10 Jahre Einsatz für Menschen auf der Flucht

von Nicolas Eggen 24. Oktober 2025

B-Kanntschaft Der Verein Open Borders Caravan Bern (OBCB) feiert in diesem Jahr sein zehnjähriges Bestehen. Seit einem Jahrzehnt engagieren sich Freiwillige aus Bern für Menschen auf der Flucht.

Seit 2015 sammelt Open Borders Caravan Bern (OBCB) Hilfsgüter wie Kleidung, Schuhe oder auch Zelte und Schlafsäcke, um Menschen auf der Flucht zu unterstützen.

«Nach einem Hilfseinsatz auf der Balkanroute beschlossen Freiwillige aus dem Raum Bern einen Verein zu gründen», erzählt Simona Stoll, die zwei Jahre später, im 2017, zu OBCB dazu stiess.

Seither unterstützt der Verein regelmässig Geflüchtete an europäischen Aussengrenzen mit Kleiderspenden und arbeitet mit lokalen Organisationen vor Ort zusammen. Die Kleiderspenden werden im Sonnenhaus im ehemaligen Zieglerspital in Köniz sortiert.

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Der Sortierraum im ehemaligen Zieglerspital. (Foto: OBCB)

Das «Sonnenhaus Ziegler» wird zusammen mit den Organisationen Refy und Open Eyes betrieben, die sich auch für Menschen auf der Flucht einsetzen. Alle Mitglieder der drei Organisationen engagieren sich ehrenamtlich. Die Vereine finanzieren sich ausschliesslich über Spenden, die direkt in Projekte und Transporte fliessen.

Solidarität hat seit «Wir schaffen das!» abgenommen

Wir erinnern uns, 2015 war das Jahr von Merkels mittlerweile historischem Satz: «Wir schaffen das!» «Die Solidarität und die für kurze Zeit gelebte Willkommenskultur in Europa waren in den Anfangsjahren deutlich zu spüren», erzählt Simona. Dies habe sich auch in den Mitgliederzahlen niedergeschlagen: Am Anfang waren bis zu 20 Personen an den Sitzungen – heute sind laut ihr noch rund 10 Mitglieder im Verein aktiv. «Auch wir merken den politischen Wandel, den es in der Gesellschaft seither gegeben hat,» sagt sie.

Neue Leute bringen wieder Energie mit, um neue Dinge anzupacken

«Als ich dazukam, spürte ich, dass die Luft etwas draussen war», bestätigt Jasmin Leutwyler. Sie ist seit etwa drei Jahren im Verein dabei. Viele Leute hätten über lange Zeit viel Energie eingesetzt und zum Teil bei Hilfseinsätzen Schlimmes erlebt, erzählt sie. Es sei deshalb sehr wichtig, immer wieder neue Freiwillige zu finden. Denn: «Neue Leute bringen wieder Energie mit, um neue Dinge anzupacken», erklärt sie.

Kleidertransport nach Griechenland und Hilfseinsatz im Balkan

Jasmin war im Januar dabei, als OBCB einen Lieferwagen mit Anhänger vollgepackt mit Kleidern nach Griechenland transportierte – inklusive Schneekettenmontage vor dem Gotthard und Fährenfahrt von Italien nach Griechenland.

Südlich vom Gotthard werden die Schneeketten montiert. (Foto: OBCB)

Sie war auch bei einem Hilfseinsatz im Jahr 2023 im Balkan dabei. Dafür nahm sie unbezahlte Ferien und war 10 Wochen bei der Organisation «No Name Kitchen» in Sid, an der  serbisch-kroatischen Grenze. Dort kümmerten sie sich um das Verteilen der Kleidung, der Zelte und Schlafsäcke, die innert kürzester Zeit vergriffen waren, erzählt Leutwyler.

Das Lager in Sid, Serbien, mit Kleidern, die unter anderem von den am «Sonnenhaus» beteiligten Organisationen gesammelt und gespendet wurden. (Foto: OBCB)

«Ein sehr wichtiger Punkt war auch das Dokumentieren von Pushbacks. Wir hatten zwei Leute im Team, die auf die Menschen zugingen, um mit ihnen über die Pushbacks zu sprechen», erinnert sich Jasmin. Und weiter: «Die Pushbacks passierten teilweise unter extremem Einsatz von Gewalt. Die Grenzpolizei nahm den geflüchteten Menschen ihre Sachen weg. Sie machten ihre Handys kaputt.»

Einsatz in den inoffiziellen Camps mit der mobilen Dusche, frischer Kleidung und mitgebrachten Lebensmitteln. (Foto: OBCB)

Die Pushbacks zu dokumentieren, sei aber nicht immer einfach gewesen: Einerseits war da die Sprachbarriere, andererseits sei es vielen geflüchteten Menschen nicht leichtgefallen, über die zum Teil traumatischen Erlebnisse zu sprechen, sagt Jasmin.

Bei den «höchst prekären Verhältnissen», die sie vor Ort vorfand, sei auch eine gewisse Resignation, Hilfslosigkeit und Ohnmacht unter den Helfenden zu spüren gewesen, berichtet sie. Stichwort: «Tropfen auf den heissen Stein», wie es beide beschreiben. Die Situation für Menschen auf der Flucht habe sich in den letzten 10 Jahren kaum verändert und sei immer noch sehr schwierig, halten beide fest.

