Space Research Planetary Sciences: Geforscht wird im Haus der exakten Wissenschaften der Universität Bern, nahe der Grossen Schanze Bern, von wo aus man die Türme der berühmtesten Gebäude der Stadt sehen kann, die in den Himmel ragen. Der Unterschied zwischen Bundeshaus, Münster und Zytglogge zum Haus der exakten Wissenschaften liegt unter anderem darin, dass es unscheinbar ist. Wie das Münster Raum für die Suche nach Nähe zum unendlichen Gott bietet, wird im Haus der exakten Wissenschaften im unendlichen Raum nach dem gesucht, was die Existenz von Leben möglich macht.
Im Foyer hängt eine Skala der Abteilung Klimaforschung. Hier wird die CO2-Konzentration der vergangenen 800000 Jahre dargestellt. «Eisbohrkerne wurden hier analysiert», sagt Astrophysiker Martin Rubin, «je tiefer das Eis, desto weiter zurück kann man blicken. Man misst, wie viel CO2 das Eis in Luftbläschen konserviert hat.» Die Skala zeigt deutliche Variationen. Doch niemals schnellten die Belastungen so hoch wie heute: «Man musste die Skala von analog auf digital umschalten, sonst wären wir mittlerweile im oberen Stock.»
Gäbe es Möglichkeiten, die Klimakrise aufzuhalten, Herr Rubin? «Ja, die gäbe es.» Klar, die Weltraumforschung belaste das Klima auch. Doch dank ihr gelinge es, via Satelliten Lösungen zu finden. «Wir sehen, wo die Erde am schlimmsten davon betroffen ist, können konkret und schnell handeln, zum Beispiel bei Waldbränden, an Orten, wo grosse Trockenheit herrscht.» Der 44 Jahre alte Astrophysiker, der in Spiez geboren wurde, ist der Nachfolger von Kathrin Altwegg, Projektleiterin des Massenspektrometers ROSINA, das an Bord der ESA-Raumsonde Rosetta den Kometen «Chury» vermessen hat.
Die Weltraummission Rosetta der ESA erforschte den Kometen Tschurjumow- Gerassimenko. Die gleichnamige Sonde startete am 2. März 2004, erreichte den Orbit des Kometen im August 2014 und verblieb in diesem mehr als zwei Jahre, währenddessen der Komet sein Perihel durchquerte. Sie setzte im November 2014 den Lander Philae aus, die erste Sonde, die auf einer Kometenoberfläche aufgesetzt hat. Am 30. September 2016 wurde Rosetta selbst gezielt auf dem Kometen zum Absturz gebracht, bevor die Energie der Sonde aufgrund des sich nun wieder von der Sonne entfernenden Kometen zur Neige ging. Auf dem Weg zum Kometen hatte Rosetta nach mehreren Swing-by-Manövern an Erde und Mars die Asteroiden Steins und Lutetia passiert und verbrachte anschliessend auf dem sonnenfernsten Teil ihrer Bahn 957 Tage im «Winterschlaf», aus dem sie am 20. Januar 2014 planmässig «geweckt» wurde. Ein wichtiges Ziel der Mission war die Erforschung der Frage, ob Kometen eine bedeutende Rolle für die Entstehung des Lebens auf der Erde gespielt haben könnten, insbesondere ob sie präbiotische Moleküle und Wasser zur Erde gebracht haben.
Jeder Stern ist eine Sonne
Bevor Martin Rubin der Besucherin das eigene Forschungsgebiet näherbringt, erklärt er ihr die in der Uni ausgestellten Instrumente. Eines davon ist ein Nachbau des ESA-Cheops-Satelliten, der unter der Co-Leitung der Universitäten Bern und Genf entwickelt und 2019 als Mission gestartet wurde. Beim Satelliten handelt es sich um ein kleines, optisches Teleskop, das die Transits von Exoplaneten misst. «Also von Sternen, von denen man weiss, dass sie Planeten haben.» Wenn er vorn am Stern durchziehe, werde dieser dadurch abgedunkelt. «Ähnlich einer Fliege vor einer Strassenlaterne.» Je grösser der Planet im Vergleich zu seinem Stern sei, desto mehr.
«Der Satellit bewegt sich so, dass seine Rückseite Tag und Nacht der Sonne zugewandt ist, damit es kein Streulicht gibt.» Cheops bewege sich in einem «Sonnen-synchronen» Orbit und decke so über ein Jahr einen grossen Teil des Himmels ab. «Kennen wir die Masse und Grösse eines Planeten, können wir die Dichte errechnen. Somit wissen wir, ob es ein Gesteinsplanet ist wie Merkur oder Venus oder auch unsere Erde. Oder ob er gross ist wie Jupiter, der hauptsächlich aus Gas besteht, dessen Dichte aber nicht hoch ist. Anhand dieser Daten kann man abschätzen, wo Leben eher möglich ist und wo nicht.»
Wenn jede Galaxie 100 Milliarden Sterne mit Planeten hat, kann man fast erwarten, dass es noch Leben gibt.
