An den Rand gedrängt

von Nicolas Eggen 2. Juni 2021

Letzten Samstag fand auf dem Waisenhausplatz eine Demonstration der Gruppe «Stop Isolation» statt. Demonstriert wurde gegen die Lebensbedingungen, welche in den Rückkehrzentren für abgelehnte Asylsuchende vorherrschen. Anlass für die Demo waren mehrere Suizidversuche in verschiedenen Asylzentren.

Durch die Pandemie hatten viele Menschen in der Schweiz das erste Mal in Ihrem Leben Einschränkungen hinzunehmen. Dabei ist vielen gar nicht bewusst, dass es in der Schweiz Menschen gibt, welche seit Jahren von der Gesellschaft isoliert sind. Die Rede ist von geflüchteten Menschen, die als abgelehnte Asylsuchende in den Asylzentren unter sehr schwierigen Bedingungen leben. Die sich mehrenden Suizidversuche zeigen die Hoffnungslosigkeit, die in den Rückkehrzentren vorherrscht.

Die Demonstration am Samstag gab den Menschen eine Stimme, welche oft nicht gehört werden. Am Mikrofon berichteten Sie vom sehr eintönigen und durchstrukturierten Alltag, welcher von Anwesenheitskontrollen und 8.50 Fr. Nothilfe geprägt ist. Diese Nothilfe reicht knapp zum Essen. Geld für Kleider, Hygieneartikel, ÖV-Bilette, Hobbies oder sonstige Sachen gibt es nicht. Da die Geflüchteten zudem systematisch aus dem Arbeitsmarkt ausgeschlossen werden, ist es sehr schwierig, dem eintönigen Alltag zu entkommen.

Die langen Asylprozesse und Wartezeiten würden die Menschen «zu Objekten degradieren», wie jemand berichtet. Erhält man nach jahrelangen Verfahren einen negativen Asylentscheid und kann nicht ins Herkunftsland zurückkehren, wird die Verzweiflung riesig bei der Vorstellung, noch weiter in einem Camp ohne Bewegungsfreiheit zu leben. «Wer gibt mir diese Zeit zurück?», fragt ein Sprecher rhetorisch.

Einige berichten auch davon, wie sie durch den geregelten Alltag so beschränkt sind, dass sie ihre Identität und ihre Kultur nicht ausleben können, also nicht sich selber sein können. Ihre Wünsche, Hoffnungen und Ängste würden kaum beachtet oder wie es jemand auf den Punkt bringt: «Das Leben ist mehr als nur Atmen, Essen und Schlafen.» Die Berichte der Geflüchteten und die Suizidversuche zeigen, wie perspektivlos und menschenunwürdig ihre Situation ist. Deshalb fordern sie unter anderem einen gleichberechtigten Zugang zu Wohnungen, Gesundheitssystem, Zahnmedizin und psychologischer Versorgung, die auch anderen Menschen in der Schweiz zustehen. Weiter sollen die Bewegungsfreiheiten respektiert und ein «illegaler Aufenthalt» nicht mehrfach verurteilt werden.

Die Situation am Anfang der Demo zeigt exemplarisch, wie mit geflüchteten Menschen und ihren Anliegen umgegangen wird. Obwohl die Demo bewilligt war, hatte es die Stadt offenbar verpasst, die Restaurants am Waisenhausplatz zu informieren, dass der Platz um 14:00 eigentlich hätte leergeräumt sein sollen wegen der Demo. Nachdem die Polizei vor Ort minutenlang telefonierte, wurde den Demonstranten mitgeteilt, dass sie zum Meret Oppenheim Brunnen am unteren Ende des Platzes ausweichen müssen. Die anwesenden Menschen wurden erneut an den Rand gedrängt – sinnbildlicher geht’s kaum.

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Viele der geflüchteten Menschen sagen aber auch, dass solche Solidaritätsaktionen und Demonstrationen Mut und Hoffnung geben. Mitorganisiert hat die Demo der Verein Medina, eine Gruppe von Freiwilligen, welche kurz vor der Pandemie zusammenfand. Sie betreiben ein mobiles Gemeinschaftszentrum mit gratis Essensausgabe und weiteren Angeboten für Geflüchtete (Journal B berichtete). Im Dezember letzten Jahres wurden Medina, mit dem Sozialpreis 2020 der Stadt Bern ausgezeichnet. Die Freiwilligen des Vereins sind jeden Donnerstag- und Freitagabend auf der Schützenmatte zu finden.