähnte ich u.a. meine Forderung nach einer Vermittlung von Menschenrechten, insbesondere auch die UN-Behindertenrechtskonvention, in Regelschulen und Institutionen. Für meinen Antrag hatte ich – wie alle andern auch – nur zwei Minuten Zeit. Das fand ich schwierig. Es ist nicht einfach, etwas in zwei Minuten zu erklären, über das man mehrere Tage diskutieren könnte. Letztlich fand ich aber nach 20 Entwürfen einen Text, mit dem ich zufrieden war. Am Tag selber war ich ziemlich nervös, weshalb ich beim Vortragen schnell gesprochen habe. Zugleich fühlte es sich auch gut an, meine Rede halten zu dürfen.
Es ist ein schönes Gefühl, dass mein Anliegen zum Einbezug von uns Menschen mit Behinderungen in der Politik aufgenommen wurde.
Leider wurde mein Antrag verworfen, was ich schade finde. Andererseits ist das Politik: Nicht immer werden Anträge, die einem selber wichtig sind, angenommen. Es hat mich aber gefreut, dass einige meiner Gedanken bei anderen Personen Anklang fanden. Ebenso konnte ich einige gute Gespräche dazu führen.
Fazit: Eine spannende erste politische Erfahrung
Auch wenn mein mündlich vorgetragener Antrag verworfen wurde, kann ich sagen, dass viele Themen, die mir wichtig sind, in die Resolution aufgenommen worden sind. Ich finde alle Forderungen relevant. Ebenso ist es ein schönes Gefühl, dass mein Anliegen zum Einbezug von uns Menschen mit Behinderungen in der Politik aufgenommen wurde.
Ich habe als Parlamentarier an der Behindertensession sehr viel lernen können und ich bin für die vielen spannenden Kontakte, die ich knüpfen konnte, dankbar. Nun hoffe ich, dass die Resolution auf positive Resonanz stossen wird und es darauf basierend Fortschritte für uns Menschen mit Behinderungen geben wird.
Ausblick
Im Kanton Bern werden bereits heute über die Plattform Participia, die von der Kantonalen Behindertenkonferenz Bern (KBK) betrieben wird, Informationen barrierefrei vermittelt. Darunter etwa Grundlageninformationen zum Wohnen und zu aktuellen Themen wie dem Behindertenleistungsgesetz (BLG). Ich denke, wir tragen so zur Forderung der Zugänglichkeit von Informationen bei und nehmen dabei eine Vorreiterrolle ein.