«Hey Alter», sagte er, und ich roch seinen Bieratem. «Hey Alter, verpiss dich, für dich hats hier keinen Platz.» Im 20er wars, abends, im Bus von der Gewerbeschule zum Bahnhof. Ich entgegnete nichts und trat zur Seite. Bei der Endstation wechselte er auf den 11er Richtung Neufeld. Ich nahm den gleichen Kurs, 19.49 Uhr ab Bahnhof.
Beim Henkerbrünnli stieg er aus dem nun fast leeren Bus. Ich folgte ihm. Er ging die Engehaldenstrasse hinunter und bog nach der Transformerstation rechts in das kleine Gehölz ein. Ich kam näher, bemerkte, dass er urinierte, nein, pisste. Dankbar erinnerte ich mich an Charly Bühlers Boxunterricht im immer leicht verschwitzt riechenden Keller an der Kochergasse. Wenn der Mann die Hose zugeknöpft hatte, wollte ich zuschlagen.
Da fiel mir ein, dass ich nie Boxunterricht gehabt hatte und liess es bleiben.
Das Fitness-Zentrum war in einem Berner Vorort. Und ich war hässig, einfach so. Tapfer kämpfte ich gegen den Stimmungsmief und begrüsste den neu ankommenden jungen Mann freundlich. Er trug einen Kopfhörer, so gross und rund wie ein BH mit Körbchengrösse D. Er reagierte nicht. Ich wiederholte meinen Gruss nun merklich lauter. Der Sportsfreund antwortete nicht. Hässig murmelte ich «Arschloch». Er nahm seine mobile Beschallungsanlage ab: «Wenn du nicht so alt wärst, würde ich dir jetzt eine vor den Latz knallen.»
Da war ich froh, dass ich schon so alt war.
Beide Vorfälle sind real. Boxunterricht habe ich tatsächlich nie gehabt. Einmal der Alte gegen den Jungen. Einmal der Junge gegen den Alten. Bitte schön: Nur angedachte Gewalt, imaginierte Gewalt. Und damit, behaupte ich, geht’s um Jedermanns- und Jederfrau-Gewalt.
Ich möchte zum Beispiel der Autofahrerin, die unseren Behinderten-Parkplatz missbraucht, einen nachhaltigen Chratz in den BMW-Lack ritzen. Ich möchte dem Nachbarn unter mir, der mit seinem Stinkgrill die Luft verpestet, einen grossen Gutsch Wasser in die Glut schmeissen. Ich möchte mir bei der untergehakten Modi-Reihe, die mir zu fünft den Weg versperrt, mit einem herzhaften Mupf den Durchgang erzwingen.
Ich tu’s nicht. Weil ich Angst habe. Und weil sich jetzt zwei innere Stimmen bei mir melden. Die eine, sie ist ganz laut und schrill: «Mach’s nicht, das bringt nichts, du kriegst bloss endlose Scherereien.» Die zweite Stimme ist leiser: «Gewalt mit Gewalt vergelten, das kommt niemals gut.» Und nochmals leiser flüstert das Stimmchen:
«Gopf, wozu hast du noch das bisschen Christentum in dir?»