Frau Zimmermann, was sind «Kunstplätze»?
Annina Zimmermann: Kunstplätze sind Orte in den Quartieren, wo wir die Kunst für eine befristete Zeit einladen, Teil im Alltagskontext zu sein. Es handelt sich um ein Format, das im Verlauf des vergangenen Jahres entwickelt wurde und wofür man Ende Jahr, im Gespräch mit den Quartierorganisationen, das Interesse in den Quartieren abgeholt hat. Das Projekt ist also ganz neu, befindet sich in der ersten Umsetzungsphase und wird, in unregelmässigen Abständen, fortlaufend stattfinden.
Welches Vorgehen ist geplant?
Es gibt drei Möglichkeiten: Es werden Künstlerinnen und Künstler eingeladen, vor Ort im Quartier zu arbeiten, als Artists in Residence. Beim Call for Projects können Quartierorganisationen eigene Kunstprojekte vorschlagen, oder aber eine Jury von Quartiervertretern und Fachleuten definiert im Voraus bevorzugte Umsetzungsorte und lädt Kunstschaffende zum Wettbewerb für eine ortsspezifische Intervention ein, wie es 2018 gerade passiert.
Wie sieht der aktuelle Stand aus?
Zum Auftakt von «Kunstplätze» haben wir ein Budget für zwei parallel laufende Ausführungen: den Kunstplatz Nordquartier und den Kunstplatz Länggasse-Felsenau. Es ist gut möglich, dass wir danach ein Jahr pausieren, weil wir das Kässeli zuerst wieder füllen müssen. Finanziert wird das Projekt vom Tiefbauamt der Stadt Bern und mit einem weiteren Beitrag von Stadtgrün. Ein Teil des jährlich vom Stadtrat genehmigten Budgets für diese Ämter fliesst in den Topf für «Kunst und Kommunikation».
Wer hatte die Idee für eine solche Intervention im Austausch mit der Bevölkerung?
Die Direktion für Tiefbau, Verkehr und Stadtgrün. Sie war davon überzeugt, dass man etwas wie «Kunst und Bau» entstehen lassen, die Quartiere einbeziehen und das Kunstverständnis fördern sollte. «Kunstplätze» verändert und intensiviert, so das Ziel, die Identifikation mit dem Wohn- und Arbeitsumfeld und mit seinem Quartier, indem dortige Plätze zu Orten des Geschehens werden und weil am Prozess teilgenommen wird. Ein Anteil des Tiefbau- plus ein Anteil des Stadtgrünbudgets fliessen demnach in diese neue Spezialfinanzierung. Über den Fonds verfügt die Kommission für Kunst im öffentlichen Raum KiöR, eine Kommission, die mit Leuten aus der Verwaltung und externen Fachleuten besetzt ist. Jetzt hoffen wir auf gutes Gelingen der ersten Kunstplätze und darauf, übernächstes Jahr wieder einen oder zwei Kunstplätze realisieren zu können.
Die ersten zwei Kunstplätze sind zeitgleich gestartet und in beiden Stadtteilen wird eine ortsspezifische Intervention stattfinden. Sind zum jetzigen Zeitpunkt bereits markante Unterschiede zwischen den beiden Projekten festzustellen oder erwarten uns ähnliche Ausführungen, einfach in zwei unterschiedlichen Stadtteilen?
Unterschiede sind bereits offensichtlich, und das ist das Spannende. Die Jurymitglieder bestimmen den Prozess von Anbeginn intensiv mit. Das fängt damit an, wie man die Aufgabe, zu Recht, völlig unterschiedlich interpretiert und auch, welche Künstler man einlädt. Die Länggasse hat den Begriff Kunstplatz sehr frei interpretiert und den Platz als Gefüge, als Sozialraum verstanden. Das Nordquartier hingegen hat mit dem Viktoriaplatz einen Ort gewählt, dessen Geschichte und künftige Entwicklung attraktiv und wichtig für den Stadtteil ist sind. Beides sind legitime Haltungen. Eine Stadt ist ein vielschichtiger Organismus. Die Kunst wiederum berührt die vielen Schichten, spielt unterschiedliche Rollen und macht dadurch inspirierende Aussagen. Wir dürfen gespannt sein!
Wieso machen gerade diese beiden Stadtteile den Auftakt zu «Kunstplätze» 2018?
Das ist ganz einfach: Die beiden Stadtteile waren am schnellsten. Eine simple Antwort. Aber inzwischen interessieren sich weitere für die Teilnahme, und hoffentlich können wir 2020 direkt weitermachen. Wie erwähnt muss dazu aber zuerst die Kasse wieder gefüllt werden.
Wieso hat man einen Wettbewerb ausgeschrieben anstatt direkt Künstler einzuladen oder dazu aufzurufen, Vorschläge zu unterbreiten?
