Als die Berner den Aargau überfielen

von Eva Pauline Bossow 11. Januar 2013

Zimperlich ging es im Spätmittelalter nicht zu – einige der berühmten Schätze, die der Zerstörungswut und den Bernern bei ihren Kriegszügen in die Händen fielen, sind im Historischen Museum zu sehen.

«Ganz klar mein Lieblingsstück der Sammlung», erklärt Kunsthistorikerin Gabriele Moshammer ohne lange zu überlegen und zeigt auf den Tausendblumenteppich im ersten Raum. Hinter Glas leuchtet der dunkelblaue Wandteppich mit seinen fein gewobenen bunten Blumen und dem goldenen Wappenschild in der Mitte. Beim Betrachten der sieben mal drei Meter grossen Millefleurs-Tapisserie erzählt die Museumsführerin, welche unterschwelligen Botschaften Herzog Philipp der Gute von Burgund (1396–1467) darin einarbeiten liess. Das Blumenmeer besteht beispielsweise aus Pflanzen, die in der Natur nicht zur selben Zeit blühen würden – auf dem Teppich tun sie es und stehen damit vereint für ein Burgunderreich ohne Anfang und ohne Ende. Im Garten des Historischen Museums waren sie alle einst für die Besucher angepflanzt.

Nur ein paar Stoffe?

Wer Gold und Edelsteine erwartet, wird enttäuscht sein. Im Zentrum der Sammlung stehen keine metallenen Prunkstücke, sondern die textilen Schätze, die den Bernern bei ihren Beutezügen im 15. und 16. Jahrhundert in die Hände fielen. Erfolgreich war das Heer: 1415 eroberten sie den Aargau, 1536 die Waadt, 1476 besiegten die Eidgenossen den burgundischen Herzog Karl den Kühnen. «Statt sich mit dem eroberten Gut zu schmücken, haben die Berner die grosse Mehrheit der Kunstwerke zerstört oder zerteilt, verkauft, eingeschmolzen und zu Geld gemacht», erläutert Susan Marti, Kuratorin der Ausstellung.

Statt sich damit zu schmücken, zer- störten die Bauern die Kunstwerke oder machten sie zu Geld.

Susan Marti, Kuratorin der Ausstellung «Erobertes Gut – Höfische Kunst in Bern (1250-1520)»

Ein besonders schönes Stück hat es aber überlebt und lässt sich noch bewundern – der wertvolle Königsfelder Diptychon, ein Meisterwerk der venezianischen Goldschmiedekunst.

Für den Betrachter gewinnt die Ausstellung an Kraft, wenn er beginnt, die Gestaltung und Hintergründe der Tapisserien zu verfolgen. Welch lange, wechselvolle Reise Otto von Grandson, ein Adliger aus der Waadt, um 1300 zurückgelegt hat, bezeugt ein reich bestickter Altarschmuck. Seine einzelnen Lebensstationen lassen sich darauf verfolgen: die steile Karriere am englischen Königshof, der Kreuzzug in Ägypten, die Flucht nach Zypern und die Rückkehr in die Heimat.

Der Schatz von Bern

Die Millefleurs-Tapisserie ist der älteste erhaltene Tausendblumenteppich und deshalb ein Highlight der Sammlung. Direktor Jakob Messerli bezeichnet ihn sogar als «bekanntestes Objekt des Museums». Noch halb verborgen, aber in Vorbereitung befinden sich die Cäsartapisserien, auf denen die Heldentaten des römischen Herrschers festgehalten wurden. Nachdem sie zuerst in Kisten des Berner Rathauses gelegen hatten (16. bis 18. Jh.), wanderten sie über das Münster, die Heiliggeistkirche und den Erlacherhof 1892 in das Historische Museum.

Licht, Staub und schrubbende Hände

Mit Schaudern sieht man auf Schwarz-Weiss-Fotos wie in den 50er-Jahren Frauen mit Bürsten und Seifenwasser die 500 Jahre alten Tapisserien im Innenhof schrubbten. Wie der heutige Umgang mit den empfindlichen Stoffen aussieht, zeigen die Konservatorinnen des zweiten Ausstellungsbereichs «Fragiles Gut – Konservierung höfischer Textilien (2012– )». Durch ein Glasfenster sieht das Publikum, wie eine detaillierte Dokumentation – jeder Faden wird verfolgt – und Konservierung vorgenommen wird. Schadstoffe, Licht und Bewegung haben den empfindlichen Fasern zugesetzt.

Reduziert auf Wesentliches und gekonnt in Szene gesetzt – die Ausstellung zeigt europäische Glanzleistungen der Schatzkunst und verweist auf ein aufstrebendes Bern im 15. Jahrhundert. Von der kleinen Stadt zum Stadtstaat.