Im Museum für Kommunikation wurde vor Kurzem die Ausstellung «Planetopia – Raum für Weltwandel» eröffnet, in der 90 Prozent des Materials weiter- oder wiederverwertet ist. Damit verbunden hat das Museum hausintern Regeln für das alltägliche Verhalten aufgestellt, die etwa auch die Vermeidung von Abfall betreffen. (Journal B hat berichtet).
Auch in anderen Kultureinrichtungen sind Ökologie, Einsparung von Energie und CO2 wichtig geworden. Die abtretende Direktorin der Kulturstiftung des Bundes in Deutschland sagt dazu gegenüber der ZEIT: «Wir machen Angebote zum Einüben ökologisch sensibler Kulturtechniken. Wir haben (…) gerade 26 Projekte gefördert, die versuchen, Theaterstücke, Opern, Ausstellungen klimaneutral zu produzieren. Wie kommt das Publikum ins Theater? Wie reisen die Mitarbeitenden der Museen? Die Häuser müssen erst einmal eine Klimabilanz machen, damit sie wissen, an welchen Stellen besonders viel Energie verbraucht wird. (…) Wie kann man CO2 einsparen, ohne Qualität zu verlieren, ohne dass der Zauber der Kunst verloren geht?»
Und hier? Ein Gespräch mit Verantwortlichen von Bühnen Bern zeigt, worum es geht. Diskutiert haben Florian Scholz, Intendant; Felicitas Zürcher, Chefdramaturgin Schauspiel; Olaf Schmidt, Chefdisponent/Betriebsdirektor sowie Reinhard zur Heiden, Technischer Direktor.
Es geht um alles
Im Gespräch, das impulsiv kreuz-und-quer verläuft, wird sofort klar: Alle wollen den CO2-Ausstoss verringern, wollen klimaneutraler werden, alle versuchen alles Mögliche in einem ständigen Prozess. Es geht um ein Vortasten, ein Ausprobieren im Rahmen des Leistungsvertrags, der gerade neu ausgehandelt wird. Das künstlerische Programm, das wichtige gesellschaftliche und politische Fragen aufnimmt, darf nicht unter Missachtung klimapolitischer Erkenntnisse ins Werk gesetzt werden.
Man kann nicht in einem autoritativen Betrieb glaubwürdig strukturelle Diskriminierung aufzeigen.
Wenn es auf der Bühne etwa um Ermächtigung von Minderheiten geht, um Gerechtigkeit oder im Schauspiel in einer Produktion konkret um Hunger, dann muss auch der Prozess des Theatermachens klimapolitisch hinterfragt und Schritt für Schritt umgesteuert werden. Dies betrifft nicht allein die Technik, es betrifft das Haus in sämtlichen Aspekten. Man kann nicht in einem autoritativen Betrieb glaubwürdig strukturelle Diskriminierung aufzeigen. Und man kann nicht gesellschaftlich relevant sein wollen, ohne sich betrieblich der Klimafrage zu stellen.
Übernahmen von anderswo
Ein Beispiel: Ein Stück weniger selbst zu produzieren, sondern von einem anderen Theater zu übernehmen und dafür dort ein eigenes zu zeigen, kann ein Lösungsansatz sein. In der laufenden Saison zeigen Bühnen Bern «Identitti» aus dem Theater Freiburg im Breisgau, während «Von schlechten Eltern» im dortigen Theater gezeigt wird.
Das ist nicht banal: Passt das Bühnenbild auf beide Bühnen? Wie wird es energieeffizient transportiert? Wie kommen die Schauspielerinnen und Schauspieler nach der Aufführung noch im Zug nach Hause? Wie viele Zoom-Besprechungstermine sind nötig? Um beurteilen zu können, ob und was eine derartige Übernahme dem Klima bringt, sind exakte Berechnungen von Fachstellen nötig.
Ausgangspunkt aller Überlegungen ist die alte Realität: Knappe Budgets sind normal an Stadttheatern, wie fast überall im Kulturbereich. Es gab – zumindest in Bern – nie die Möglichkeit, im Theater mit der grossen Kelle anzurichten. Stets wurde bei der technischen Produktion gespart. Bühnenbilder mussten für die Dauer ihres Einsatzes sicher, funktionstüchtig und attraktiv sein, eine zweite und dritte Verwendung war nicht geplant.
