Anzeiger, Kulturagenda und die Stadt Bern – ein Vorschlag

von Christoph Reichenau 21. Mai 2022

Die amtlichen Bekanntmachungen der Gemeinden werden bald nur noch elektronisch veröffentlicht. Dies wird den Anzeiger Region Bern verändern. Zur Diskussion steht damit auch die Berner Kulturagenda, die derzeit zusammen mit dem Anzeiger in alle Haushaltungen der Region verteilt wird. Eine Gefahr und eine Chance.

Im Dezember 2021 hat der Grosse Rat beschlossen, dass die amtlichen Bekanntmachungen der Gemeinden im Kanton Bern (zum Beispiel Baugesuche, Wahlen) bald in elektronischer Form veröffentlicht werden dürfen. «Bald» bedeutet ab 2025. Dann fällt die Pflicht zur gedruckten Publikation weg. Print ist weiterhin möglich, als einzige Form der Veröffentlichung oder zusätzlich zur elektronischen Form. Bestehen beide Formen nebeneinander, gilt jene auf Papier.

Die amtlichen Bekanntmachungen im Wandel

Über die künftige Publikationsform entscheiden mit einfacher Mehrheit die Trägerschaften der heutigen Anzeiger. Wählen sie das Digitale, sollen sie sich möglichst für eine kantonsweit einheitliche Plattform entscheiden. So will es das Gesetz. Eine solche Plattform gibt es noch nicht. Der Kanton überlässt es den Gemeinden, sie zu schaffen. Das ist beabsichtigt, aber noch nicht geklärt.

Journal B unterstützen

Unabhängiger Journalismus kostet. Deshalb brauchen wir dich. Werde jetzt Mitglied oder spende.

Dies ist der ordentliche Weg. Es gibt eine Abkürzung: Eine Gemeinde, die schneller digital publizieren will, darf dies neben der Bekanntmachung im Anzeiger frühestens ab Anfang 2023. Das Problem: Es gibt dann noch keine kantonal einheitliche Plattform. Und: Wichtige Fragen, etwa bezüglich Datenschutz, werden noch nicht geklärt sein.

Dennoch ist es ab 1. Januar 2023 sogar zulässig, auf den Anzeiger zu verzichten und die rein amtlichen Mitteilungen ausschliesslich elektronisch zu publizieren. Dazu ist allerdings eine Zweidrittelmehrheit in der Trägerschaft des Anzeigers nötig. Das ist eine hohe Hürde, aber eine überwindbare.

Die Lage in der Region Bern

Wie ist es in Bern? Den Anzeiger Region Bern trägt ein Verband von 17 Gemeinden. Das grösste Mitglied ist die Stadt Bern. Der Verband hat mit der Firma SR Medien Group AG einen Vertrag über die Herausgabe des Anzeigers abgeschlossen. Die Gemeinden bezahlen für ihre amtlichen Pflicht-Publikationen und leisten zusätzlich einen jährlichen Grundbeitrag. Alle nicht amtlichen Mitteilungen der Mitglieder erscheinen gratis. Das ist eine Dienstleistung zum Nulltarif.

Ein Modell mit ungewisser Zukunft: Berner Kulturagenda als Beilage des Anzeiger Region Bern. (Foto: Maurin Baumann)

Der Grundbeitrag beläuft sich für die Stadt Bern pro Jahr auf etwa 475‘000 Franken. Der Beitrag hat sich in jüngster Zeit etwa halbiert. Der Betrag würde sich durch den Wechsel auf eine digitale Publikation nochmals deutlich reduzieren.

Reduzieren würden sich indes auch der nicht amtliche Inhalt des Anzeigers und seine Beilagen. Die wichtigste Beilage ist die Berner Kulturagenda (BKA). Wird der Anzeiger kurzfristig aufgegeben, fällt die BKA weg. Bleibt der Anzeiger noch bis 2024 bestehen, wie es der Grosse Rat vorsieht, gibt es eine gute Chance, für die BKA eine neue Trägerschaft aufzubauen. Dies hängt von der Stadt Bern ab.