Ich arbeite seit Februar für Kultur Stadt Bern und leite seit April das Projekt. Den Entscheidungsprozess hinter dem Konzept kann ich nicht im Detail erläutern. Geht es um Vergabeverfahren von öffentlichen Geldern, stellt man aber über die spezifische Einladung sicher, dass erfahrene Leute mit Fachkenntnissen dabei sind. Ein offener Wettbewerb ist toll – aber eher eine Einsteigerchance. Das ginge in Richtung Call for Projects: ein offenes Format, mit offenen Fragen, das viele Meinungen und Ideen zulässt und in seiner Gesamtheit, manchmal weniger im einzelnen Projekt, inspirierend ist.
Seit Februar arbeiten Sie als Fachexpertin Kunst der Stadt Bern und leiten das Projekt Kunstplätze seit April. Welchen Hintergrund haben Sie und wie sind Sie zu diesem Job gekommen?
Ich bin in der Länggasse aufgewachsen, im Haus meines Urgrossvaters, indem meine Mutter noch heute wohnt. Das Kunstgeschichtsstudium habe ich in Bern begonnen und in Basel weitergeführt, weil es dort damals zeitgenössischer ausgerichtet war. Dann haben mich interessante Stellen in Basel gehalten. Projekte, an denen sich Menschen mit unterschiedlichen Qualifikationen und Lebensgeschichten beteiligen, die haben mich immer fasziniert. In den 90er Jahren habe ich dann miterlebt, was mit dem Kunstmarkt passierte, wie Messen dominanter und Galerien immer internationaler wurden, so als würde die Kunst in einem riesigen Privatjet aus den Quartieren entführt. Mein Anspruch ist, dass Kunst der Gesellschaft gehört.
Sie haben also den Anspruch, den ausgeflogenen Jet zurück in die Quartiere zu holen?
Ja, das könnte man so sagen. Ich will, dass die Kunst mitredet, lernt und sich engagiert. Dazu braucht es den die Interaktion und den Austausch. Dieser Austausch ist in meinen Projekten immer gelungen, aber eine kontinuierliche Praxis in diesem Bereich liess sich bisher in der Schweiz nicht entwickeln. Hier erfüllen eher die Kunsthallen und -museen den Auftrag der Kunstvermittlung und absorbieren die Mittel und die Aufmerksamkeit. Nun hat die Stadt Bern ein einzigartiges neues Budget geschaffen, mit dem wir gemeinsam etwas aufbauen können. Das war die Chance, die ich ergriffen habe.
Die Zusammenarbeit zwischen unabhängigen Kunstschaffenden, professionellen Kunstvermittlern und der Bevölkerung, die mal mehr und mal weniger kunstaffin ist, stelle ich mir herausfordernd vor. Ist dieser Austausch nicht manchmal auch anstrengend?
Als neugieriger Mensch reizen mich Projekte, die wir draussen verwirklichen. Sie vermitteln nicht etwas, was schon da ist, sondern stellen berechtigte, kritische Fragen und entwickeln die Arbeit vor Ort, und eben im regen Austausch. Dieser Austausch wiederum ist gegenseitig und damit, ja, auch die Herausforderungen; zum Beispiel gegenseitige Vorurteile, Missverständnisse oder Projektionen. Künstler meinen oft, «die Anderen» interessieren sich zwangsläufig für Kunst. Aber das ist nicht so. Und in diesen Projekten muss man um Konsens, um Aufmerksamkeit und um Interesse ringen und kontinuierlich neu verhandeln. Genau diese Kommunikation macht den Prozess und das Ergebnis so interessant und lehrreich.
Zur Länggasse haben Sie einen persönlichen Bezug, Sie sind dort aufgewachsen. Was verbindet Sie mit dem Nordquartier?
Mich erinnert die Situation ganz generell an meine frühe Kindheit: Meine erste Freundin wohnte an der Gotthelfstrasse. Für einen Besuch musste ich beim Kornhaus vom Länggasse-Bus ins Tram umsteigen. Für mich war das immer eine enorme Mutprobe: denn da kommt man am Kindlifresser-Brunnen, einem Kunstobjekt im öffentlichen Raum, vorbei. Vor dieser Figur hatte ich eine Heidenangst. Es ist doch interessant, wie eine solche Skulptur die Stadt und zugleich die eigenen Erinnerungen prägen kann.
Was liegt Ihnen am Projekt «Kunstplätze» und am Kunstplatz Nordquartier besonders am Herzen?
Ich würde mich darüber freuen, wenn sich ein paar Interessierte aus den Quartieren am Austausch beteiligten. Und ich würde mir wünschen, dass sich die Leute mit einer natürlichen Offenheit begegnen und dass man sich Zeit nimmt, sich auseinanderzusetzen mit dem wichtigen Platz, der besetzt wird von der BKW mit dieser prächtigen Anlage, aber auch durchschnitten ist vom vielen Verkehr. Wenn Kunstschaffende und Bewohnende diese Chance gemeinsam nutzen, führt dies zu einem grossen Mehrwert. Kunstschaffende sind gut darin, unerwartete Potenziale aufzuspüren und erkennen und kommentieren in einer Natürlichkeit, wo etwas hinzugefügt oder weggenommen werden kann. Nach Projektabschluss wäre es eine grosse Freude, wenn einige sagen würden: Da war doch etwas!