Vom 11. – 18. Januar feiert die Tour de Lorraine (TdL) Jubiläum. Das jeweils im Januar stattfindende Solidaritäts- und Widerstandsfest, das im Jahr 2001 als Anti-WEF Protest entstand, jährt sich dann zum 20 mal. Das gewählte Thema befindet sich besonders nahe am Zeitgeschehen. Eine Woche lang dreht sich nämlich alles um «Klimagerechtigkeit». Eröffnet wird die TdL, anders als in der Vergangenheit, mit einem breiten Partyprogramm auf beiden Seiten der Lorrainebrücke am 11. Januar. In der darauffolgenden Woche finden zahlreiche Workshops, eine Abendveranstaltung und die Verwandlung der Grossen Halle der Reitschule zur sogenannten «Klimahalle» statt.
Doch was ist Klimagerechtigkeit überhaupt und ist es wirklich nötig, sich trotz der ganzen Aufmerksamkeit, die der Klimafrage in diesem Jahr zuteilwurde, noch damit zu beschäftigen? Wir haben Andrea Meier, die 2015 zur TdL stiess und seither Teil des Organisationskomitees ist, zum Gespräch getroffen und ihr unsere Fragen gestellt.
Andrea Meier, im Januar findet die TdL unter dem Motto «Klimagerechtigkeit» statt. Was heisst das überhaupt: «Klimagerechtigkeit»?
Für mich beinhaltet Klimagerechtigkeit vor allem eine globale Perspektive auf ökologische Herausforderungen. Es geht darum, dass die Länder des globalen Südens unverhältnismässig stark von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen sind, während die Emissionen aber vor allem vom globalen Norden ausgehen. Im globalen Norden wiederum sind es in erster Linie grosse Konzerne, die dafür verantwortlich sind. 71% des globalen CO2-Ausstosses seit 1998 stammt alleine von hundert Konzernen. Die meisten dieser Konzerne sind ausserdem Teil des WEF. Die TdL entstand vor 20 Jahren als Anti-WEF Protest. Wir sehen es deshalb als unsere Aufgabe, die vermeintliche «Weltverbesserung», die das WEF zum Ziel hat, kritisch zu hinterfragen.
Was erwartet die Besucher*innen der TdL im Januar konkret?
Vom 11.-18. Januar bieten wir ein breit aufgestelltes Angebot an Veranstaltungen zum Thema Klimagerechtigkeit. Speziell in diesem Jahr sind auf jeden Fall die Klimahalle und der sehr umfangreiche Workshop-Tag am 18. Januar im Progr. Dort wird die Klimafrage in drei Blöcken aus allen erdenklichen Perspektiven beleuchtet. Wir haben zum Beispiel Physiker, die erklären, was man Klimaskeptiker*innen wissenschaftlich entgegenhalten kann oder ein Medientraining von «Ende Gelände», wo Aktivist*innen einen besseren Umgang mit Medien lernen können. Besonders freue ich mich auf die Abendveranstaltung in der Heiliggeistkirche mit Prof. Niko Paech, einem Begründer der Postwachstumsökonomie.
Was ist die «Klimahalle»?
Vom 16.-18. Januar wird die Grosse Halle der Reitschule zur «Klimahalle». Wir möchten damit vor allem Jugendlichen aber auch Erwachsenen die Möglichkeit geben, ihre Gedanken zum Thema «Klimagerechtigkeit» darzustellen. Es wird einerseits Konzerte und Partys geben, aber auch eine grosse Ausstellung zum Thema, diverse (Video-)Installationen, Performances und interaktive Workshops. Insgesamt haben wir 18 junge Künstler*innen, die dort ihre Arbeiten zeigen. Die Halle soll in dieser Zeit ein grosser Raum des Austausches werden.
Wie wird jeweils entschieden, unter welchem Titel die TdL stattfindet?
Wenn sich nach der Tour im Januar alle wieder ein bisschen vom Stress erholt haben, das ist normalerweise etwa im April der Fall, machen wir eine Themensitzung. In den letzten Jahren war es nie ein Problem, Themen zu finden. Das kommt auch daher, weil wir uns als Plattform verstehen und Vorschläge von aussen entgegennehmen. Natürlich sind wir globalisierungskritisch und links – letztendlich bestimmen aber jene Menschen, die sich engagieren und einbringen, zu welchem Thema die TdL stattfindet.