Wie entscheidet sich die Stadt?

Um kurzfristig zu sparen könnte die Stadt anpeilen, den Anzeigerverband aufzulösen und in der Folge den Herausgabevertrag mit der SR Medien Group AG zu kündigen. Ein entsprechender Antrag der Stadt mit ihrem Stimmengewicht hätte Aussicht auf Erfolg. Es würde nicht überraschen, wenn Bern diesen Weg bald einschlägt.

Auf dem Weg stehen Hindernisse. Wenn der Anzeiger Region Bern, der grösste und technisch am besten ausgestattete Anzeiger, aufgegeben wird, droht ein massiver Verlust an politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Informationen. Es kommt zu Entschädigungszahlungen an die Herausgeberin. Rund 220 Personen mit kleinen Pensen droht der Verlust der Stelle beim Vertrieb. Und die BKA geht unter.

Die Berner Kulturagenda

Die BKA liegt zuverlässig jede Woche in 150‘000 Briefkästen der Stadt und Agglomeration Bern, umhüllt und vertrieben durch den Anzeiger Region Bern. Auf 12 bis 16 farbigen Seiten blickt die BKA auf das kulturelle Geschehen im Verbreitungsgebiet. Eine kleine Redaktion von vier Personen (230 Stellenprozente) sichtet, erklärt und veranschaulicht, was in allen Sparten kommt. Unterstützt werden diese von gut zehn freien Mitarbeitenden. Gratis und franko für die Empfängerinnen und Empfänger. Die BKA ist – online und gedruckt – das Schaufenster der Kultur in der Stadt und Region Bern. Man kann und soll sie noch verbessern, aber Umfragen haben ergeben, dass die an Kultur Interessierten und auch die Veranstalter*innen selbst mit der BKA zufrieden sind. Die BKA hat sich in der Zeit der Pandemie wesentlich gesteigert, sie ist frischer geworden, hat neue Kolumnist*innen und eine engagierte Redaktion.

Ein günstiges Erfolgsmodell

Die BKA ist seit der Streichung der «Berner Woche» 2003 einmalig in der Schweiz, seit 2007 funktioniert sie in der beschriebenen Weise. Ein Verein aus 265 Kulturveranstalter*innen der Stadt und Region Bern trägt die BKA. Die Vereinsmitglieder entrichten Beiträge je nach Anzahl Veranstaltungen, Publikumsaufkommen und Subvention (bei Bühnen Bern macht dies etwa 0,2 Prozent ihres Budgets), zusammen rund 350‘000 Franken. Die Stadt Bern trägt 105‘000 Franken pro Jahr bei; das sind 75 Rappen pro Kopf in der Bevölkerung. Diese insgesamt 455‘000 Franken sind ein Teil der tatsächlichen Kosten der BKA. Der Verlag des Anzeigers trägt die Gesamtkosten (Redaktion, Gestaltung, Druck und Vertrieb) und trägt ein allfälliges Defizit. Dieses kann pro Jahr bis zu 100‘000 Franken ausmachen.

Das ‹Modell BKA› ist in der Schweiz in jeder Beziehung einmalig.

So günstig ist die BKA für die Stadt. Das Blatt macht dabei gerade auch die öffentlich geförderte Kultur in der Stadt und Region bekannt, verschafft ihr Wirkung. Das «Modell BKA» ist in der Schweiz in jeder Beziehung einmalig. Die Kulturveranstalter*innen sind damit zufrieden, die Leute nutzen sie.

Verbesserung der Online-Agenda

Alles bestens also? Nein. Die Online-Plattform der BKA ist in die Jahre gekommen und unübersichtlich, man findet die Veranstaltungen nicht besonders leicht. Das muss und soll verbessert werden. Der Vorstand der BKA und der Verlag des Anzeigers haben in den letzten beiden Jahren die nötigen Änderungsmöglichkeiten mit Kultur Stadt Bern erarbeitet.