Bevor diese Instrumente verwendet werden, werden sie auf Weltraumtauglichkeit getestet. «Sie werden im Shaker geschüttelt. So sieht man, wie viel Vibration sie vertragen können, damit die Hardware den Raketenstart überlebt.» Ein anderes ausgestelltes Instrument ist ein Laser-Altimeter, also Laser-Distanzmessgerät. «Es muss bis 1000 Kilometer Entfernung funktionieren.» Der Laser werde auf die Oberfläche des Merkurs geschossen, um zu messen, wie lange das Licht vom Lichtstart bis zurück brauche. Zu berücksichtigen sei, dass der Laserstrahl trotz konstanter Lichtgeschwindigkeit für hin und zurück weniger lang brauche, wenn er auf einen Berg falle statt in einen Krater, der tiefer liege.
Wir sind alle Teil der Sonne
Er arbeite mit Chemikern und Geologen zusammen, so Rubin. «Ich beschäftige mich mit Kometen und ihrer Zusammensetzung. Also an der Grenze von Physik und Chemie.» Wird die Sonne irgendwann die Erde verschlucken? «Ja, wenn unser Stern auch nicht so explodieren wird, dass eine Supernova daraus wird. Dies bräuchte mehr Masse. Trotzdem werden wir wieder Teil der Sonne. Unser Stern, die Sonne, macht 99 Prozent der Masse des Sonnensystems aus. Am Ende ist alles wieder zusammen.» Dafür, dass es Leben auf der Erde geben kann, müssen zig Bedingungen stimmen? «Ja, absolut. Andererseits weiss man, dass es 100 Milliarden Sterne in unserer Galaxie gibt und nochmals so viele Milliarden Galaxien. Wenn jede Galaxie 100 Milliarden Sterne mit Planeten hat, kann man fast erwarten, dass es noch Leben gibt.
Der Ukrainer und die Russin
Martin Rubin arbeitete für die Rosetta-Mission. In seinem Arbeitsraum liegt, hinter Glas, ein Flugzeit-Massen-spektrometer, das einst auf dem Komet Tschurjumow-Gerassimenko landete. Getauft auf den Namen eines Ukrainers (Klym Tschurjumow) und einer Russin (Svetlana Gerassimenko). «Ja, wir sind traurig am Puls der Zeit», so Rubin. «Daran sieht man, wie viel man zustande bringt, wenn man zusammenarbeitet statt gegeneinander.»
Es sei eine grosse Mission gewesen. «Zu bauen begann man das Massenspektrometer bereits im Jahre 1996. 2004 startete es. Ein Jahr später als geplant, da zuvor der Start der Ariane-Rakete missglückte. Sie kam ins Trudeln, wurde gesprengt. Inzwischen war der Komet weg, den man ansteuern wollte. So kam man auf den oben erwähnten.» Zehn Jahre lang war die Sonde mit dem Messgerät unterwegs. Zwei Jahre umkreiste sie den Kometen. «Die Hardware ist inzwischen 25 Jahre alt und veraltet, funktioniert aber noch.»
2016 landete die Sonde auf dem Kometen und wurde ausgeschaltet. «Wir sind noch dabei, die Daten auszuwerten.» Herr Rubin, woraus bestehen Kometen? «Ein Komet ist ein Objekt, das typischerweise ein paar Kilometer gross ist. Er besteht zur Hälfte aus Eis und aus Gestein. Eis verdampft, wird nicht flüssig, sondern zu Gas. Und dies messen wir.» Sogar ein Landemodul war bei Rosetta mit dabei. Bei der Landung habe sich dieses, wie geplant, in 22 Kilometern Höhe vom Kometen-Kern ausgeklinkt. «Brauchte dafür im freien Fall schliesslich sieben Stunden, da die Schwerkraft so tief war.» Am Ende habe es einen Meter pro Sekunde zurückgelegt, «das ist Gehgeschwindigkeit. Nach sieben Stunden freiem Fall, weil es so wenig Masse hatte, traf es nur mit Laufgeschwindigkeit auf.»
Was dann passierte, erschreckte die gesamte Crew, die von der Erde aus zuschaute: Bei der Berührung mit dem Kometen hüpfte das Modul und spickte weg: «Da hatten wir alle weisse Fingerknöchel… Sieben Stunden Anspannung nach so langer Zeit, dann setzt es auf – und spickt weg!» Als es dann doch unbeschädigt zum Stehen gekommen sei, «war das ein Highlight, ein seltenes.»
Auch organische Moleküle, aus denen zig Schritte später Leben entstand, könnten möglicherweise von aussen stammen.
