Aus für aua 2020

von Christoph Reichenau 31. März 2020

Kein Theaterfestival heuer in Bern. Kein Fenster auf besonderes Theater aus vielen Teilen der Welt. Das ist schade. Es fehlt. Aua!

Es hätte gestern die Präsentation der ersten einigermassen genügend finanzierten Ausgabe von «auawirleben» werden soll. Es wurde die Bekanntgabe der Absage. Vom 8. bis 21. Mai gibt es in Bern kein Theaterfestival zum Thema «Better now». Die insgesamt 16 Stücke aus Deutschland, Frankreich, Belgien, Spanien, Holland, Brasilien, Australien, Italien, Estland, Finnland, Bolivien und der Schweiz erhalten keine Bühne bei uns. Das neue Festivalzentrum im PROGR wird es nicht geben.

«Better now». Die Thematik des Festivals wäre aktuell gewesen. Nein, sie ist aktuell. Dies zeigt das Editorial des Programmhefts, das wir untenstehend abdrucken. Es bietet Anregungen, weiterzudenken, allein und mit anderen. Was allerdings fehlt, ist der Ort, von dem der unlängst verstorbene Literaturwissenschafter George Steiner gesagt hat: «Im Theater ist der Mensch zugleich er selber und sein Nachbar» (zitiert nach Peter Kümmel, Die Zeit vom 26. März 2020, Seite 49).

«Auawirleben» – das Festival öffnet heuer kein Fester, durch das frischer Wind ins hiesige Theater bläst. Die Zugluft wird fehlen. Ebenso die «beste Jury der Welt», die zusammenkommen sollte (Text ganz unten). Doch eigentlich passt die Absage zum Namen des Festivals, der Programm ist: Indem wir leben, ecken wir an, stossen wir uns, stösst uns Vieles zu, ist nichts gewiss und alles stets gefährlich.

Passen wir auf uns und die anderen auf!

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Editorial auawirleben 2020

Da stehen Sie also im Supermarkt und greifen nach dem Bio-Bier und legen es glücklich zwischen die Seitanplätzli und die Fair-Trade-Schoggi in den Einkaufswagen. Aber dann kommt Ihnen in den Sinn, dass Sie ja mal gelesen haben, dass Einwegglas die schlechteste aller Bierverpackungen sei. Doch im Regal steht weder Bio-Bier in Dosen noch in Mehrwegflaschen. Was tun Sie? Was ist besser?

Oder Sie haben diesen Meditationskurs gebucht, um endlich mal ein bisschen dem alltäglichen Leistungsdruck zu entkommen. Und dann liegen Sie da schlapp auf der Matte und die Lehrerin bittet Sie, sich die beste Version von sich selbst vorzustellen. Wie jetzt? Wenn Sie wüssten, wie Sie besser würden, wären Sie es doch längst. Und überhaupt: Besser für wen? Besser für was? Aber gottseidank, der Mattennachbar hat auch Sorgenfalten auf dem Gesicht. Der kann das auch nicht besser als Sie, obwohl er schon viel länger in diesem Kurs ist. Das hebt Ihre Stimmung sofort.

Oder Sie versuchen, Ihrer Oma das Prinzip von Tinder zu erklären oder von Online-Shopping (kommt aufs Selbe) und erklären gerade so, wie man da immer weiter scrollen/swipen kann, in der Hoffnung, dass noch was Besseres kommt, und sie schüttelt den Kopf und sagt: «Solche Probleme hatten wir früher nicht». Und das macht Sie gerade ein bisschen sauer, denn früher war nämlich nicht alles besser! Aber dann sagt die Oma: «Dafür habt ihr es heute sonst sehr gut mit eurer Genderfluidität und der Klimajugend.»

Es ist kaum je eindeutig, was «besser» ist, und doch streben wir Tag ein, Tag aus nach Verbesserung, nach Selbstoptimierung, wir vergleichen uns und bewerten einander. Da geht es uns bei auawirleben auch nicht anders. Wir können uns dem nicht entziehen und versuchen stattdessen dieses Moment positiv zu verwerten. Wie einige andere europäische Kulturinstitutionen haben wir zu Beginn des Jahres ein Manifest geschrieben, das uns Leitplanken in unserer Arbeit gibt. Wir setzen uns ein für mehr Fairness, Transparenz, Diversität und Nachhaltigkeit und beginnen dabei bei uns selbst. Das hat ganz bestimmt einen Einfluss auf den Alltag unseres Teams.

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Wir suchen die beste Jury der Welt

Wir wollen’s wissen! Aber nicht etwa, welches das beste Stück des Festivals ist oder wer die beste Regie geführt hat (wäre ja viel zu langweilig). Stattdessen wollen wir das beste Poker-Face, die wildeste Frisur, die schönste Stimme, die krasseste Lüge und die romantischste Liebesszene küren. Und dafür haben wir die beste Theaterjury der Welt ins Leben gerufen! Via Ausschreibung haben sich Menschen bei uns gemeldet, die sonst nicht oft oder gar nicht ins Theater gehen. Viele sind als Jury-Mitglied überhaupt das erste Mal am aua. Diese Gruppe wird sich mit frischem Blick und wachem Kopf jeden Abend am Festival tummeln, Aufführungen anschauen und nach strengen Kriterien bewerten. Halten Sie Ausschau nach ihnen. Sie erkennen sie an den vergoldeten Festivalpässen. Die Jury verleiht am Ende des Festivals die allerersten und über alles erhabenen aua-Awards, also Auards.