Am 21. März fand ein Informationsanlass statt, zu dem die Kulturbeauftragte Franziska Burkhardt die städtischen Mitglieder des Trägervereins BKA (nur sie) eingeladen hatte. Es ging um eine Online-Agenda, die für Zürich entwickelt wurde, und der auch Basel beigetreten ist. Die etwa 60 anwesenden Kulturveranstalter*innen wiesen das Agenda-Portal als untauglich zurück. Der Trägerverein und der Herausgeber des Anzeigers Region Bern erarbeiten nun gemeinsam – im Einvernehmen mit der Stadt – einen neuen Release für die bestehende Datenbank bis zum Ende des Jahres und stellen den Kulturveranstalter*innen bald erste Entwürfe vor.

Franziska Burkhardt hat zugesichert, dass die Stadt Bern weiterhin 105’000 Franken pro Jaht an das Portal bezahlen werde. Der Online-Auftritt ist das Einzige, was die Stadt an der BKA interessiert; eine Printausgabe und eine Redaktion hält sie für unnötig. Das sehen die Kulturveranstalter*innen anders.

Die Zeichen für eine verbesserte Online-Agenda stehen gut. Gut sieht es damit auch für die Fortführung der unerlässlichen städtischen Subvention aus. Die SR Medien Group AG (der Anzeigerverlag) will weiterhin im bisherigen Umfang Herausgeberin der BKA sein und auch die Defizite tragen. Kann es also weitergehen wie bis heute?

Ein Vorschlag

Nein, das kann es nicht. Um die BKA in eine sichere Zukunft zu führen, braucht es jetzt Klarheit der wichtigen Partner und einen verbindlichen Planungsprozess.

Die Partner sind die SR Medien Group AG, die Stadt Bern, der Gemeindeverband Anzeiger Region Bern, der Trägerverein Berner Kulturagenda. Weiter einzubeziehen ist der Kanton Bern, der in der Region Bern-Mittelland von der BKA profitiert. Auf das Boot zu holen ist auch bekult, die Organisation der Berner Kulturveranstalter*innen. Und dereinst kann mit der Burgergemeinde Bern das Gespräch gesucht werden.

Die SR Medien Group AG legt mit den Partnern möglichst bald ein beziffertes Angebot für die Herausgabe der BKA auf den Tisch für die Zeit nach Einführung der digitalen Publikation der amtlichen Bekanntmachungen durch die Gemeinden. Konkret: Wie soll die BKA über das Jahr 2024 hinaus weiter wie in heutiger Form mit 150‘000 Exemplaren als eigenständiges Printprodukt herausgegeben und verteilt werden? Wie soll die Online-Agenda verbessert werden und wie viel kostet dies?

Für die Beratung des Angebots setzen die Stadt und die SR Medien Group AG eine Arbeitsgruppe ein. Dieser obliegt es, in kurzer Zeit eine mittelfristige Strategie und einen Businessplan aufzustellen und dabei neben der Frage der Finanzierung unter anderem zu klären, ob eine neue Trägerschaft entsteht.

Die Mitgliederversammlung des Trägervereins der BKA vom 19. Mai hat zweierlei gezeigt: Der Vorstand ist mitsamt der von ihm eingesetzten grossen Kommission ungeeignet für die zügige und zielstrebige Führung dieses Prozesses. Und die Stadt muss klar machen, dass sie die BKA weiterhin will. Die BKA ist seit 15 Jahren von zentraler Bedeutung für das breite Kulturangebot der Stadt und Region Bern. Der Anzeiger war in dieser Zeit der Garant der BKA, der ihre Defizite deckte. Wer macht dies sonst? Zaudern und Zögern setzen die Zukunft der BKA aufs Spiel. Das wäre ein Schaden für alle.