Es war im April 2007, als das Handy klingelte – Tinu Flückiger, Co-Leiter auf dem Spili Längmuur, meldete sich mit einer Hiobsbotschaft: «Die Stadt will den Spili schliessen!» Ganze 90’000 Franken sollten damit eingespart werden. Der Spili zähle, so argumentierten die Behörden, zu wenig Kinderbesuchende. Was dann geschah, überraschte sogar uns vom Vorstand.
Alles setzte sich in Bewegung – wir vom Vorstand, unsere Co-Leitung Tinu Flückiger und Claudia Moser und unsere Zivis und Praktikant*innen, aber auch unzählige Sympathisant*innen. Praktisch innerhalb von Stunden war die Petition verfasst und gedruckt, und Dutzende Freiwillige begannen, in Bern Unterschriften zu sammeln. Zwei Wochen später übergaben wir die Petition mit 12’000 Unterschriften einem Vertreter der Stadt Bern – medienwirksam am Tag des Seifenkistenrennens. Der Spuk war rasch vorbei: Stadtpräsident Alexander Tschäppät zog den Entscheid zurück mit den Worten: «Was will man da machen: Tout Berne hat unterschrieben!»
Die Welle der Solidarität war überwältigend, und sie zeigte uns und den Behörden, wie der Spili Längmuur in Bern verwurzelt war – und heute noch immer ist. Schon 2003 war der Beweis erbracht worden: Wir sammelten 80’000 Franken für Sanierung und Umbau der Baracke, man prophezeite uns, dass sich dieser Betrag nie und nimmer allein mit Spenden zusammenkratzen liesse. Doch innerhalb weniger Wochen stand uns eine Summe von 100’000 Franken zur Verfügung.
Die meisten Kinder der Stadt Bern sind früher oder später mit dem Spielplatz an der Aare in Berührung gekommen.
Das Netz der Unterstützer*innen ist auch heute noch beeindruckend: Seit 2009 sind mehr als 300’000 Franken an Spenden an den Verein Spielplatz Längmuur geflossen – für Unterhalt und Anlässe wie das diesjährige Jubiläumsjahr. Nicht zu reden von den Hunderten Stunden an Freiwilligenarbeit, die dort jährlich geleistet werden.
Die meisten Kinder der Stadt Bern sind früher oder später mit dem Spielplatz an der Aare in Berührung gekommen – sei es im Zusammenhang mit dem Bau einer Seifenkiste, mit dem Besuch der Kinderzirkuswoche im Sommer, auf der herbstlichen Chiubi oder an einem Geburtstagsfest. Für viele Kinder war und ist der Spili der Hausgarten und für manche ein zweites Zuhause.
Paradies für Kinder und Treffpunkt für die Eltern
Gegründet wurde er im Sommer 1973 von einer Nachbarsgruppe von Frauen und Männern mit Ideen und Tatendrang und der Vorstellung einer antiautoritären Erziehung. Zuvor hatte sie die Aktion Vorschule gegründet, nun suchte sie ein Terrain für einen Spielplatz. Weder in der Matte noch am Altenberg und schon gar nicht in der kahlen Altstadt fand sich damals ein Platz, der Kindern gesicherte Freiräume bot.
Das ungenutzte Areal unter hohen Bäumen am Fuss der Altstadt bot sich an, die Stadtgärtnerei stellte Material zur Verfügung und half gar tatkräftig mit, Klettergestelle aufzurichten. Der Spili war geboren – erst als «Robinsonspielplatz» und als «Ort der Ausgeflippten», wie sich ein früheres Vorstandsmitglied erinnert. Heute als Aktivspielplatz mit einer 100-Prozent-Stelle.
Die Initiantinnen sammelten Geld und alle möglichen Gegenstände, darunter eine alte Bundeshauskuppel. Für Kinder war der Abenteuerspielplatz ein Paradies, für Eltern ein Treffpunkt, wo man Freundschaften schloss. Nur Sauberkeitsfanatiker*innen blickten anfangs mit Ekel auf die schlammverschmutzten Kinder, die inmitten von Sägespänen und verrosteten Nägeln Fangis spielten. Schon bald kam eine Baracke dazu und schliesslich festangestellte Spili-Leiter*innen, subventioniert von der Stadt.
