Alec von Graffenried: «Die Zukunft der Medien ist digital»

von Willi Egloff 28. November 2020

Ende Oktober wurde bekannt, dass die noch verbliebenen Redaktionen von «Bund» und «Berner Zeitung» im nächsten Jahr zusammengelegt werden. Welche Auswirkungen wird das auf die Politik in der Stadt Bern haben? Journal B befragte den Berner Stadtpräsidenten Alec von Graffenried.

Journal B: Alec von Graffenried, ab April nächsten Jahres gibt es in Bern nur noch eine Tageszeitung. Welche Auswirkungen wird das auf politischer Ebene haben?

Alec von Graffenried: Wir verfolgen die Entwicklung mit grosser Sorge. Wir sind insofern nicht überrascht, als wir schon im vergangenen Juni von einer Delegation der Tamedia AG über deren Pläne informiert wurden. «Wir» heisst in diesem Falle der Regierungspräsident des Kantons und die Präsidialdirektion der Stadt. Der zeitliche Ablauf war uns daher bekannt.

Bisher hat es noch keiner Stadt gut getan, wenn die Medienvielfalt verschwindet. Basel und die Innerschweiz sind dafür sprechende Beispiele. Die Folgen sind eine Verarmung der öffentlichen Diskussion und politischer Streit. Die lokale Politik ist davon am stärksten betroffen.

 

JB: Inwiefern?

AvG: Wir sind darauf angewiesen, dass unterschiedliche Meinungen platziert werden können. Wir haben keine eigenen Gefässe für die Kommunikation mit der Bevölkerung, abgesehen von den Abstimmungsbotschaften. Eine politische Diskussion findet daher nur in den lokalen Medien statt. Das Nebeneinander von mindestens zwei Medien führt dazu, dass politische Anliegen, egal von welcher Seite, überhaupt aufgenommen werden, weil jede Zeitung Angst hat, ein Thema zu verpassen, das die andere aufgreift. Das stärkt alle Akteurinnen und Akteure, und es belebt den politischen Diskurs. Wir leben davon.

 

JB: Wir erfahren von der Arbeit des Stadtrats nur so viel, wie «Bund» und «BZ» darüber berichten. Die übrigen Medien berichten über diese Tätigkeit nur sehr punktuell oder gar nicht. Was geschieht, wenn diese Berichterstattung in den Tageszeitungen in Zukunft wegfällt.

AvG: Das ist ja das Problem! Wir müssten dann versuchen, über andere Kanäle zu kommunizieren, und die haben wir noch nicht. Denn eines es ist klar: Die Tageszeitungen sind die Leitmedien, zur Zeit kann noch kein anderes Medium diese Funktion übernehmen. Worüber «Bund» oder «BZ» nicht berichtet haben, das hat politisch gar nicht stattgefunden.

 

JB: Und was bedeutet das für das lokale Kulturgeschehen?

AVG: Dort besteht ein ganz ähnliches Problem. Zwar haben wir im Moment noch die Berner Kulturagenda, die mit dem Regionalanzeiger verbreitet wird. Wenn aber der Anzeiger verschwindet, fällt auch die Kulturagenda weg. Es braucht dann unbedingt ein Anschlussprodukt. Es wird sicher noch einen Veranstaltungskalender geben, aber das reicht nicht. Kulturelle Veranstaltungen müssen, bevor sie stattfinden und im Anschluss, journalistisch aufgearbeitet werden. Dieser ganze feuilletonistische Bereich ist heute in Frage gestellt.

 

JB: Und was kann für die Zukunft unternommen werden?

AvG: Wir rennen heute verpassten Chancen nach. Die Printmedien haben sich durch ihre Gratispolitik im Online-Bereich selbst kannibalisiert. Aus dieser Situation kommen sie nicht mehr heraus. Die Stadt Bern hat den früheren «Anzeiger» nur als Geldquelle verstanden, anstatt ihn zum publizistischen Instrument aufzubauen. Auch diese Chance ist heute vertan. Einen Ausweg sehe ich heute nur noch durch staatliche Medienförderung. Das vom Bundesrat vorgeschlagene Mediengesetz geht in die richtige Richtung.

