Albanische Frauen brauchen Unterstützung

von Basrie Sakiri-Murati 8. Juni 2023

Zwangsheirat und vermittelte Ehen sind bei Albaner*innen durch das uralte Gesetz, den Kanon von Lekë Dukagjini, «legitimiert». Opfer sind oft junge Frauen. Auch hier in der Schweiz.

Eine arrangierte Ehe hat viele Facetten – kulturelle, finanzielle und machtpolitische. Opfer sind meist junge Frauen ohne Ausbildung. Sie leben isoliert und haben keine Chance sich zu verlieben, geschweige denn, ihren zukünftigen Mann selbst auszuwählen. Stattdessen werden sie von Verwandten oder Bekannten vermittelt.

In den Achtziger- und Neunzigerjahren war Vermitteln im Kosovo noch selbstverständlich. Und leider gilt das auch heute noch ziemlich oft, vor allem auf dem Land. Eltern oder Verwandten fädeln die Ehe für das junge Paar ein. Sobald der Sohn alt genug ist, sucht die Familie eine junge Frau für ihn aus. Früher wurde meist eine junge Frau aus dem Bekanntenkreis vorgeschlagen. Jemand aus der Verwandtschaft durfte die junge Frau anschauen gehen. Entscheidend war der Ruf, die finanziellen Verhältnisse, der Wohnort und der Glaube.

Sehen durfte sich das junge Paar erst, nachdem der Vermittler mit den Vätern des jungen Paares die Hand geschüttelt hatte, bzw. wenn die Verlobung oder gar die Hochzeit stattgefunden hatte. Selbst wenn ein junges Paar aus Liebe heiratete, musste es das Einverständnis der Eltern einholen. Auch hier verlangte die Tradition: die Hände der Väter mussten durch einen Vermittler offiziell geschüttelt werden.

Die junge Generation, die hier lebt und arbeitet und im Alltag die Schweizer Kultur übernommen hat, kann sich aus kulturellen Gründen nicht gegen den Willen der Eltern durchsetzen.

Zwangsheirat und arrangierte Ehen sind noch heute in allen gesellschaftlichen Schichten verbreitet. Diese Heiratsform wird auch bei vielen Kosovo-Albaner*innen, die hier leben, praktiziert und sogar von den Eltern finanziert. Über solche Ehen sagen Optimisten: «Die Liebe wird dann schon kommen…». Bei meiner Arbeit als Übersetzerin treffe ich leider immer wieder das Gegenteil an! Oftmals enden diese Ehen tragisch. Es kommt zu Scheidungen, Gewalttaten, und manchmal enden sie gar tödlich.

Viele Betroffene sind junge Frauen, manche von ihnen sind sogar hier aufgewachsen. Es gibt aber auch einige junge Männer, die sich nicht dagegen wehren können. Der traditionelle Hintergrund bei der älteren Generation ist noch sehr präsent. Man möchte, dass die Nachkommen einen Landsmann oder eine Landsfrau heiraten. Die junge Generation, die hier lebt und arbeitet und im Alltag die Schweizer Kultur übernommen hat, kann sich aus kulturellen Gründen nicht gegen den Willen der Eltern durchsetzen. Eine traurige Tatsache!

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Nicht minder tragisch ist das Schicksal der jungen Leute, die aus dem Kosovo in die Schweiz anreisen, um hier zu heiraten. Oft führt im Alltag dann der Mentalitätsunterschied zu Schwierigkeiten. Wenn es dann zu einer Scheidung kommt, reagieren Männer oft gewalttätig. Nicht selten sind auch Kinder betroffen. Unmittelbar nach der Trennung holt der Mann sich die nächste Frau aus der Heimat.

Eine albanische Journalistin schrieb kürzlich: Die Polizei gibt an, dass sie 2021 2456 Fälle von häuslicher Gewalt registriert hatte

Wenn Gewalt an Frauen wirksam bekämpft werden soll, müssen Zwangsheiraten und arrangierte Ehen unbedingt ein Thema sein. Auch bei Frauenrechtsdiskussionen. Das Problem geht alle an. Beratungsstellen, Ämter und nicht zuletzt die Botschaften und internationale Organisationen im Kosovo. Sie müssen Frauen bei einer Rückkehr in ihre Heimat und bei der Resozialisierung in die Gesellschaft unterstützen.

Eine albanische Journalistin schrieb kürzlich: «Die Polizei gibt an, dass sie 2021 2456 Fälle von häuslicher Gewalt registriert hatte». Damit würde die Zahl der Opfer bereits wieder übertroffen, die vor nicht allzu langer Zeit an eine Hausmauer in Pristina gesprayt wurde. Aber die Worte von Rosa Luxemburg, die unter dieser Zahl stehen, behalten ihre Gültigkeit: «Wer sich nicht bewegt, spürt seine Fesseln nicht». Mutige Frauen im Kosovo beginnen sich zu bewegen. Sie brauchen unsere Unterstützung!