Neben Martin Rubin packt Doktorand Daniel Müller eine Testanlage in Alufolie ein. Rubin: «Damit nicht zu viel Energie verschwendet wird. Wir wollen die Vakuumkammern zum Reinigen ausheizen und nicht die Umgebung.» Das sich darin befindende Instrument diene der Nachfolgemission, an der Rubin zusätzlich arbeitet: «Comet Interceptor» solle 2029 starten und zu einem anderen Kometen fliegen. «Wir starten die Rakete, bevor wir wissen, an welchem Kometen Comet Interceptor vorbeifliegen wird. Als sich unser Sonnensystem aus dem hinausgeschleuderten Material früherer Supernovae bildete, bildeten sich auch die Planeten. Aber ein Planet veränderte sich durch Erosion, Vegetation, Schwerkraft und Wasser, das Material ist also nicht mehr ursprünglich. Wenn man herausfinden will, woraus unser Sonnensystem besteht, muss man bei den Kometen und Meteoriten suchen, sie sind die Überreste der Entstehung unseres Sonnensystems.»
Kometen seien die meiste Zeit so weit von der Sonne entfernt, meistens hinter der Neptunbahn, dass sie eiskalt seien. «Sie konservieren das Material, bewahren das Ursprüngliche. Dann kommen sie zu uns, beginnen auszugasen.» Was die Forschenden interessiere: «Wir wollen wissen, woraus der Komet entstand, was das ursprüngliche Material war. Dann wissen wir, woraus Planeten entstanden.»
Lange sei man davon ausgegangen, dass Kometen, Meteoriten und Asteroiden das Wasser auf die Erde gebracht hätten. «Es kristallisiert sich mehr und mehr heraus, dass dem nicht so ist.» Dann bleibt die Entstehung ein Rätsel, vorerst? «Wir messen Wasserstoff-Isotope in Wasser, also H2O. Tut man bei dem H (Wasserstoffatom) noch zusätzlich ein Neutron rein, erhält man Deuterium (D). HDO ist immer noch Wasser, doch das Molekül ist etwas schwerer.» Das ergebe ein bestimmtes Verhältnis: 10 000 leichte (H2O), drei schwere (HDO) seien es auf der Erde. «Beim Kometen ist es anders. Dort gibt es im Schnitt mehr schwere. Wenn alles Wasser auf der Erde von Kometen käme, dann müsste es mehr von den schweren Molekülen haben.» Was man aber herausgefunden habe, sei, dass möglicherweise ein Teil der Erdatmosphäre von Kometen stamme. «Auch organische Moleküle, aus denen zig Schritte später Leben entstand, könnten möglicherweise von aussen stammen.»
Mission zum Merkur
Im Keller im Grosslabor werden die Instrumente hinsichtlich der Umweltbedingungen getestet. Sie müssen im Vakuum funktionieren und verschiedene Temperaturen aushalten, auch den Raketenstart. Ungefähr 15 Personen teilen sich verschiedene Projekte. 150 Mitarbeitende sind es insgesamt. Gerade sind Astrophysiker aus San Antonio, dem South West Research Institute in den USA, an der Uni Bern zu Gast bezüglich einer Merkurmission. «Es gibt nur wenige dieser Testanlagen. Noch eine bei der NASA, aber die haben das Instrument zurzeit auseinandergenommen. Man muss also hierher in die Schweiz kommen, um diese Tests durchzuführen.» Faszinierend: Tisch und Rahmen, auf dem das Instrument steht, können aufgeheizt oder gekühlt werden.
Von plus 100 Grad auf minus 60 Grad: «Es muss funktionieren, wenn auf der einen Seite die Sonne und auf der anderen das kalte All auf es einwirken. Es herrschen massive thermische Gradiente. Das Material dehnt sich aus und zieht sich zusammen. Es wäre schlecht, wenn sich der Laseraltimeter verzieht.» Weiter hinten steht eine meterlange Vakuumkammer. Drin steht «MANiaC», das Nachfolgeinstrument für die Comet Interceptor Mission. «Die Technik geht weiter, die Physik bleibt gleich: Das zuvor zu Testgründen zusammengefügte Gas fliegt durch das Instrument hindurch. Die Zeit wird gemessen: Bei gleicher Energie der Teilchen sind die leichten schneller, wie ein Tennisball schneller ist als ein Medizinball, selbst wenn er mit gleicher Kraft geworfen wird. So trennen wir die Gase wieder. Das leichte erreicht das Ziel zuerst.»
Im letzten Raum steht schliesslich die Schüttelmaschine, der Testingenieur bedient den Shaker. Das Instrument, das ins All fliegen wird, wird in alle Richtungen geschüttelt. Dann um 90 Grad gedreht und wieder geschüttelt. «Wir müssen sichergehen, dass es nichts zerreisst.» Es sei amüsant zu sehen, wie die Ingenieure mit angespannten Gesichtern dastünden, weil sie fürchteten, dass etwas Schaden nehmen könnte. «Nebst dem Instrument vibriert der ganze Raum inklusive der Fenster, ja sogar das T-Shirt des Ingenieurs schwingt mit.» Martin Rubin ist nicht nur Astrophysiker, er ist mit Herz und Seele auch Vermittler. Zwei Stunden pro Woche hält er Vorlesungen. «Es macht mir Spass, von meinem Beruf zu erzählen. Obwohl mein Arbeitstag nicht ganz so spektakulär ist, wie Sie vielleicht denken.»
Dieser Beitrag erschien ursprünglich im Berner Landboten.