Benefiz-Modeschau in der Heitere Fahne

Um zu den Kleidern zu kommen, organisiert der Verein immer wieder Kleider-Sammelaktionen, die nächste findet am 8. November in der Kirche in Nidau statt. Im «Sonnenhaus Ziegler» befindet sich übrigens nicht nur die Sortier- und Sammelstelle, sondern auch ein kleiner «Flohmi». Jeweils am 1. und 3. Samstag des Monats werden dort Kleider, die nicht an Menschen auf der Flucht weitergeben werden können, wie beispielswiese High Heels oder Krawatten, angeboten.

Wir erhalten immer mal wieder ‹interessante› Spenden

Eine ähnliches Konzept machte sich OBCB für eine Benefiz-Modeschau zu eigen: «Zu den Highlights der letzten zehn Jahre gehört sicherlich auch die Benefiz-Modeschau in der Heitere Fahne, die wir schon zweimal durchführen konnten», erzählt Simona.

Die Benefiz-Modeschau in der Heitere Fahne im 2022. (Foto: OBCB)

«Wir erhalten immer mal wieder ‹interessante› Spenden. Also Material, das uns zwar durchaus zum Schmunzeln bringt, aber Menschen auf der Flucht nicht gebrauchen können». Die Kleider wurden bei der Benefiz-Modeschau in der Heitere versteigert, der Erlös kam Menschen auf der Flucht zugute.

Es seien genau solche gelungenen Aktionen und Projekte, aus denen sie die Motivation schöpft, sich weiter zu engagieren, berichtet Jasmin.

Als weiteres positives Beispiel nennt Simona das «United Laundry Service Projekt». Durch ein Crowdfunding konnten im Jahr 2021 über 10’000 Franken gesammelt werden. Damit wurden zwei Industrie-Waschmaschinen und zwei Tumbler finanziert, die nach Calais in Frankreich an eine Partnerorganisation geliefert wurden.

Lieferung der Waschmaschinen an die Partnerorganisation MRS. (Foto: OBCB)

Die Idee: Die Kleiderspenden sollen so nachhaltiger werden. Durch die Waschmaschinen werden weniger Kleidertransporte gebraucht, die Menschen können ihre Kleider waschen und so die Kleider auch länger tragen. Das sei nur eines der vielen Beispiele, wie die Organisation versucht, den Alltag von Menschen auf der Flucht in Europa humaner zu gestalten, erklärt Simona.

Open Borders Caravan Bern am Buskers

Präsent ist OBCB auch immer wieder am alljährlichen Buskers-Festival. Dort können Festivalgänger*innen ihre Depot-Becher spenden.

Der Depot-Spende-Stand von OBCB am Buskers-Festival in Bern. (Foto: OBCB)

Dies sei auch immer wieder eine Möglichkeit, interessierte und engagierte Personen für den Verein zu finden, sagt Jasmin: «Man kommt schnell und unkompliziert ins Gespräch und wir können so auf unser Engagement aufmerksam machen.» Auch organisiert der Verein immer mal wieder Soli-Bars im Dachstock oder an anderen Events um Spenden zu sammeln.

Hinkunft – Migration und Flucht im Fokus

Anlässlich ihres zehnjährigen Bestehens hat der Verein im Mai das Magazin «Hinkunft» herausgegeben. «Wir wollten Vorurteile abbauen, zeigen, wie gemeinsames Leben funktionieren kann und auch für die Lebensrealität von Menschen mit Migrationshintergrund oder Fluchterfahrung sensibilisieren», erklärt Stoll.

2015 hätten wir nie gedacht, dass unsere Arbeit noch zehn Jahre später so nötig sein würde

Neben verschiedenen Projekten und Erfahrungsberichten aus Hilfseinsätzen von OBCB werden auch andere aktivistische Organisationen in Bern, wie unter anderem Mazay, Medina oder der Living Room, vorgestellt. Das Magazin kann online per PDF oder in der Printversion für einen Richtpreis von 10 respektive 25 Franken bestellt werden, was wiederum Menschen auf der Flucht zugutekommen soll. Zudem wollten sie mit dem Magazin den medialen Fokus auf das Thema Migration verändern, da über das Migrationsthema oft eher negativ berichtet werde.

Bilanz nach 10 Jahren: Stolz und Traurig zugleich

Als neuestes Projekt sollen an verschiedenen Standorten in Bern neue Altkleiderboxen von OBCB entstehen, was Kleiderspenden niederschwelliger machen soll.

Auch macht sich der Verein momentan Gedanken, wie sie zu der «richtigen» Art der Kleider kommen, erklärt Leutwyler. Das Problem: Es werden in der Regel mehr Frauen- als Männerkleider gespendet. Bei den Menschen auf der Flucht handelt es sich in vielen Fällen aber um junge Männer. Deshalb geht OBCB nun auch auf Fussballclubs mit Männerteams zu, um die passenden Menschen anzusprechen.

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Nach zehn Jahren zieht der Verein eine gemischte Bilanz: stolz auf das Erreichte, aber auch traurig, dass die humanitäre Krise in Europa für Menschen auf der Flucht weiter anhält. Oder wie es der Verein im Vorwort des Jubiläums-Magazin «Hinkunft» auf den Punkt bringt: «2015 hätten wir nie gedacht, dass unsere Arbeit noch zehn Jahre später so nötig sein würde.»