An der Museumsnacht eine Zwangsjacke schlüpfen

von Eliane Oesch 22. März 2013

Das Psychiatrie-Museum dokumentiert die Psychiatriegeschichte Berns. Dazu zeigt es, wie das Leben in psychiatrischen Institutionen früher war und wie sich die psychiatrische Behandlung im Laufe der Zeit verändert hat.

«Von Türbeschlägen über Rasierstühle bis zu Medikamenten oder Zwangsjacken haben wir hier so ziemlich alles, was sich in der Zeit vom Spätmittelalter bis heute angesammelt hat», erzählt Andreas Altorfer, Leiter des Schweizerischen Psychiatrie-Museums. «Zu unserer Sammlung gehört auch ein riesiges Sammelsurium an Papier – wie Briefe, Psychiatrie-Konzepte oder Krankengeschichten.»

Morgenthaler und sein Patient Wölfli

Die Idee des Museums geht auf den Psychiater Walter Morgenthaler (1882–1965) zurück. Dieser sammelte psychiatriegeschichtliche Gegenstände aus bernischen Kliniken – in erster Linie als Exponate für die Landesausstellung 1914. «Die Sammlung haben wir heute bei uns», so Altorfer. Nebst dem «Landi»-Sammelgut umfasst die heutige Morgenthaler-Sammlung Anschauungsmaterial und Hilfsmittel für den Unterricht des Pflegepersonals, Dokumente der «Schweizerischen Gesellschaft für Psychiatrie» sowie Zeichnungen, Texte und Objekte von Patienten. «Im Rahmen der Persönlichkeitsdiagnostik hat er seine Patienten zum Zeichnen und Schreiben angeregt. Daraus entstanden beeindruckende Patientenarbeiten.» Das produktive Werk des Waldau-Künstlers Adolf Wölfli macht den bedeutendsten Teil der Sammlung aus. Seine Bilder werden auch im Kunstmuseum ausgestellt.

Von der «Tollhaus»-Zeit zu den UPD Bern

Die Dauerausstellung «Bernische Psychiatrie vor und nach dem Bau der Waldau» dokumentiert Geschichte und Wandel der Psychiatrie in Bern. Sie führt vom Spätmittelalter über die «Tollhaus»-Zeit (ab 1749), die Gründung der «Irren-, Heil- und Pflegeanstalt Waldau» (1855) bis zu den heutigen «Universitären Psychiatrischen Diensten UPD Bern».

«Im Tollhaus wurden die Tollen und Tauben eingesperrt – Leute, die unangenehm auffielen.»

Andreas Altorfer, Leiter des Psychiatrie-Museums

Dabei stammen die ersten Sammlungsstücke aus dem 16. Jahrhundert und die letzten – mit wenigen Ausnahmen – aus der Zeit um 1930. «Das Tollhaus war wie ein Gefängnis», erzählt Altorfer. «Darin wurden die Tollen und Tauben eingesperrt – Leute, die unangenehm auffielen.» Mit der «Irren-, Heil- und Pflegeanstalt Waldau» folgte eine erste Form von Psychiatrie: «Es war eine Art Wohnheim. Erst um 1900 entstand mit der Krankheitslehre und Psychopathologie die Idee, dass die Leute krank sein könnten», so Altorfer.

Künstlerisch Brilliantes trifft Erschreckendes

Von einem Ausstellungsstück ist der Museumsleiter besonders beeindruckt: «Eine Holzplastik – wir wissen nicht, wer sie angefertigt hat, aber es muss ein Insasse gewesen sein.» Das Stück stellt eine tanzende Gruppe dar und wurde aus einem Stück geschnitzt, was es sehr speziell macht: «Es wäre viel einfacher gewesen, wenn man es aus Ton oder Gips gemacht hätte», meint Altorfer. So gibt es im Museum diverse handwerkliche Arbeiten, die künstlerisch gesehen sehr eindrücklich sind: «Da muss es Leute gegeben haben, die mehr oder weniger unbekannt in dieser Anstalt lebten und ganz fantastische Lebensentwürfe hatten.» Viele der psychiatrischen Gegenstände findet Altorfer allerdings eher erschreckend als beeindruckend: «Was man alles für Methoden hatte, um die Leute zum Schweigen oder Stillhalten zu bringen …»

«Wir möchten auch aktuelleres Material zeigen»

Die historische Ausstellung endet mit wenigen Ausnahmen um 1930: «Wir möchten gerne auch aktuelleres Material zeigen. Die 1930er- bis 40er-Jahre mit den Psychopharmaka, die 60er-Jahre mit der Antipsychiatriebewegung sowie die 80er-Jahre mit dem sozialpsychiatrischen Konzept, die als Vorbereitung der heutigen Psychiatrie gelten», sagt Altorfer. Auch der Psychiatrie der Gegenwart soll mehr Platz eingeräumt werden: «Stichworte wären etwa Gemeindeorientiertheit, Ambulatorien oder Tagesstätten in der Stadt.»

«Mutige können sich in ein Deckelbad einschliessen lassen oder in eine Zwangsjacke schlüpfen»

 Andreas Altorfer, Leiter des Psychiatrie-Museums

Die aktuelle Wechselausstellung des Psychiatrie-Museums lautet «Zwischen häuslicher Tugend und Wahnsinn». Dabei geht es um die Vorstellungen der Patienten zu Themen wie Häuslichkeit, Gemütlichkeit und Freizeitbeschäftigung. «Der Wahnsinn zeigt sich beispielsweise im komischen Vorstellungsvermögen von Grössen: Da strickte ein Patient einen zehn Meter langen Schal und ein anderer winzige Söckchen. Somit weicht die Tugend von der Gebräuchlichkeit in einem Bereich ab, der fantastisch oder eher nicht mehr brauchbar wird», erläutert Altorfer. Die ausgestellten Objekte wurden von Patienten um 1900 in der Idee der Heimarbeit angefertigt. Ein Beispiel ist das Thema Hausbesitz: «Jemand, der um 1900 in einer Anstalt lebte, konnte nur in der Fantasie ein Haus besitzen. Also bastelte er Modell-Häuser oder zeichnete Hauspläne.» Auch Wölfli habe seine Fantasien so ausgelebt, erzählt Altorfer: «Er hat seine Reisen einfach im Atlas unternommen.»

Häusliches Stricken und Gruselstimmung

In der Museumsnacht stellt das Psychiatriemuseum einen Bezug zur aktuellen Wechselausstellung her: «Im Rahmen der häuslichen Arbeit hat Stricken eine lange Tradition – heute gilt kreatives Handarbeiten in der Do-it-yourself-Bewegung sogar als politisches Statement», sagt Altorfer. So werden zwei Künstlerinnen mit ihrem Häkelobjekt auftreten und die Besucher dürfen ihnen beim Weiterhäkeln helfen. Zudem kann man sich einen Schal stricken – in einer häuslichen Umgebung, die an die Zeit um 1900 angelehnt ist. «Mutige können sich in ein Deckelbad einschliessen lassen oder in eine Zwangsjacke schlüpfen», verrät Altorfer weiter, «und im Keller werden alte Filme und Fotos gezeigt, die demonstrieren sollen, wie die Leute in der ‹Tollhaus›-Zeit eingesperrt wurden.»