Heute denken die Künstler*innen eine Wiederverwertung mit. So sind aktuell in der Ballettproduktion «Loss of Nature» Bühnenelemente des Schauspiels «Maria Stuart» der vergangenen Saison eingesetzt. Handgefertigte Kostüme und Möbel wandern automatisch in den Fundus, von wo sie weiterverwendet werden können. In diesen Zeiten, wo Energie gespart werden soll und der Ausstoss von CO2 unbedingt reduziert werden muss, werden Normmaterialien verwendet oder etwa von anderen Theatern ausgeliehen, anstatt Ausgefallenes zu erfinden.
Es kommt darauf an
Allerdings gibt es eine Grenze, sie heisst künstlerische Freiheit. Wenn eine Inszenierung ein Bühnenbild oder Kostüme oder was immer verlangt, das weniger nachhaltig ist als es ökologisch geboten wäre, beginnt das Abwägen zwischen dem Anspruch der Kunst und dem Anspruch der Klimapolitik. Das Ergebnis ist von Fall zu Fall offen.
Es kommt darauf an – dieser Satz ist omnipräsent in der Diskussion. Während es im Bereich der Oper schon länger üblich sei, Produktionen zwischen Bern und anderen Theatern auszutauschen – aktuelles Beispiel ist die aus Klagenfurt stammende «Zauberflöte» –, ist der Gedanke im Bereich des Schauspiels zumindest im Stadttheater-System neuer. Denn zusätzlich zur ökologischen Anforderung geht es um die Anforderung des Leistungsvertrags, dem hiesigen Publikum etwas Eigenes zu bieten, das eigene künstlerische Profil zu bewahren und weiterzuentwickeln.
Wo endet die Kunstfreiheit?
Noch ein Beispiel: Das derzeit laufende Stück «Hunger» ist vielleicht in der Produktion weniger nachhaltig, als der Inhalt der Aufführung es beanspruchen würde. Zur Erklärung: Eine grosse Menge an Pflanzen wird extra gezogen und muss während des Spielintervalls in den Vidmarhallen gewässert und beleuchtet werden.
Ist das ein Problem? Grundsätzlich ja, aber im konkreten Fall erscheint es vertretbar. Manchmal müsse man unvernünftig sein, um einen Gedanken attraktiv, sinnlich und publikumswirksam ins Werk zu setzen, finden die Theaterverantwortlichen.
Und neben der Bühne? Auf die Mangellage des Winters werden auch Bühnen Bern reagieren, sollte es so weit kommen. Die Heizung im Zuschauerraum betrifft dies nicht unmittelbar wegen der Fernwärme, an deren Netz Bühnen Bern angeschlossen sind. Doch allgemein würden die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aufs Strom- und Energiesparen sensibilisiert. So ist das Catering für die Besucher*innen nur noch vegetarisch (während im Restaurant «Vierte Wand» weiterhin Fleisch angeboten werde).
Man stehe am Anfang, übernehme gute Beispiele aus der eigenen Vergangenheit. Dabei stehe man im Austausch mit anderen Theatern, die zum Teil schon weiter gekommen seien, wie etwa das Theater am Neumarkt in Zürich und das Théâtre du Vidy in Lausanne. Stets gehe es darum, den grössten Hebel für die gewünschte Wirkung zu finden – und im Budgetrahmen zu bleiben.
Gemeinsames Lernen
Das Migros-Kulturprozent unterstützt im Rahmen von M2Act sowie des Migros-Pionierfonds das Projekt «reflector». Es geht darum, Theaterbetriebe zu befähigen, ihre Praxis ökologisch nachhaltiger zu gestalten. «reflector» hat dafür den «Green Guide for the Performing Arts» erarbeitet, eine Anleitung mit konkreten Beispielen wirksamer Massnahmen. Bühnen Bern macht dabei mit.
Regelmässig kommt es zum Austausch unter den beteiligten Theatern, an denen man gemeinsam Themen bearbeitet und voneinander lernt. Am 11. und 12. November ging es an einem Netzwerktreffen in Lausanne um das Ökosystem der darstellenden Künste sowie um Versuche und Beispiele zu Ökologie, Emotion und Wirkung.
Eine Entwicklung gibt zu denken. Überall – in Bern seit der Eröffnung der Vidmarhallen – wird heute mehr Kunst produziert mit ständig sinkenden personellen und finanziellen Ressourcen, obwohl im Leistungsvertrag keine bestimmte Anzahl von Produktionen verlangt wird, wohl aber die Anzahl der Zuschauer*innen. Ist weniger also mehr, weniger Energie, weniger Verbrauch, mehr Recycling und Wiederverwertung? Grundsätzlich lautet die Antwort Ja. Doch Rezepte gibt es (noch) nicht. Der Weg ist lang, das Ziel nie erreicht. Doch der Anfang ist gemacht.