In den 1980er Jahren war es der geniale Tüftler Babu Wälti, dessen Fantasie für anarchische Spielzeugschöpfungen keine Grenzen kannte. Sein Schreikasten oder «Wortschiiser» durfte an keiner Geburtstagsparty fehlen. Wälti war sich auch nicht zu schade, bei Minusgraden als Samichlaus auf einem selbstgebauten Floss mitten in der Aare und mit einem Stiefel voller Wasser die staunenden Kinder zu begrüssen.
Als vor 30 Jahren der Dachverband für offene Arbeit mit Kindern (Dok) gegründet wurde, begann die Zusammenarbeit mit gleichgesinnten Spielplätzen in Bern – und die Auseinandersetzungen um die Verteilung der öffentlichen Subventionen. Denn die Stadt Bern verhandelte fortan den Leistungsvertrag nicht mehr einzeln mit den Spilis und Kindertreffs, sondern mit dem Dachverband. Wenn gespart werden musste, bedeutete das eine Zerreissprobe. Es wurde diskutiert und oft erbittert gestritten, aber Lösungen fanden sich dann immer.
Respekt vor Kindern und Jugendlichen als Grundsatz
Heute werden noch immer Gegenstände gesammelt – auf dem ausrangierten Segelboot verwandeln sich die Kids zu Jack Sparrow, das Klettergerüst verführt zu einer Himalaya-Expedition, und auf der alten Rollerbahn kämpften damals auch Erwachsene um einen Platz.
An der Haltung, wie der Spili geführt werden soll, hat sich nur wenig verändert seit den Gründungstagen. Der Grundsatz, nämlich der Respekt vor Kindern und Jugendlichen, herrscht noch immer über allem, ohne Kompromisse. Kids sind nicht hier, um zu konsumieren, sie gestalten ihre Zeit selber. Claudia und Tinu, die noch heute den Spili leiten, helfen, Ideen zu verwirklichen. Sie zeigen, wie man Blech schneidet, Eisen lötet oder mit Karton eine Theaterkulisse aufbaut. Sie geben Tipps, wie das Rad an die Seifenkiste geschraubt werden kann – aber den Schraubenzieher müssen die Kinder schon selber in die Hand nehmen.
Kinder, die den Spili frequentierten, kamen mit dem Lockdown besser zurecht.
Umso stolzer sind sie, wenn sie in ihren selbstgebauten – und natürlich sicherheitsgeprüften – Gefährten am Renntag den Klösterlistutz runterrasen. Oder wenn sie in der Zirkuswoche unter kundiger Anleitung der Assistent*innen ihren akrobatischen Auftritt selber kreieren. Kinder werden nicht fremdbestimmt. Sie werden dazu angeregt, ihre Fantasie auszuleben.
Und so bleibt ihnen die Zeit, die sie dort verbringen, für immer in Erinnerung. Weil sie hier einen beschützten Rahmen finden und weil sie mit ihren Anliegen immer auf ein offenes Ohr stossen – aber ohne dass Erwachsene ihnen alles abnehmen. Und manchmal werden auf dem Spili die Erwachsenen gleich mitbetreut. Oder wie es eine Mutter in einem Kommentar zu der Petition von 2007 schrieb: «Auf diesen Spielplätzen lernen Menschen, ob gross oder klein, aufeinander Rücksicht zu nehmen. Und vielleicht lernen die Erwachsenen sogar, den Kindern zuzuhören und mal Kinderregeln zu akzeptieren. Man lernt allerhand dabei.» Es hilft, das Handy zuhause zu lassen.
Der Kampf um die Existenz hat den betreuten Spielplatz seit seiner Gründung begleitet. Heute ist eine Budgetkürzung kein Thema mehr. Dass begleitete Freiräume für Kinder lebenswichtig sind, zeigte sich jüngst in der Pandemie: Die Baracke war geschlossen, aber der Spielplatz offen – Kinder, die den Spili frequentierten, kamen mit dem Lockdown besser zurecht.
Lieber Spili, wir gratulieren zum Jubiläum und wünschen alles Gute für die nächsten 50 Jahre!
Die Feierlichkeiten zum Jubiläum finden am Samstag, 1. Juli statt. Ein detailliertes Programm gibt es hier.