Als Hollywood Berns Jugend rief

von Rita Jost 30. Mai 2023

DAS FILM-DING Ausgabe 007 unserer Serie tanzt aus der Reihe. Für einmal verlassen wir die Kinemathek im Marzili und graben ausser Haus nach Reminiszenzen aus der Filmgeschichte.

Soviel war klar: das «Filmding 007» muss sich um den berühmtesten Geheimagenten der Leinwand drehen. Doch: im Berner Lichtspiel gibt es relativ wenig James-Bond-iges. Für Publikumsführungen hat das Lichtspiel zwar einige Leckerbissen rund um das Making-Of einiger Agententhriller auf Lager. Aufnahmen aus Newssendungen, Fotomaterial von den Dreharbeiten und sogar ein Werbefilmchen, in dem Bond für … Milch wirbt.

Aber sonst? Kein Filmplakat, keine Requisiten. Langspielfilme gehören nun mal nicht ins Archiv und ins Konzept der Kinemathek. Aber wir werden trotzdem fündig. In den Köpfen einiger Berner*innen, die Ende der Sechzigerjahre im 6. Bondstreifens mit dem Titel «Im Dienste ihrer Majestät» ihr Filmdebut gaben. Zum Beispiel Peter Vollmer, nachmaliger SP-Politiker, Nationalrat und in den Sechzigerjahren aufmüpfiger Soziologiestudent an der Uni Bern.

Blick zurück

Wir schreiben das Jahr 1969. In Bern wird nicht nur gerockt, gestreikt und rebelliert. Es hängt – an den Anschlagbrettern der Gymnasien und der Uni – auch ein Ruf aus Hollywood. Es werden Statisten gesucht! Für einen James Bond-Film. Gedreht wird in Mürren und auf dem Schilthorn. Gesucht werden «gutaussehende junge Menschen». Peter Vollmer fühlte sich angesprochen: «Nein, nicht wegen des Aussehens», beeilt er sich heute zu sagen, «mich lockte vor allem die Aussicht auf ein paar Tage in den Bergen und natürlich die Gage. Als Student konnte ich das Geld brauchen. Ich habe mich deshalb gleich für eine ganze Woche verpflichtet.»

Das hatte den Vorteil, dass er sozusagen als Premium-Statist eingeteilt wurde. Seine Drehorte waren auf dem Schilthorn, dem Piz Gloria, wie das Mürrener Wahrzeichen nun hiess, und vor allem im futuristisches Drehrestaurant, wo der Bösewicht sein Labor eingerichtet hatte und wo die Bondgirls auf der improvisierten alpinen Curlingbahn Steine schoben.

Die höchstglegene Curlingbahn der Welt. Auf 3000 Metern über Meer. (Foto: ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv)

Vollmer kann heute seine damalige Kritiklosigkeit kaum mehr verstehen. Die Frauen durften in ihren hautengen Keilhosen, Pelzjacken und den modischen Apresskistiefeln bloss ein bisschen herumstehen und lächeln. «Das wäre heute ja undenkbar!» Die Berner Studis haben aber fraglos mitgespielt. Immerhin, die Szene, in der Vollmer selber Curlingsteine schiebt, schaffte es nicht in den Film. Darüber ist er heute fast ein wenig froh.

Dafür ist er für die Filmgeschichte auf der Sonnenterrasse auf der Mittelstation Birg verewigt. Hier landete Bonds Gegenspieler per Helikopter mitten unter den Gästen, was Angst und Schrecken auslöste. Vollmer erinnert sich vor allem an die unzähligen Wiederholungen der Szene. Und nicht ganz ohne Stolz erzählt er, wie man ihn im Film ganz kurz erkennen kann in der aufgeschreckten Menge: «Das ist jeweils der Moment, wo bei uns zuhause der Film angehalten und in Zeitlupe abgespielt wird.»

Stuntman Russi

So wie bei Vollmers geht es wohl noch in einigen anderen Berner Haushalten. Obwohl die wenigsten Statisten von damals sich wirklich erkennen können in den Massenszenen, am Rand des Eisfelds in Grindelwald, an der Bobrennbahn in Mürren oder am Go-Kart-Rennen in Lauterbrunnen. Aber die Erinnerungen an die Drehtage im Berner Oberland sind vielerorts noch wach. Spektakulär war‘s. Und unvergesslich. Schon allein wegen der Tagesgage: 20 Franken plus eine Fahrt zum Drehort und ein Lunchpaket.

Da nahmen die Jungstatisten die Rüffel der verärgerten Lehrer*innen und die unentschuldigten Absenzen gerne in Kauf. Immerhin lockte die Aussicht – vielleicht – dem Superstar Diana Rigg zu begegnen. Sie war damals als Star der Gaunerkomödie «Mit Schirme, Charme und Melone» gerade ziemlich populär und jedenfalls einiges bekannter als der Bond-Darsteller George Lazenby, der übrigens nur einmal in diese Rolle des Geheimagenten schlüpfen durfte. Mürren hat er jedoch nicht vergessen. 2013 kam er für ein Erinnerungstreffen wieder auf den Berg und feierte, von Mürren Tourismus werbewirksam inszeniert, mit Vertretern der Filmcrew und einigen Statisten ein Erinnerungsfest. Und posierte auch mit Peter Vollmer für ein Bild.

Zwei schon etwas ergraute Filmstars: Peter Vollmer, der Statist, und George Lazenby, der James Bond im 6. Agententhriller. (Foto: Perer Vollmer)

Angestossen wurde auf spektakuläre Szenen – unter anderem mit Bernhard Russi als Stuntman. Unvergessen sind aber auch ein spektakulärer Lawinenniedergang, die Kameramänner, die abenteuerlich am Helikopter baumelten, die wilden Verfolgungsjagden auf Skiern und Bobschlitten. Und vor allem die Hauptdarstellerin, die sich todesmutig ins Tal stürzte… kniend auf einem Rettungsschlitten! Denn Ski fahren konnte sie ja nicht. Willy Bogner, der deutsche Skirennfahrer, der als Kameramann im Einsatz war, wusste auch diese Szenen fürs damalige Filmpublikum einigermassen glaubhaft darzustellen.

Die Drehtage 1969 waren oft weniger glamourös. Stundenlanges Herumstehen, -zig Wiederholungen der gleichen Szenen und kaum je ein Blick auf die Stars. Trotzdem: es machte Spass. Und wer dabei war, hat etwas zu erzählen. Und künftig eine ganz andere Sicht auf den Streifen, wenn er denn wieder einmal im Fernsehen zu sehen ist. «Da, da … der in der roten Skijacke, das bin ich.» In wie vielen Familien sind solche und ähnliche Sätze wohl Grund für augenrollende Kinder oder unterdessen bereits Grosskinder!

Der Streifen «Im Dienste ihrer Majestät» wurde im Übrigen kein Kassenschlager. Mit einem Einspielergebnis von «bloss» 646 Millionen gehört er zu den eigentlichen Flops der Reihe. Aber das ändert nichts daran, dass noch heute auf dem Schilthorn James Bond allgegenwärtig ist. Und einige Statisten noch lange von den Drehtagen in Mürren schwärmen. Und sich die Massenszenen jeweils mit Sperberaugen anschauen.