tiere ziehen wieder durch die städte, menschen
liegen auf den plätzen ausgestreckt mit wunden, eitrig
heute sonderangebot, die marder, füchse und die
katzen voller flöhe wären ja wohl blöd, würden sie nicht
zugreifen, zubeissen, die tiere sind nicht schuld, tiere
sind nie schuld, sie sind ohne moral. da wird etwas verladen
in eine ambulanz, die schon fast alle farbe verloren, athen,
zweitausendscheißdrauf, europa zieht sich nun, nach
wirtschaftsfreudiger expansion in sich zusammen, wie
eine mit ameisensäure übergossene wegschnecke, noch
etwas zäher schaum an ihren rändern, in dem die
ausgegrenzten kleben, von kameras verfolgt, von
interessierten, unbezahlten journalisten die insektenforschern
gleich statistik machen – fickt euch südländer, und du, geh
doch nach russland, osteuropa, was wir seit millenien
zusammengerafft wollten wir niemals teilen, was habt ihr
euch gedacht? eine mutter sucht im müll nach ihren
kindern, die auch nichts brauchbares gefunden außer
vielleicht den tod denkt sie und schmiert sich eine droge
oder ist es leim ins zahnfleisch. was habt ihr euch gedacht?
in griechenland wuchs einst die hehre idee demokratie
auf dem buckel von sklaven und missbrauchten sklavinnen,
eine elite, nicht mal zwanzig prozent einer bevölkerung,
eine bequeme männerrunde, für die das unten unsichtbar
und an universelle macht glaubte sowie an ideen. europa,
ein apartheidsgedanke und heute bezahlen wir die rechnung
kameraden,schnallt euch an für einen nächsten höllenritt,
zum glück gibt es all die tollen erfindungen: schießpulver,
stacheldraht, die verschiedenen folterinstrumente, stahl,
gut erprobt in all den kolonien. vielleicht war ja europa nie
was anderes als blutrünstige mächte, die sich ferne welten
unterworfen, um dann noch zweitausendscheißdrauf weit
entfernte sklavereien aufrecht zu erhalten. das ging ja gut,
bis dann die sklaven beine kriegten, digitales wissen,
und sich dachten, ja, europa ist nicht nur ein wort nicht nur
gedanke, nein man kann da hin und auch sein glück versuchen
doch ist europa alt, das glück fast aufgebraucht und längst
verteilt. luxusprobleme häufen sich und katastrophen
versteckten sich gut unter streicheleinheiten unsrerer
gadgets. geschichte nunmehr hinter glas, geschmeidig
animiert: verdun in 3d., touchscreen theresienstadt, gulags
als kulissen für ego shooter, als wäre die vergangenheit
nunmehr ein streichelzoo, und kein weg führte je wieder zurück.
am abend schießen sie, am morgen gibt es jetzt kein wasser
mehr, an nachmittagen fliegen drohnen über felder, wo die
toten kühe liegen, was wir als zivilisation begriffen, wurde
aus langeweile angezweifelt und dann auf dem scheiterhaufen
mit anderen ideen abgefackelt, eiterte, und die dünne haut
platzte auf. jetzt leben wir in narben die nicht heilen wollen.
Das Netzwerk «Kunst+Politik» hat zwanzig Schweizer Autorinnen und Autoren angefragt, einen Text zu verfassen zum Thema «Nach Europa». Journal B veröffentlicht täglich einen der Texte, noch bis am 6. August. Erschienen sind bereits «Der Trost, der bleibt» von Jürg Halter, «Vielleicht ist Selma schön» von Julia Weber, «Die mit der weiten Sicht» von Ulrike Ulrich, «als ich in europa war» von Katja Brunner, «Ewiges Europa» von Georg Kreis, «Europapa» von Donat Blum und «Nach Europa» von Franz Hohler. Sämtliche Texte können auch auf der Website www.marignano.ch nachgelesen werden.