 

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 Wir haben im audiovisuellen Bereich eine staatliche Medienförderung, und sie funktioniert gut. Die SRG produziert journalistisch aufbereitete Inhalte, und ein grosser Teil des Publikums nimmt diese Inhalte wahr. Das geschieht nicht nur über den Konsum der Live-Programme, sondern auch zeitverschoben oder online oder über soziale Medien. Ähnlich müsste das auch im Printbereich funktionieren.

 

JB: Wie könnte das konkret aussehen?

AvG: Auch die Aufbereitung von Informationen im Printbereich müsste an der Quelle gefördert werden. Wir brauchen eine unabhängige Stelle, wo News journalistisch aufbereitet werden. Meine Vorstellung wäre eine staatlich finanzierte SDA, also eine Nachrichtenagentur, deren Inhalte von allen Medien kostenlos übernommen werden könnten. Die blosse Förderung des Vertriebs gedruckter Zeitungen halte ich nicht für zielführend.

Diese Medienförderung muss auf der Ebene des Bundes erfolgen. Auf kommunaler Ebene sehe ich allenfalls eine Förderung im Kulturbereich, wobei sich dies im Rahmen unseres Engagements für die Berner Kulturagenda halten würde. Es ist aber sehr wichtig, dass diskutiert wird, dass Konflikte in der Öffentlichkeit ausgetragen werden, dass es Widerspruch gibt, und genau das drohen wir im Moment zu verlieren.

 

JB: Der Zusammenschluss der Redaktionen von «Bund» und «BZ» wird auch zu einem Verlust qualifizierter Arbeitsplätze führen. Was geschieht mit den betroffenen Journalisten und Journalistinnen?

AvG: Die Situation für diese Berufskategorie ist ohne Zweifel schwierig. Ich denke aber, dass wir als Folge unserer Hauptstadtfunktion auch weiterhin eine starke journalistische Infrastruktur haben werden. Das sind nicht nur die Journalistinnen und Journalisten im Bundeshaus, sondern auch die viel zahlreicheren Informationsbeauftragten in den Verwaltungen des Bundes und des Kantons. Ich hoffe, dass auch die Stadt davon profitieren kann. Aber es ist klar, dass sich auch hier die Gewichte weg von den Zeitungen hin zu spezialisierten Informationsdiensten verlagern.

 

JB: Wie sieht denn die Prognose für die Printmedien im Raume Bern aus?

AvG: Eine Entwicklung, die ich in den letzten fünf Jahren auch bei mir selber feststelle, ist das Verschwinden der Lektüre von Zeitungen auf Papier. Meine Kinder lesen gar keine gedruckten Zeitungen mehr. Ich denke daher, dass zwar nicht die Zeitungen verschwinden werden, wohl aber die gedruckten Zeitungen. Die Zukunft der Medien wird digital sein, und genau diesen Shift haben die Tageszeitungen bisher verpasst.

Die Tageszeitungen waren lange Zeit ein Gesamtkunstwerk: Je besser sie waren, umso mehr Leserinnen und Leser hatten sie und umso mehr Geld erhielten sie über die Verbreitung von Werbung. Es war eine gut funktionierende Maschine. Heute dreht sich das Rad in umgekehrter Richtung: Die Zeitungen verlieren Werbung, versuchen Geld zu sparen, werden dadurch schlechter und verlieren Publikum, was wiederum den Verlust der Werbung beschleunigt. Mit dieser Negativspirale verlieren wir die für die Demokratie enorm wichtige Meinungsvielfalt, und wir haben bisher noch keinen Ersatz dafür gefunden.

Genau diesen Ersatz müssen wir jetzt aufbauen, aber dieser Aufbau wird sich vor allem im online-Bereich abspielen. Daher setzen wir uns beim Bund dafür ein, dass er im Mediengesetz eine direkte Medienförderung wie oben skizziert (staatlich finanzierte SDA) aufbaut.

 

JB: Also wird es gar keine Printmedien mehr geben?

AvG: Doch! Printmedien werden wir in Zukunft noch im superlokalen Bereich haben. Unsere Quartieranzeiger werden auch in Zukunft ihr Publikum finden und sich über Mitgliederbeiträge und Werbung finanzieren können, denn sie bewegen sich in einem sehr exklusiven Bereich. Hier funktioniert das traditionelle Zeitungsmodell noch. Und ich kann mir sogar vorstellen, dass sich dieser Bereich in Zukunft sehr erfolgreich entwickeln kann.