Klimaanliegen haben dieses Jahr bereits viel Aufmerksamkeit bekommen. Ist es wirklich nötig, dass die TdL auch noch etwas dazu macht?
Wie gesagt: Wir verstehen uns als Gegenveranstaltung zum WEF. Wer beim WEF dabei ist, hat grossen Einfluss auf die Klimafrage. Deshalb ist es nötig, dass wir zeitgleich und vehement auf die Umweltproblematik hinweisen. Wir finden es wichtig klarzumachen, dass sich Klimagerechtigkeit nicht nur darum dreht, weniger zu fliegen oder keine Plasticksäckli mehr zu benutzen.
Es geht also auch darum, die Systemfrage zu stellen?
Ich würde schon sagen, dass die TdL dem Kapitalismus grundsätzlich kritisch gegenübersteht – vor allem dem raubtierhaft ausgeprägten Kapitalismus, den wir derzeit haben. Wir haben immer schon radikale Forderungen gestellt, zum Beispiel auch letztes Jahr als wir das Thema «Who cares?» hatten. Genauso wie die die Umwelt, wird auch ein Grossteil der Care-Arbeit in unserem System weder wahrgenommen noch wertgeschätzt. Die Systemfrage stellen wir insofern jedes Jahr aufs Neue.
Vielen dürfte die TdL auch deshalb ein Begriff sein, weil jeweils viele Konzerte und Partys in der Stadt und der Lorraine stattfinden. Ich kann mir vorstellen, dass ihr nicht primär als Party wahrgenommen werden möchtet.
Ich finde es überhaupt kein Problem, wenn wir als Party wahrgenommen werden, denn die TdL ist auch die beste Party im Januar (lacht). Die Party gehört zu unserer DNA und ist eine grosse Motivation, die TdL zu organisieren. Schlussendlich ist es ja auch so, dass wir mit dem Gewinn linke, soziale und globalisierungskritische Projekte unterstützen. Wer ein Bändeli bei uns kauft und damit Zugang zur Partynacht bekommt, gibt sein Geld einem selbstverwaltenden Fonds und ermöglicht damit die Unterstützung solcher Initiativen.
Die Party findet dieses Jahr am 11. Januar statt, also eine Woche vor den Workshops am 18. Januar. Weshalb?
Seit 2015 ist die Zahl der angebotenen Workshops massiv gestiegen und damit auch der Andrang dafür. In den letzten Jahren entstand deshalb beinahe eine Konkurrenz zwischen Workshops und Party. Wer durch den Tag drei Workshops besucht, hat dann vielleicht nicht mehr die Energie noch bis um 5 Uhr morgens von Club zu Club zu ziehen.
Geht es auch darum die Leute bei ihrem Partybedürfnis zu packen und für die Sache zu gewinnen?
Auf jeden Fall. Aber das ist meines Erachtens nichts Schlechtes.
Parallel zur TdL wird auch eine Winterwanderung von Landquart nach Davos stattfinden. Worum geht es da?
Die Winterwanderung ist ein rund 50 Kilometer langer Protestmarsch gegen das WEF von Landquart auf Davos. Wir sind sehr glücklich darüber, dass die Mobilisierung positiv verläuft und möchten es Interessierten ans Herz legen, sich daran zu beteiligen. Mit der Winterwanderung wollen wir ein Zeichen setzen und den Teilnehmer*innen des WEF zu verstehen geben, dass wir es nicht akzeptieren, wenn sie sich dort oben verschanzen und über unsere Zukunft und die des Planeten entscheiden. Wir finden: 50 Jahre WEF sind genug!
Die TdL entstand im Jahr 2001 aus den Anti-WEF Protesten. Handelt es sich bei der Winterwanderung um eine bewusste Rückkehr zu den Wurzeln?
Auf jeden Fall. Das Ganze entstand aus der Idee, zum 20-jährigen Jubiläum der TdL wieder einmal etwas Grosses anzuzetteln und alle Netzwerke, die wir über die Jahre aufgebaut haben, anzuzapfen. Man kann also durchaus sagen, dass wir nach 20 Jahren wieder auf die Strasse gehen.